
Lea Schüller ist rechtzeitig zum EM-Viertelfinale raus aus der Corona-Quarantäne. Gegen Österreich könnte die Stürmerin wieder spielen, Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg appelliert auch an ihren "großen Willen". Mit einem Tor würde sie ihr Team glücklich machen - das gilt aber nicht für alle.
Sieben Tage raus aus dem Training, verdammt zum Ausharren im Einzelzimmer im Teamquartier in Brentford - und jetzt das fabelhafte Comeback? Für Lea Schüller könnte das Viertelfinale der Fußball-Europameisterschaft ein ganz besonderes werden. Nach ihrer Corona-Infektion ist sie seit Dienstag raus aus der Quarantäne und konnte am Abschlusstraining am Mittwochabend im Brentford Community Stadium teilnehmen.
Martina Voss-Tecklenburg sagte über einen Einsatz der 24-Jährigen: Manchmal könne man "ja auch den inneren Schweinehund ganz gut überwinden, dann spielt vielleicht nicht die Fitness eine Rolle, sondern der Wille", so die Bundestrainerin. "Und dass sie einen großen Willen hat, steht außer Frage." Heißt: Schüller wird dabei sein, wenn am Abend (21 Uhr/ARD, DAZN und im ntv.de-Liveticker) das erste K.-o.-Spiel für das DFB-Team in diesem Turnier ansteht. Vermutlich wird sie nicht das komplette Spiel bestreiten, könnte aber ein guter Joker sein.
Um das zu machen, was sie so gut kann: Tore schießen. Für den FC Bayern traf sie in der abgelaufenen Bundesliga-Saison 16 Mal und wurde Torschützenkönigin. 26 Treffer hat sie in 40 Länderspielen bereits erzielt, eines davon zum EM-Auftakt beim 4:0 gegen Dänemark. Danach warf ihr positiver Corona-Test sie aus der Bahn, die zwei weiteren Gruppenspiele gegen Spanien und Finnland musste sie vor dem Fernseher verfolgen. Sie konnte aber jubeln, dass Kapitänin Alexandra Popp sie glänzend vertrat - und in allen drei Spielen jeweils ein Kopfball-Tor erzielte.
"Schlagen zwei Herzen in meiner Brust"
Die 31-Jährige ist überhaupt ein gutes Beispiel für Schüller. Auch Popp war erst kürzlich mit Corona infiziert, musste aus dem Vorbereitungstrainingslager abreisen. Die Wolfsburgerin kehrte aber rechtzeitig zurück und ist fit. Nun ist klar, dass die Krankheitsverläufe von Corona schwer miteinander zu vergleichen sind und die Nachwirkungen keineswegs unterschätzt werden sollten. Doch Schüller hat eine besondere Motivation, gegen Österreich spielen - und treffen - zu wollen.
Ihre Freundin Lara Vadlau ist Österreicherin. Die Segel-Welt- und Europameisterin und der Bayern-Star hatten sich vor drei Jahren im Urlaub kennengelernt, trainieren jetzt gern auch mal gemeinsam, gehen zusammen laufen. "Ich bin schon für Lea, aber als Österreicherin kann ich doch nicht nur zu Deutschland halten", erklärt Vadlau der "Bild" ihren Zwiespalt. "Ich kenne auch Spielerinnen aus der österreichischen Mannschaft gut. Es schlagen zwei Herzen in meiner Brust."
Für mindestens 90 Minuten wird Schüller nur den Fußball im Kopf haben und den Willen, mit dem DFB-Team ins Halbfinale einzuziehen. Das hat die Elf schon länger nicht geschafft, 2017 bei der vergangenen EM und 2019 bei der WM schied das Team jeweils im Viertelfinale aus. Auch das bittere Viertelfinal-Aus bei der WM 2011 im eigenen Land hat seine Wunden beim DFB hinterlassen. Viele trauern noch heute der verpassten Chance auf den ganz großen Aufschwung für den Fußball der Frauen hinterher.
