Formel1

"Irgendwann knallt's" in der F1 Hoppel-Boliden lösen heftigen Schmerz und Krach aus

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Schmerzen erleiden die Formel-1-Piloten schon jetzt, ein schwerer Unfall könnte folgen, warnen sie. Vor allem Lewis Hamilton leidet heftig unter dem Hoppeln der Boliden, ihm droht sogar eine Zwangspause. Die Lösung des Problems wäre recht einfach - doch diese ginge auf Kosten des Tempos. Und so wird heftig diskutiert.

Lewis Hamilton lief wie ein alter Mann durch das Fahrerlager der Formel 1 in Baku. Mal gebückt, mal mit steifem Gang, hielt er sich den Rücken. Nun ist der Rekordweltmeister mit seinen 37-Jahren nach Fernando Alonso der zweitälteste Fahrer in der Motorsport-Königsklasse, seine Qual aber hatte nichts mit dem Alter zu tun. Sondern mit peinigenden Schmerzen, die er sich auf der Rennstrecke zugezogen hatte. Hamilton leidet wegen des sogenannten Porpoising, das die Boliden in diesem Jahr vollführen - und der Mercedes eben besonders stark.

Denkbar ist, dass er am kommenden Wochenende beim Grand Prix in Kanada sogar aussetzen muss. Es sei "definitiv" möglich, dass Hamilton fehlen werde, so Teamchef Toto Wolff. Ihn plagten nicht nur muskuläre Probleme, Hamilton erwischte es schlimmer: "Das geht echt tief auf die Wirbelsäule und das hat Folgen", so Wolff. Grund sind die ständigen Schläge, die vom technischen Problem herrühren. Bei hoher Geschwindigkeit werden die Autos auf den Geraden auf den Boden gepresst, bis diese kurz den Asphalt berühren und so wieder hochgedrückt werden. Das Phänomen ähnelt der Fortbewegung von Schweinswalen, die durch das Wasser hüpfen - und so wurde es auch nach dem englischen Wort für das Tier - Porpoise - benannt. Klingt niedlich, die Fahrer aber werden dabei immer wieder heftig durchgerüttelt.

"Ich kann den Schmerz überhaupt nicht erklären, den man da hat, vor allem auf der Geraden. Am Ende betet man nur noch, dass es zu Ende ist", sagte Hamilton, nachdem er auf Platz vier angekommen war. Er habe wegen der Kopf- und Rückenschmerzen "auf die Zähne gebissen" und es dank des Adrenalins bis ins Ziel geschafft. Nur Massagen und Akupunktur würden ihm helfen, hatte er bereits nach dem Training erzählt. Ganz weg gehe der Schmerz derzeit aber nicht.

"Es sieht schrecklich aus und fühlt sich 100 Mal schlimmer an"

"Ich habe im Internet gesehen, dass sich viele Leute Sorgen um mich gemacht haben, weil es da draußen so schrecklich aussah. Es bedeutet mir so viel, dass so viele von euch mir Liebe schicken", meldete sich Hamilton in der Nacht zu Sonntag bei Instagram. "Ich will ehrlich sein, es sieht schrecklich aus und fühlt sich 100 Mal schlimmer an."

Zugleich gratulierte er in dem Post seinem Teamkollegen George Russell zum dritten Platz. Der 24-Jährige hatte weniger Schmerzen, was aber auch daran liegt, dass bei Hamiltons Boliden am Samstag weiter getüftelt wurde - in die falsche Richtung, wie Hamilton laut formel1.de zugab: "Ich hatte experimentelle Teile am Auto und eine andere Hinterradaufhängung." Es habe nicht wie erhofft funktioniert. Zufrieden ist aber auch Russell nicht. "Ich denke, es ist nur eine Frage der Zeit, bis es zu einem größeren Zwischenfall kommt", sagte der Brite laut motorsport.com. "Viele von uns können das Auto über diese Unebenheiten kaum noch in einer geraden Linie halten."

Das wurde in Baku besonders deutlich, einer Rennstrecke, die sich durch ihre langen Geraden auszeichnet. Hamilton sagte: "So oft wäre ich beinah in die Mauer gefahren." Es litten sogar einige, die zuvor weniger Probleme hatten. Etwa Carlos Sainz, den anders als seinen Teamkollegen Charles Leclerc sein hüpfendes Auto "doch ziemlich genervt" habe. "Ich hatte aus irgendeinem Grund ein Auto, oder einen Boden, der viel mehr schwamm und den Boden berührte als das andere Auto mit der gleichen Abstimmung", so der Ferrari-Pilot. "Das hat mich das Selbstvertrauen gekostet, gerade in der Bremszone." Dass er dann schon in der neunten Runde des Rennens aufgrund eines Hydraulikdefekts ausfiel, dürfte seine Laune nur verschlechtert haben. Immerhin musste er das Hoppeln nicht über 51 Runden ertragen.

Auch für Sainz ist das Porpoising nicht neu: Schon nach zwei Monaten der Saison spüre er Auswirkungen im Rücken und Nacken, hatte er im Mai mitgeteilt. Der dienstälteste Pilot, Alonso, sagte, die Fahrt mit den aktuellen Autos sei "die schlechteste der letzten 20 Jahre". Zuvor hatte Russell darauf verwiesen, dass in anderen Sportarten wie Fußball und American Football das Risiko von möglichen Hirnschäden lange unterschätzt und erst durch Studien ermittelt wurde. Derlei Untersuchungen müsse es auch für die Formel 1 geben.

