Geisterspiele, Chaos, Geldsorgen Was dem deutschen Sport jetzt droht
09.03.2020, 21:13 Uhr
In Italien wird bereits unter Ausschluss der Öffentlichkeit gespielt.
(Foto: imago images/LaPresse)
Dem deutschen Sport drohen wegen der Ausbreitung des neuartigen Coronavirus "Geister-Spiele" und Absagen. Nach der am Montag erneuerten Empfehlung von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU), Großveranstaltungen mit mehr als 1000 Besuchern offensiver abzusagen, wächst auch der Druck auf die großen Profiligen des Landes.
Warum sollen auch Sport-Großveranstaltungen vorerst nicht mehr stattfinden?
Für Minister Spahn ist es das oberste Ziel, die Ausbreitung der Krankheit zu verlangsamen. "Denn je langsamer sich das Virus verbreitet, desto besser kann unser Gesundheitssystem damit umgehen", sagte er. "Es ist sicher leichter, auf Konzerte und Fußballspiele zu verzichten als auf den Weg zur eigenen Arbeit." Auch der Chef des Weltärztebundes, Frank Ulrich Montgomery, schloss sich Spahns Empfehlung an und sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland: "Man kann nicht Fußballspiele mit 35.000 Besuchern stattfinden lassen, als wäre nichts geschehen."
Wie reagiert der Sport auf die Empfehlung des Gesundheitsministers?

Jubeln vor leeren Rängen: Ein Bild, an das sich Fans und Spieler wohl schon einmal gewöhnen müssen.
(Foto: imago/Sven Simon)
Geschäftsführer Christian Seifert von der Deutschen Fußball Liga rechnet schon an diesem Wochenende mit Geister-Spielen in der Bundesliga. "Wir würden am liebsten schon nächsten Spieltag mit Zuschauern spielen. Das ist aber leider nicht realistisch", sagte er am Montag bei "Bild live". Eine Komplett-Absage schließt die DFL derzeit aber genauso aus wie die Bundesligen im Handball, Basketball und Volleyball sowie die Deutsche Eishockey-Liga. "Aufzuhören ist keine Option. Wir brauchen Mitte Mai eine Tabelle, damit die Klubs planen können", sagte Seifert dazu.
Ob das Länderspiel der Handball-Nationalmannschaft am Freitag in Magdeburg gegen die Niederlande wie geplant stattfinden kann, ist ungewiss. Das Gesundheitsamt der sachsen-anhaltinischen Landeshauptstadt prüft nach Informationen des Sportinformationsdienstes aktuell mögliche Konsequenzen für die Veranstaltung.
Die traditionsreiche Radsport-Fernfahrt Paris-Nizza wird unter geänderten Rahmenbedingen fortgesetzt. Im Zuge einer Anordnung der Regierung, die am Sonntagband Veranstaltungen mit mehr als 1000 Teilnehmern untersagt hat, wird das Rennen fortan "hinter verschlossenen Türen" ausgetragen, wie die Veranstalter am Montag während der zweiten Etappe nach Chalette-sur-Loing mitteilten. Auf einer Länge von 100 bzw. 300 Metern werden an den Podien im Start- und Zielbereich Pufferzonen eingerichtet und der Zugang für die Öffentlichkeit dort eingeschränkt.
Wer darf Spiele mit großen Zuschauerzahlen verbieten?
Im Falle einer Gefährdung von Spielern und Zuschauern können nur die lokalen Gesundheitsbehörden eine solche Entscheidung treffen, weil dabei neben Aspekten der Infektionsvorbeugung auch solche des gesamten öffentlichen Lebens zu berücksichtigen sind. Die Dachorganisationen des Sports sind nicht berechtigt, eine Partie abzusagen, weil sie nicht als Veranstalter fungieren.
Daher gibt es keine einheitliche Linie bei der Entscheidungsfindung. So muss Borussia Dortmund am Mittwoch in der Champions League bei Paris Saint-Germain vor leeren Rängen spielen, während das Königsklassen-Heimspiel von RB Leipzig gegen Tottenham Hotspur am Dienstag vor vollen Rängen ausgetragen wird. Auch für das Zweitliga-Topspiel VfB Stuttgart gegen Arminia Bielefeld am Montagabend gibt es keine Einschränkungen.
Gibt es noch andere Möglichkeiten außer Verschiebungen oder "Geister-Spiele"?