Damit der Funke der Euphorie, den das Team nun bei diesem Turnier entfacht hat, nicht gleich wieder verglüht, ist ein Sieg gegen Österreich Pflicht. Durchschnittlich 6,58 Millionen Zuschauer verfolgten die deutschen Gruppenspiele in ARD und ZDF, das Topspiel gegen den nun im Viertelfinale gegen England ausgeschiedenen vormaligen Topfavoriten Spanien (1:2 n.V.) sahen gar mehr als acht Millionen Interessierte.
"Da fällt schon der eine oder andere Spruch"
Während der Spielzeit müssen Freundschaften ruhen, denn viele der Spielerinnen kennen sich gut. 13 Österreicherinnen sind bei Fußball-Bundesligisten in Deutschland angestellt. Mit Carina Wenninger spielte Schüller zuletzt beim FC Bayern zusammen, die Verteidigerin wird in der neuen Saison zur AS Rom ausgeliehen. Die 31-Jährige beschrieb ihre Gefühle vor dem Spiel so: "Deutschland ist meine zweite Heimat geworden. Bis vor ein paar Tagen haben wir den Deutschen die Daumen gedrückt, jetzt ist das Daumendrücken aber vorbei." Kontakt mit den vormaligen Teamkolleginnen gibt es via Whatsapp: "Da fällt schon der eine oder andere Spruch, um sich ein wenig anzustacheln. Es wird sicher ein super Spiel. Aber man wünscht jeder, dass sie da gesund herauskommt", so Wenninger. Dass es ein "wahnsinnig intensives" Spiel werden wird, prophezeite auch Voss-Tecklenburg. Sie sprach von einem "Statement für den Fußball". Das will ganz sicher auch Schüller setzen, wenn sie denn Einsatzzeit bekommt.
Mit gerade einmal 19 Jahren hatte sie 2017 für die A-Nationalmannschaft debütiert, spielte damals noch bei der SGS Essen. Zur EM in jenem Sommer schaffte sie es nicht, im Oktober nach dem Turnier erzielte sie aber bereits ihr erstes Länderspieltor bei der 2:3-Niederlage gegen Island in der WM-Qualifikation. In ihrem erst sechsten Länderspiel schoss sie im April 2018 gegen Tschechien alle vier deutschen Tore. Die damals neue Bundestrainerin Voss-Tecklenburg kam spätestens so nicht mehr an ihr vorbei: Die WM 2019 war Schüllers erstes großes Turnier. Bei vier Einsätzen erzielte sie ein Tor im Achtelfinale gegen Nigeria. Eine Saison später sicherte sich der FC Bayern die Dienste der "Vollblutstürmerin" mit dem richtigen "Torriecher", wie Bianca Rech, die sportliche Leiterin der Frauen des FC Bayern bei ihrer Verpflichtung gesagt hatte.
Wie es um ihre Fitness steht, ist nach der Corona-Zwangspause nicht klar, die große Spielintelligenz, der sie ihren "Torriecher" verdankt, wird in der vergangenen Woche aber nicht verloren gegangen sein. Im DFB-Team wie bei den Bayern beweist sie regelmäßig, dass sie Laufwege antizipieren kann. Auch ihre Kopfballstärke macht die 1,73 Meter große Stürmerin gefährlich und schwer zu verteidigen für die Gegnerinnen. Im Duo mit Popp und auch mit Tabea Waßmuth kommt da ganz schön was zu auf die österreichische Abwehr.
Klar ist: Die Deutschen wollen den jetzt schon epischen Jubelfeiern der Nachbarinnen inklusive dem Stuhljubel von Landsmann David Alaba ein Ende setzen. Frankfurt-Spielerin Barbara Dunst imitierte nach dem ersten EM-Sieg im zweiten Gruppenspiel gegen Nordirland den berühmten Landsmann, indem sie bei der Erstürmung der Pressekonferenz einen Stuhl in die Höhe reckte, ihre Teamkolleginnen tanzten ausgelassen auf der Bühne. Sie wiederholten dies auch nach dem Einzug ins Viertelfinale beim Sieg gegen Norwegen - inklusive Polonaise auf dem Platz.
Diesmal wollen die Deutschen den Party-Crasher spielen. Damit der Hattrick der Siege gegen Österreich - Siege stehen aus den Jahren 2016 und 2018 zu Buche - gelingt, nicht der Hattrick des Viertelfinal-Ausscheidens.
Quelle: ntv.de