"Haben klare Zeichen gesetzt" Kein Protest für Timoschenko

An der Fanmeile in Kiew: Die Fußball-EM läuft und Julia Timoschenko ist noch immer in Haft.

An der Fanmeile in Kiew: Die Fußball-EM läuft und Julia Timoschenko ist noch immer in Haft.

(Foto: dapd)

Es ist das Thema vor der Fußball-EM: Wird die deutsche Mannhaft gegen die Inhaftierung von Julia Timoschenko protestieren? Teammanager Bierhoff beendet nun die Diskussion. Zu dem Thema sei alles gesagt. Weitere Aktionen werde es nicht geben. Mit seiner Haltung weckt der DFB Erinnerungen an die WM 1978 in Argentinien.

Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) und die Nationalmannschaft haben beim Gastspiel in Charkow keine Aktionen geplant, um ein Zeichen für die in dem ukrainischen EM-Spielort inhaftierte Ex-Regierungschefin Julia Timoschenko zu setzen. "Wir haben das Thema frühzeitig aufgegriffen. Ich glaube, wir waren diejenigen in ganz Europa, die am meisten die Stimme erhoben haben", sagte Teammanager Oliver Bierhoff vor der Abreise der deutschen Mannschaft in die Ukraine. "Wir sind auch froh, dass wir uns jetzt hier auf den Sport konzentrieren", betonte er.

Im Fall Timoschenko ist alles gesagt, findet Bierhoff.

Im Fall Timoschenko ist alles gesagt, findet Bierhoff.

(Foto: picture alliance / dpa)

Bierhoff verwies darauf, dass sich unter anderem DFB-Präsident Wolfgang Niersbach, Kapitän Philipp Lahm und auch Bundestrainer Joachim Löw im Vorfeld der EM klar für Menschenrechte und einen humanen Umgang mit Timoschenko ausgesprochen hätten. "Damit haben wir klare Zeichen gesetzt", erklärte Bierhoff. Es sei jetzt "anderen überlassen, dieses Thema weiter zu forcieren".

DFB-Präsident Wolfgang Niersbach betonte: noch einmal, dass sich die  Nationalmannschaft im Vorfeld des Turniers zu diesem Thema klar  positioniert habe. "Ich hoffe, der  Fußball kann helfen, der ukrainischen Regierung etwas bewusst zu  machen: Wenn ihr zu Europa und zur EU gehören wollt, müsst ihr  einiges in Bezug auf die Menschenrechte ändern." Niersbach sagte aber auch, dass er anlässlich des zweiten  Gruppenspiels der deutschen Mannschaft in Charkow am 13. Juni gegen die Niederlande Timoschenko nicht im Gefängnis besuchen werde:  "Nein, eine solche Aktion ist nicht geplant. Wir reisen auch erst  unmittelbar vor den Spielen in die Ukraine, direkt danach wieder ab  und konzentrieren uns dabei auf die sportlichen Aufgaben." Auch ein Handschlag mit Janukowitsch sei nicht geplant: "Das ist  im Protokoll nicht vorgesehen.

Bierhoff verwies in diesem Zusammenhang auch auf den Besuch von Bundeskanzlerin Angela Merkel im Quartier der Nationalmannschaft in Danzig. "Sie hat uns kurz berichtet", sagte Bierhoff, "deshalb wissen wir, dass das bei der Politik in guten Händen ist."

"Ich hätte Respekt vor jedem Spieler"

Bayern Münchens Präsident Uli Hoeneß hatte die deutschen Nationalspieler im Vorfeld des Turniers ermutigt, ihre Solidarität mit ukrainischen Regierungskritikern zu bekunden. "Sie würden damit Größe zeigen", sagte Hoeneß dem "Spiegel". "Ich hätte Respekt vor jedem Spieler, der öffentlich Stellung zu diesem Thema bezieht. Sie sollten bei jeder geeigneten Gelegenheit öffentlich darauf hinweisen, dass die Haftbedingungen von Frau Timoschenko nicht akzeptabel sind."