Der Handball-Bundesligist Eulen Ludwigshafen muss nach Aussage von Trainer Ben Matschke vor dem ausverkauften Heimspiel gegen den THW Kiel am 19. März die Personalien aller Zuschauer erfassen. Das Gesundheitsamt habe entsprechende Restriktionen erlassen. "Bevor die Zuschauer die Halle betreten, müssen wir über jeden Bescheid wissen", sagte Matschke. Eine solche Maßnahme dürfte für die meisten Vereine nur schwer zu bewältigen sein - und könnte auch Datenschützer auf den Plan rufen.
Zuschauer des Spiels zwischen den Fußball-Drittligisten Hansa Rostock und Eintracht Braunschweig am Montagabend müssen sich im Zuge der Coronavirus-Vorsorge an Auflagen des Gesundheitsamts halten. Alle Zuschauer wurden verpflichtet, an den Eingängen die Hände zu desinfizieren. Der Klub will dafür ausreichend Desinfektionsmittel zur Verfügung stellen und die Desinfektion über den Ordnungsdienst gewährleisten. Über entsprechende Verhaltenshinweisen soll zudem durch den Stadionsprecher, über Aushänge im gesamten Stadion sowie auf der Homepage der Rostocker informiert werden.
Wie kurzfristig können Behörden oder Veranstalter eingreifen?
Das kann bis zur Öffnung der Stadion- oder Hallentore wenige Stunden vor dem Anpfiff geschehen, wie die jüngsten Beispiele gezeigt haben. Sowohl das Fußball-Bundesligaspiel zwischen Borussia Mönchengladbach und dem 1. FC Köln am 9. Februar als auch die Europa-League-Partie von Eintracht Frankfurt bei RB Salzburg am 28. Februar wurden wegen Sturmwarnungen jeweils am geplanten Spieltag abgesagt. Gesundheitsminister Spahn rät allerdings zu frühzeitigen Entscheidungen, um allen Beteiligten und Betroffenen die nötige Planungssicherheit zu geben.
Horst Heldt, Sportdirektor des 1.FC Köln, der am Mittwoch zum Nachholspiel bei Borussia Mönchengladbach antreten soll, ärgert sich derweil über eine Hängepartie: "Ich finde es konsequent inkonsequent, was wir gerade tun. Wir handeln gerade inkonsequent in vielerlei Hinsicht", sagte der Ex-Nationalspieler auf der Pressekonferenz am Montag. Die Begegnung im Borussia-Park war im ersten Anlauf aufgrund eines Sturms abgesagt worden. Die Stadt Mönchengladbach hatte vorher bekannt gegeben, dass eine Entscheidung über die Austragung der Partie als "Geister-Spiel" oder eine Absage erst am Dienstag getroffen werde. "Manche Spiele finden statt, andere nicht. Ich würde mir wünschen, dass es eine klare Ansage gibt. Menschen in Führungspositionen müssen führen. Das muss der Trainer, das muss ich", ergänzte Heldt, "das würde ich mir von anderen auch manchmal wünschen."
Welche Maßnahmen haben die Klubs und Dachorganisationen bereits ergriffen?
Der Kontakt der Spieler zu den Fans wird auf ein Minimum reduziert oder ganz vermieden. Selfies mit den Stars oder Autogramme gibt es für die Fans derzeit so gut wie nicht. Ligen und Vereine empfahlen den Sportlern zudem, auf den Handschlag vor und nach Spielen zu verzichten. Nach dem BVB-Gastspiel in Paris wird es am Mittwoch keine Mixed Zone mit den Spielern geben. In manchen Arenen wurden Fans zusätzliche Desinfektionsmittel angeboten. Borussia Mönchengladbach bat Fans aus dem besonders vom Virus betroffenen Kreis Heinsberg, nicht zum Topspiel gegen Borussia Dortmund am vergangenen Samstag zu kommen. 550 Ticketinhaber machten vom Angebot der Kaufpreiserstattung Gebrauch.
Was würden Absagen und Verlegungen mit Blick auf die Spielpläne bedeuten?
Es würde ein Terminchaos drohen, denn Ausweichtermine sind in der Schlussphase einer Saison rar. Im Fußball würde es besonders eng werden, wenn Vereine beteiligt wären, die noch im DFB-Pokal und den Europapokal-Wettbewerben mitmischen. Das sind Bayern München in der Champions League und Bayer Leverkusen sowie Eintracht Frankfurt in der Europa League. Aber auch im Eishockey, wo in dieser Woche die Playoffs beginnen, und in den anderen großen Ballsportarten sind die Spielpläne dicht gedrängt. Anders sieht es in der 2. Fußball-Bundesliga aus, wo die DFL laut Seifert derzeit prüft, "ob einzelne Spieltage verschiebbar sind".
