Marion Jones ist eine der prominentesten Doperinnen.
(Foto: IMAGO/USA TODAY Network)
Erst sind es nur Nahrungsergänzungsmittel, dann auch Doping: Victor Conte versorgt Anfang der 2000er-Jahre zahlreiche Sportstars. Er fliegt auf, der Balco-Skandal geht in die Geschichte ein. Der US-Amerikaner muss ins Gefängnis, zeigt sich anschließend geläutert und uneinsichtig gleichermaßen. Nun ist er tot.
Alles beginnt mit einer Spritze ohne Nadel, verpackt in einem Päckchen ohne Absender. Adressiert an die USADA, die amerikanische Anti-Doping-Agentur. Eine Postsendung, die die "Sprengkraft einer atomaren Bombe" hat, so beschreibt es Experte Charles Yesalis von der Pennsylvania State University damals.
Denn in der Spritze befindet sich ein Rest durchsichtiger Flüssigkeit. Es dauert Wochen, bis sie analysiert und identifiziert ist. Das Ergebnis: das anabole Steroid Tetrahydrogestrinon (THG), ein bis dato nicht nachweisbares Dopingmittel. Die Spritze ist der Anfang vom Ende des wohl größten Dopingskandals der Sportgeschichte. Ins Rollen gebracht von US-Leichtathletiktrainer Trevor Graham, der die Spritze im Juni 2003 verschickt und in einem anonymen Anruf zusätzlich Namen einer Reihe von Athleten nennt, die er des Dopings mit THG bezichtigt.
Victor Conte vertreibt auch nach seiner Haft wieder Nahrungsergänzungsmittel.
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Noch dazu nennt er den Urheber des Anabolikums: Victor Conte. Er ist nun, am 3. November 2025, im Alter von 75 Jahren verstorben. Im Juni hatte er bekannt gegeben, dass bei ihm Bauchspeicheldrüsenkrebs diagnostiziert wurde.
Der US-Amerikaner ist schon Anfang der 2000er kein Unbekannter. Er wird zweifelhaft berühmt, als er während der Olympischen Spiele in Sydney zugeben muss, dem positiv getesteten Kugelstoßer C.J. Hunter verbotene Mittel besorgt zu haben. Der US-Amerikaner ist Weltmeister, fehlt bei Olympia offiziell wegen einer Knieverletzung, sein tausendfach erhöhter Nandrolon-Wert und auch zu hohes Testosteron werden während der Spiele bekannt, bei denen er doch dabei ist: als Ehemann und Trainer von Sprintstar Marion Jones. Eine Beziehung, die später noch relevant werden soll.
"Die Jagd hat erst begonnen"
Conte ist der Inhaber der Firma Balco (Bay Area Laboratory Co-Operative), die Nahrungsergänzungsmittel für Sportler herstellt und Blut- sowie Urinuntersuchungen durchführt. Er hatte sich zuvor in der Musikszene ausprobiert, als Bassist, als Manager, ohne großen Erfolg. Dann steigt Conte in die Gesundheitsbranche ein, inszeniert sich als Wissenschaftler, obwohl er nie wissenschaftlich gearbeitet, sondern Rechnungswesen studiert hatte. Während er leitet und Kontakte aufbaut, ist sein Team für die Mittel zuständig. Das THG wird vom Chemiker Patrick Arnold hergestellt, der laut eigener Aussage im Jahr 2000 von Conte ins Team geholt wurde. Er hatte schon zuvor leistungssteigernde Mittel erforscht und entwickelt.
Bereits seit August 2002 ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen das Unternehmen im Zusammenhang mit Vorwürfen der Steuerflucht. Conte ist zigfach verklagt worden, Vertragsbruch und Schulden. Balco soll zudem Ärzte geschmiert haben. Die Ermittlungen weiten sich mit der Entdeckung von THG massiv aus. Bei einer Durchsuchung des Firmensitzes finden Ermittler Namenslisten gedopter Athleten, Steroide, Wachstumshormone und Geld. Die Kunden von Balco sind überaus prominent: Topstars aus verschiedenen Sportarten, mehr als 250 Spieler der NFL. Die Brisanz ist immens, plötzlich stehen sie alle unter Verdacht.
Durch die Reste aus der Spritze kann ein Testverfahren gegen das Dopingmittel entwickelt werden. Es ist das 17. Steroid, das getestet werden kann. 550 bereits vorhandene Proben von Athleten werden einem erneuten Test unterzogen, in mehr als 20 wird THG festgestellt. Unter anderem in den Proben des britischen Sprintstars Dwain Chambers und einigen US-Leichtathleten. Hunderte Sportler aus der Leichtathletik, aber auch Baseball und Football erhielten in der Folge eine Vorladung des Gerichts. "Die Jagd hat erst begonnen", sagt Yesalis damals.