"Irgendwann knallt's"

Auch Alpine-Pilot Esteban Ocon leidet. "Auf diese Ausschläge kannst du dich nicht vorbereiten oder darauf trainieren, damit du bereit wärst. Es schmerzt einfach nur am ganzen Körper", sagte er laut motorsport-total.com. "Der Kopf wird ganz schön herumgeworfen." Auf der Rennstrecke von Baku habe er sogar gedacht, "ich würde am Ende der Geraden den Helm verlieren", so sehr sei er durchgeschüttelt worden. Gleichzeitig versuchte es der größte Fahrer im Feld mit Galgenhumor: "Hoffentlich verliere ich dadurch ein paar Zentimeter!"

Eine schnelle Änderung des Problems ist nicht in Sicht. Das glaubt auch Alonso, der darauf verweist, dass sich auf den glatten Kursen in Melbourne und Dschidda niemand beschwert habe. Eine Regeländerung "wird für alle Teams sehr schwierig zu vereinbaren sein", sagte der Spanier, "aber ja, ich wünsche mir, dass sie etwas für die jungen Kerle tun - für mich ist es für ein paar weitere Jahre okay."

"Ich glaube nicht, dass wir die nächsten vier Jahre so fahren können", sagte Russell, der zu den "jungen Kerlen" gehört. "Wir müssen einfach (über eine Regeländerung, Anm.d.Red.) sprechen, weil alle im selben Boot sitzen." In seiner Funktion als Direktor der Fahrervereinigung GPDA hat er auch schon beim Motorsport-Weltverband FIA vorgesprochen. Am Freitag gab es ein Treffen mit Renndirektor Niels Wittich. Sein Ferrari-Konkurrent Sainz resümierte laut racefans.com: "Wir haben die FIA gebeten, sich das anzusehen, nicht zu sehr auf die Teams zu hören und stattdessen auf uns zu hören, weil wir gesagt haben, dass wir alle an einem Punkt angelangt sind, an dem wir damit nicht mehr zurechtkommen."

Sebastian Vettel betonte bei Servus TV: "Jetzt kann man natürlich sagen: Ja, aber das Auto hüpft so, dann ändert das Setup und dann ist gut. Aber ich glaube, wir sollten da nicht uns in die Pflicht nehmen, sondern vielleicht mit den Regeln reagieren" Er machte deutlich: "Kann ja auch nicht sein, dass wir jetzt vier Jahre so durch die Gegend fahren. Irgendwann knallt's und knallt's richtig und dann steht jeder da und sagt: Ja, wir haben ja schon vorher darüber gesprochen."

Selbstverursachtes Problem?

Unterstützung bekommen die Fahrer von McLaren-Teamchef Andreas Seidl: "Die Härte, die man bei einigen Autos sieht, ist brutal für die Fahrer." Er verglich die Situation mit der vor der Saison, als der Technische Beratungsausschuss den Teams erlaubte, Streben am Unterboden zu montieren, um eine Verbiegung des Bodens bei hohen Geschwindigkeiten besser kontrollieren zu können. Diese waren zunächst verboten, wurden dann aber doch eingeführt und haben das Porpoising teilweise gelindert.

Auch Aston Martin hat mittlerweile eine Lösung gefunden, Vettel und Lance Stroll sitzen seit Barcelona im runderneuerten Auto. "Mit unserem alten Auto wäre es hier sehr schwierig geworden", sagte Teamchef Mike Krack in Baku. Und so sind nicht alle Teams gleich stark betroffen - und damit auch jetzt nicht einstimmig für grundlegende Regeländerungen. Offenbar hätte das Porpoising sogar vorab verhindert werden können, heißt es bei motorsport.com. So seien Regeln diskutiert worden, die verhindert hätten, dass die Autos so niedrig liegen. Allerdings wurde diese Änderung nicht von genügend Teams unterstützt.

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Und auch jetzt liegen die Autos möglichst tief, obwohl dies das Porpoising fördert und die Gesundheit der Fahrer gefährdet. Warum? Weil sie ansonsten deutlich an Leistung einbüßen würden. So gehen die Diskussionen weiter - und die Schmerzen. Ob Hamilton beim Rennen in Montreal wieder fit ist, wird sich zeigen. "Die Lösung könnte sein, jemanden in Reserve zu halten, was wir ohnehin bei jedem Rennen haben, damit wir sicher sind, dass unsere Autos fahren", sagte Teamchef Wolff. Die Ersatzpiloten bei Mercedes sind der Belgier Stoffel Vandoorne und der Niederländer Nyck de Vries.

Doch vorschnell aufgeben will Hamilton nicht, obwohl er während des Rennens am Boxenfunk gefleht hatte: "Mein Rücken bringt mich um. Lasst uns bitte etwas verändern, okay?" Bei Instagram schrieb er in der Nacht: "Ich muss mich auf jeden Fall noch etwas erholen und mit dem Team hart arbeiten, bevor ich in Montreal diese Hürde nehmen kann. Es geht mir aber schon besser und ich bin motiviert, weiterzumachen. Wir sehen uns nächste Woche."

Quelle: ntv.de

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