Falls es "Geister-Spiele" gibt - wer darf dabei sein?
Zuerst: Auch ein Spiel ohne Zuschauer kann nur von den lokalen Gesundheitsbehörden angeordnet werden. Eine solche Entscheidung würde den gastgebenden Verein praktisch das Heimrecht kosten und diesen zugleich um Einnahmen aus dem Ticketverkauf bringen. Sollte es dazu kommen, würden neben den beteiligten Mannschaften noch Betreuer, Ballkinder, Arena-Personal und Journalisten dabei sein.
Könnten "Geister-Spiele" im Free-TV übertragen werden?
Die Übertragung von Spielen der Fußball-Bundesliga im Free-TV ist für den Pay-TV-Sender Sky im Augenblick nicht denkbar. "Das geben die Verträge in dieser Form nicht her", sagte ein Sprecher auf Anfrage der Düsseldorfer "Rheinischen Post". In der englischen Premier League wurde über ein ähnliches Modell im Fall von "Geister-Spielen" spekuliert.
Sollte es zu Spielen ohne Fans kommen, werde man den Austausch mit der Deutschen Fußball Liga (DFL) suchen, betonte Sky. Ohne die Zustimmung der DFL sei es auf keinen Fall möglich: "Wenn eine Entscheidung getroffen wurde, kann es natürlich sein, dass man in den Austausch miteinander kommt."
In den Verträgen sei nur festgehalten, dass der Bezahlsender für Promotions-Zwecke zwei Partien pro Saison unverschlüsselt ausstrahlen oder die Rechte an einen Partner wie zum Beispiel ARD und ZDF weitergeben darf.
Wer entschädigt die Fans?
Solche Forderungen müssten sich an die betroffenen Vereine als Veranstalter der Spiele richten. Die Frage von Entschädigungen für Fans, die Tickets erworben haben, stehe bei den Klubs daher "ganz oben auf der Agenda", sagte DFL-Boss Seifert. Borussia Dortmund kündigte am Montag bereits an, seinen Fans die Kosten für die Eintrittskarten für das Champions-League-Spiel in Paris zu erstatten. Grundsätzlich haben die Fans natürlich Anspruch auf Entschädigung.
Wie sind die wirtschaftlichen Folgen von Geister-Spielen für Vereine und Veranstalter?
Die finanziellen Folgen für den Sport sind einstweilen nicht abzusehen, sollte es wenigstens zu Geister-Spielen kommen. Der Bundesliga-Fußball wäre noch am ehesten in der Lage, dies aufzufangen. In der vergangenen Saison betrugen die Erlöse der 18 Erstligisten aus dem Zuschaueraufkommen 520 Millionen Euro. Dies entspricht 12,9 Prozent des Gesamtumsatzes. Viel stärker betroffen wären allerdings die Klubs anderer und weit weniger finanzstarker Ligen, bei denen die Zuschauereinnahmen einen weit höheren Anteil am Gesamtetat ausmachen.
"Geisterspiele" würden die gastgebenden Vereine aber praktisch das Heimrecht kosten und diese zugleich um Einnahmen aus dem Ticketverkauf bringen. Die DFL prüft aus diesem Grund derzeit die Möglichkeit von Anpassungen des Lizenzierungsverfahrens für die Saison 2020/21, um mögliche finanzielle Nachteile für einzelne Klubs infolge von Auswirkungen des Coronavirus entsprechend zu berücksichtigen. Möglicherweise könnten auch Einnahmen aus der Zentralvermarktung früher ausgezahlt werden, um Klubs im Fall von möglichen Liquiditätsengpässen zu entlasten.
"Ich bin mir bewusst, welche Folgen das für Bürgerinnen und Bürger oder Veranstalter hat", hatte Spahn schon am Sonntag gesagt und angekündigt, "in den nächsten Tagen" auch darüber sprechen zu wollen, "wie wir mit den wirtschaftlichen Folgen umgehen. Klar ist aber: Unsere Gesundheit geht vor".
Quelle: ntv.de, Christian Hollmann & Eric Dobias, dpa