Marion Jones bekennt sich schuldig
Und er soll recht behalten. Viele Sportler werden in den folgenden Jahren des Dopings überführt und gesperrt. Etwa Sprintstar Marion Jones. Auch ihr damaliger Lebensgefährte Tim Montgomery stürzt über den Skandal. Sein Weltrekord - eine Hundertstel schneller als der gedopte Ben Johnson 1988 in Seoul - wird aberkannt, er wird gesperrt und erklärt im Dezember 2005 seinen Rücktritt.
Jones wehrt sich länger als er, obwohl sie früh in Verdacht gerät. Conte nennt sie namentlich, auch ihr Ex-Mann Hunter belastet sie schwer. 2004 reicht sie eine Klage wegen Verleumdung gegen Conte ein, wirft ihm vor, er habe versucht, "ihre Karriere und ihren Ruf zu zerstören". 2007 bekennt sie sich dann doch noch schuldig, 2003 einen Bundesbeamten über ihren Steroidkonsum belogen zu haben. Im Januar 2008 wird sie zu sechs Monaten Haft und zwei Jahren Bewährung verurteilt. Zudem verliert sie unter anderem ihre fünf Olympia-Medaillen von den Sommerspielen 2000, auch mehrere WM-Titel werden nachträglich aberkannt.
Jones erhält damit eine härtere Strafe als Conte. Dieser betont im Februar 2004, unschuldig zu sein, als er wegen Geldwäsche, Betrug und Besitz von Steroiden mit der Absicht des Weiterverkaufs angeklagt wird. Doch ein halbes Jahr darauf erklärt er sich vor Prozessbeginn in 2 der 42 Anklagepunkte für schuldig - Vertrieb von Steroiden und Geldwäsche - und verhindert damit weitgehend einen spektakulären Prozess, der im Oktober begonnen hätte. Er erhält eine Geldstrafe sowie vier Monate Haft und vier Monate auf Bewährung. Die Haftstrafe bezeichnet er später als "eine Art Männer-Retreat".
Conte nennt sich nach Haft "Anti-Doping-Befürworter"
2007 kehrt er ins Geschäftswesen zurück, vertreibt wieder Nahrungsergänzungsmittel und arbeitet dabei vor allem mit Boxern zusammen. Die Firma Snac Systems, die er schon 1987 gegründet hatte und nun wiederbelebt, hat den gleichen Unternehmenssitz wie zuvor Balco. Sie macht ihn laut eigener Aussage reich, mehr als 80 Millionen Dollar habe er verdient, sagt Conte in einer 2023 erschienenen Netflix-Dokumentation über den Balco-Skandal. Denn während die Sportler geächtet und gesperrt wurden, macht ihn die Öffentlichkeit berühmt.
2010 sagt Conte in einem Interview mit der Associated Press: "Ja, Sportler betrügen, um zu gewinnen, aber auch Regierungsbeamte und Staatsanwälte betrügen, um zu gewinnen." Er habe lediglich zu "gleichen Wettbewerbsbedingungen" beigetragen, in einer Welt, in der ohnehin alle betrügen würden. Conte stellt zudem infrage, ob der Aufwand des Verfahrens gerechtfertigt gewesen sei.
Gleichzeitig betont er, keine krummen Dinger mehr zu machen. 2012 steigt er tiefer in den Boxsport ein, beginnt als Fitnesstrainer und Ernährungsberater von Weltmeistern wie dem Philippino Nonito Donaire sowie Andre Berto und Andre Ward aus den USA. Er sei "dankbar für diese zweite Chance", sagt er.
Und gibt sich als Kämpfer gegen Doping: "Als jemand, der sich so lange ihrem System entziehen konnte, fiel es mir leicht, auf die vielen bestehenden Lücken hinzuweisen und konkrete Maßnahmen zur Verbesserung der Gesamtwirksamkeit ihres Programms zu empfehlen", sagt er nach einem Treffen mit dem damaligen Vorsitzenden der Welt-Anti-Doping-Agentur, Dick Pound.
Passend dazu präsentiert seine Firma in Social-Media-Beiträgen Conte nicht nur als "Mastermind", sondern immer auch als "Anti-Doping-Befürworter". Während das World Boxing Council, das den WBC-Weltmeistertitel im Profiboxen verleiht und als einer von vier großen Verbänden anerkannt ist, in einer Pressemitteilung um Conte trauert, wird er den meisten in Erinnerung bleiben als Drahtzieher eines der größten Sportskandale der Geschichte.
Quelle: ntv.de
