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Ski-Legenden schlagen laut Alarm Sturz auf der Streif: Pinturault schwerer verletzt als befürchtet

Nach seinem Unfall in Kitzbühel wird Alexis Pinturault mit dem Helikopter weggeflogen.

Nach seinem Unfall in Kitzbühel wird Alexis Pinturault mit dem Helikopter weggeflogen.

(Foto: Barbara Gindl/apa/dpa)

In Kitzbühel steht das große Spektakel noch aus, die legendäre Hahnenkamm-Abfahrt. Doch bereits im Super-G kommt es zu schweren Stürzen, die einmal mehr die Sicherheitsdebatte befeuern. Mehrere große Namen des Skisports fordern dringend Veränderungen.

Jedes Jahr die gleichen Bilder in Kitzbühel: Im Zielraum stehen Athleten und Zuschauer, schlagen sich die Hände vor Augen und blicken gebannt nach oben auf die legendäre Streif. Wieder einmal ist in einem dieser Momente einer der wagemutigen Speedfahrer abgeflogen. Wie geht es ihm? Steht er von alleine wieder auf? Oder kommt der Hubschrauber? Es ist ein (bitterer) Teil, der die Faszination der gefährlichsten und berüchtigsten Abfahrt der Welt ausmacht. An diesem Freitag, im Super-G, dem Prolog für die Abfahrt, musste der Heli zweimal starten und zwei Franzosen aufnehmen. Alexis Pinturault und Florian Loriot musste ins Krankenhaus gebracht werden.

Besonders dramatisch ist die Geschichte von Pinturault. Im vergangenen Jahr riss sich der 33-Jährige das Kreuzband, kämpfte sich zu diesem Winter zurück und muss nun eine heftige Diagnose verarbeiten. Eine heftigere, als zunächst erwartet. Der ehemalige Weltmeister hat laut des französischen Skiverbands eine schwere "Knochenprellung des inneren Schienbeinplateus mit einer damit verbundenen Fraktur sowie eine Verletzung des Innenmeniskus" erlitten. Die Weltmeisterschaft in ein paar Wochen wird der dreifache Weltmeister verpassen. Im Zielraum stand seine Frau mit dem gemeinsamen Baby und drehte sich erschrocken nach den Sturzbildern erschrocken weg.

Sicherheit vs. Risiko

Schwer anzusehen waren auch die Wiederholungen von Loriots Sturz. Bei ihm löste ein Ski, er schlug mit dem Kopf auf und erlitt eine Gehirnerschütterung. Beide Abflüge geschahen in einer Linkskurve auf der Seidlalm. Sie ist bekannter Teil der berüchtigten Streif und wird auch morgen auf der legendären Abfahrt gefahren. Der Abschnitt bereitete mehreren Profis große Schwierigkeiten. Es sei dort sehr unruhig gewesen, sagte etwa der Österreicher Lukas Feurstein, der direkt als erster Fahrer zu Fall gekommen war.

Was das alles nun für die Abfahrt morgen bedeutet, die länger, gefährlicher, schneller ist? Wieder werden die Athleten und die Zuschauer nach oben schauen, mitfiebern, hoffen - und manchmal bangen. Wie so oft in den vergangenen Jahren, wie so oft in diesem Winter, der Hiobsbotschaften am Fließband produziert und die ewige Debatte um Sicherheit vs. Risiko im alpinen Skisport neu entfacht hat. Ganz besonders nach dem folgenschweren Sturz von Cyprien Sarrazin vor wenigen Wochen in Bormio. Der 30-Jährige musste am Kopf operiert werden und kämpft um die Rückkehr ins normale Leben.

Die Speedelite ist in diesem Winter schwer gebeutelt. Zwei Dutzend Verletzte hat es seit Saisonbeginn gegeben, hinzu kommt noch Superstar Aleksander Aamodt Kilde, der sich noch immer von den Verletzungen eines Sturzes aus dem vergangenen Jahr erholt und nun nochmal operiert werden muss, wie er an diesem Freitag im ZDF-Interview sagte. Er sehnt die Rückkehr herbei, ist aber auch in Sorge angesichts der aktuellen Entwicklung: "Der Schnee, der Körper, das Material und die Linie, die man fährt – alles wird aggressiver", sagte er im Schweizer Fernsehen. "Wir müssen vielleicht etwas mit den Aggressivitäten zurückgehen." Die Lage sei nicht mehr zu ertragen. So dürfe es nicht weitergehen, "sonst haben wir keine Athleten mehr", zitiert ihn die Zeitung "Blick".

Klammer fordert: "Reißleine ziehen"

Auch im österreichischen Fernsehen wird nach dem Sturz-Festival im Super-G - zahlreiche weitere Athleten kamen von der Strecke ab, blieben aber unverletzt - über dringend benötigte Veränderungen diskutiert. "Es ist nur noch völlig verrückt, was diese Jahr abgeht mit Verletzungen. Wir müssen etwas machen mit dem Sport. Wir sind weit, weit drüber", sagte ORF-Experte Hans Knauss, einst selbst ein herausragender Speedfahrer. Franz Klammer, Ski-Legende und vierfacher Sieger in Kitzbühel, forderte, die "Reißleine zu ziehen".

Aber so einfach ist das nicht. Auch wenn sich alle Beteiligten einig sind. "Es ist nicht fünf vor zwölf, es ist fünf nach zwölf", sagte auch FIS-Renndirektor Markus Waldner zuletzt. Das Material sei "extrem ausgereizt, vielleicht haben wir die Grenze schon überschritten. Es muss wirklich was passieren, kurzfristig und langfristig. Wir müssen an jeder Schraube ein bisschen drehen."

"Jenseits von Gut und Böse"

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An den Schrauben wird viel gedreht. Das sei eben so im Hochleistungssport, sagte etwa Andreas Sander in Kitzbühel, der deutsche Spitzenfahrer, der derzeit wegen einer Zellkrankheit keinen Sport machen kann. Im Kampf um Zehntelsekunden gehe es eben darum, an die Grenzen zu gehen. Allerdings an die beherrschbaren. Aber gibt es die noch? Das ist wieder einmal die große Frage. Sie richtet sich unter anderem an den neuen Carbon-Stutzen aus. "Die sind wie Socken aus festem Material, die auch die geringste Bewegung des Fußes im Skischuh verhindern", erklärt Ex-Weltmeister Hannes Trinkl. Spitzenfahrer könnten damit "unglaubliche Linien fahren, aber mit so einem Setup bewegt man sich in Wirklichkeit jenseits von Gut und Böse."

Der deutsche Alpinchef Wolfgang Maier forderte in Wengen, die Fehler der Athleten müssten "verzeihbar" werden, das sei aktuell aber nicht der Fall. Und, sagte er: "Es ist nicht ein Teil allein, es sind mehrere Teile, die zusammenwirken, um das zu erreichen, was wir aktuell haben: einen extrem gefährlichen Sport." Im Gespräch ist ein Verbot der Carbon-"Stutzen" oder -Einlagen, dickere Rennanzüge, Airbags nicht nur für den Rücken, sondern auch für den Kopf, und größere Skischuhe. Ein Problem an den aktuellen Airbags: Sportler können sich von der Pflicht mit einer Sondergenehmigung befreien. Ziemlich absurd. Bis es zu neuen Regeln kommt, wird reichlich Zeit vergehen. Und ein neuer Höllenritt auf der Streif an diesem Samstag.

Quelle: ntv.de, tno

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