Überheblichkeit bei EM-Aus Bei Frankreich war nur einer Weltklasse

Jubel.

Jubel.

(Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS)

Mit einem Kader voller Ausnahmespieler reist die französische Nationalmannschaft zur Fußball-Europameisterschaft. Besonders einer sticht aus dem Starensemble heraus: Paul Pogba. Während seine Leistungen bei Manchester United enttäuschten, trumpft er bei der Equipe Tricolore auf.

Verständlich, dass es bei Paul Pogba irgendwann rausmusste. Schließlich hatte er gerade das 3:1 gegen die Schweiz im Achtelfinale der Fußball-Europameisterschaft geschossen. Dementsprechend ausschweifend zelebrierte der Franzose das auch. Es wirkte, als wären es mehrere Jubelarten in Folge, die er sich eigens für das Turnier überlegt hatte. Die Schweizer haben zwar mutig gekämpft und gespielt, aber zwei Tore in den restlichen 15 Minuten aufholen? Gegen den Weltmeister? Also bitte. Die Sache war scheinbar erledigt.

Es war sein viertes Tor bei einem großen Turnier. Und was für eins. Allein dieses Tor hätte schon für dieses Spiel gereicht. Ein Tor, wie es nur wenige außer Paul Pogba schießen können. In der 75. Minute blockte ein Schweizer den Schussversuch von Karim Benzema an der Strafraumkante ab. Über Umwege erreichte der Schuss den ungefähr 25 Meter vor dem Tor stehenden Pogba. Der Franzose brauchte ein, zwei Kontakte, um den Ball zu kontrollieren. Er schaute hoch und zog ab. Nicht einfach mit Kraft und Wucht, sondern mit viel Auge und Gefühl. Und das, obwohl er beim Anlauf noch sein Gleichgewicht suchte.

Der Ball drehte sich in den Winkel - unhaltbar für den Schweizer Torwart Yann Sommer. Es ist einer der vielen Momente, in denen aufblitze, wozu diese französische Mannschaft fähig ist. Warum sie 2018 Weltmeister wurde. Immer wieder gab es diese Augenblicke bei der Europameisterschaft. Im Auftaktspiel gegen Deutschland wären da zum Beispiel die zwei Abseitstore von Kylian Mbappé. Oder immer wieder N'Golo Kante, der die deutschen Offensivbemühungen häufig entschärfte. Oder auch Pogba, der mit Überblick und sagenhafter Technik das Eigentor von Mats Hummels einleitete.

Zwischen Licht und Schatten

Auch im Achtelfinale gegen die Schweiz gab es solche Momente. Beispielsweise als der Equipe-Rückkehrer Karim Benzema vor dem 1:1-Ausgleich einen nicht optimalen Mbappé-Pass mit einer Bewegung mitnahm, bei der sich wahrscheinlich die meisten in der Hüfte mindestens etwas gezerrt hätten. Oder die alleinige Tatsache, dass der amtierende Weltmeister das Spiel nach dem verschossenen Elfer der Schweizer binnen Minuten drehten. Oder mit welcher Übersicht Pogba in der Verlängerung Mbappé bediente, der den anschließenden Schussversuch verstolperte. Trotz all dieser Momente sind sie am Ende raus.

Denn so brillant die Franzosen waren, so wankelmütig waren sie auch. Schon bei den Unentschieden gegen Ungarn oder Portugal zeigte das Team von Didier Deschamps nicht den erhofften Weltmeisterglanz. Auch gegen Deutschland machten sie nur das Nötigste: ein frühes Tor und dann verteidigen wie die Weltmeister (frei nach Joachim Löw). Für das DFB-Team und die Gruppenphase reichte das. Wenn Deschamps Haushalten geklappt hätte, wäre das jetzt ein Text über die gnadenlose Sparsamkeit des Weltmeisters. Ist es aber nicht. Vielleicht war es eher ein Anflug von Überheblichkeit.

Wahrscheinlich ist Folge dieser Sparsamkeit, dass vermutlich keiner der Franzosen dachte, dass die Schweizer zurückkommen würden. Obwohl die Equipe eine nur mäßige erste Hälfte gespielt hatte und obwohl sie noch Glück hatte, dass der Schweizer Ricardo Rodriguez in der 55. Minute einen berechtigten Foulelfmeter verschossen hatte. Zu gut waren die beiden Tore von Benzema und das von Pogba. Zu gut waren auch dessen Pässe.

Schon beim EM-Auftakt gegen Deutschland wirkte Pogba wie ausgewechselt im Vergleich zur abgelaufenen Saison. "Ich frage mich wirklich, was Paul Pogba das ganze Jahr bei Manchester United macht. Wo ist der das ganze Jahr?", sagte Rio-Weltmeister Kramer. Pogba, der bei United mitunter fahrig oder gar tollpatschig daherkommt, sei diesmal "Weltklasse" gewesen: "Wenn der diese Spielfreude hat, dann ist es der beste Mann."

Enttäuschend bei Man United

Im Klub hat er die nicht. Viele Man-United-Fans schauten wohl erstaunt darauf, wie Pogba das Spiel der Franzosen lenkte, sie antrieb und auch Tore vorbereitete und eines schoss. Bei der Equipe Tricolore schufen sie ihm eine Wohlfühloase. Von Trainer Deschamps bekam er das Vertrauen, das ihm United-Coach Ole Gunnar Solskjær offenbar nicht so häufig schenkte.

Nicht nur deshalb gibt es immer wieder Wechselgerüchte um den Rekordeinkauf der Red Devils. Seit er 2016 von Juventus Turin zurückgekehrt war, trug er immer dieses 105-Millionen-Euro-schwere Versprechen mit sich. Fehlendes Vertrauen und damit auch unregelmäßige Einsätze nagten an ihm. "Er kann im Klub weder mit seiner Einsatzzeit, noch mit seiner Position zufrieden sein", hatte Deschamps im vergangenen November gesagt.

Auch am Montagabend wurde das deutlich. "Er kann so viel geben", sagte der ehemalige französische Nationalspieler Patrick Viera. Dafür brauche Pogba aber jemanden, der ihm den Rücken freihält. In der französischen Nationalmannschaft füllt N'Golo Kanté diese Rolle aus. Bei United fehlt ihm das. United-Ikone Roy Keane sagte nach Frankreichs EM-Aus, trotz aller Klasse, die Pogba aufs Feld bringt: "Am Ende hinterlässt er dich frustriert".

Bei der EM tat er nun das Gegenteil. Er strahlte, er hatte seine Momente, er spielte hervorragende Pässe. Gegen die Schweiz machte er dieses spektakuläre 3:1. Nur waren es diesmal Mbappé und Co. die nicht überzeugten. Aber am Ende war es auch dann unfreiwillig Pogba, der die Eidgenossen zurück ins Spiel holte. Er war es, dem in der Nachspielzeit der regulären 90 Minuten im Mittelfeld der Ball vom heranrauschenden Christian Fassnacht stibitzt wurde. Am Ende des Konters stand das 3:3 und die Alpennation rettete sich in die Verlängerung. Der Rest ist bekannt und aus französischer Sicht irgendwie frustrierend.

Quelle: ntv.de

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