Der argentinische Junta-Chef, General Jorge Videla (M), freut sich 1978 über den WM-Pokal für sein Land.

Der argentinische Junta-Chef, General Jorge Videla (M), freut sich 1978 über den WM-Pokal für sein Land.

(Foto: picture alliance / dpa)

Der DFB setzt traditionell auf eine strikte Trennung von Sport und Politik. Schon einmal wurde im Vorfeld eines großen Fußball-Turniers heftig debattiert, wie man mit einem Gastgeber umgeht, der demokratische Standards missachtet. Damals, 1978, war die Lage in Argentinien wesentlich schlimmer als heute in der Ukraine, doch Nationalkicker und DFB-Vertreter glänzten nicht gerade mit Kritik an Folter und Tod von Regimegegnern durch das Militärregime. Die Repressionen waren vor dem Turnier nochmal massiv verschärft worden, damit es keinen öffentlichen Protest geben konnte. Menschenrechtler kritisierten scharf, dass sich der DFB nicht für das Schicksal von Verschwundenen, darunter Dutzende Deutsche, einsetze.

Eine Hyperinflation und Wirtschaftskrise sowie das Erstarken des Linksterrorismus hatten im März 1976 zu einem Putsch und der Errichtung eines Militärregimes geführt. Der Oberbefehlshaber der Streitkräfte, General Jorge Rafael Videla, Marinechef Eduardo Emilio Massera und der für die Luftwaffe verantwortliche Brigadegeneral Orlando Ramón Agosti bildeten die Führung der Militärjunta.

Sofort erkannte die Militärregierung, dass in der Ausrichtung der WM ein enormes Potenzial für die Innen- und Außenwirkung lag. Die amerikanische PR-Agentur Burson & Marsteller wurde für 1,1 Millionen US-Dollar damit beauftragt, das Image der Militärregierung im Ausland zu verbessern. Die Agentur attestierte dem Regime, die WM wäre eine einmalige Chance, das Denken im Ausland über Argentinien in positivere Bahnen zu lenken. Als entscheidender Ratschlag wurde eine umfangreiche Betreuung ausländischer Journalisten vorgeschlagen.

"Belasten tut mich das nicht, dass dort gefoltert wird"

Insgesamt zehn Spielen wohnte Videla zusammen mit den Chefs von Marine und Luftwaffe persönlich bei. Die Militäruniform blieb dabei stets daheim im Schrank. Das Regime setzte darauf, dem eigenen Volk, aber auch der internationalen Öffentlichkeit durch eine sichere, gut organisierte Weltmeisterschaft zu zeigen, dass nun wieder Ruhe und Ordnung in Argentinien herrschte - als Krönung gab es den Sieg im Finale gegen die Niederlande. Es halten sich allerdings bis heute Gerüchte einer Manipulation des entscheidenden Zwischenrundenspiels gegen Peru, wo ein 4:0-Sieg nötig war. Argentinien gewann 6:0.

Medien wie der "Stern" berichteten in Deutschland sehr kritisch und verwiesen auf Berichte von Amnesty International, dass tausende Regimegegner gefoltert würden oder verschwunden seien. Sie sollen teilweise lebendig über dem Meer aus Hubschraubern geworfen worden sein. Doch viele Nationalkicker wollten davon nichts wissen, was der Militärjunta sehr willkommen gewesen sein dürfte. Weil nicht nur die deutschen, sondern die meisten der internationalen Gäste schwiegen, gelang dem Regime letztlich der geplante Propagandaerfolg.

Heinz Flohe vom 1. FC Köln sagte laut damaliger Berichte zu Forderungen, sich für Gefangene in Argentinien einzusetzen: "Für einen Fußballer ist es nicht wichtig, sich mit der Politik zu befassen, das ist Sache der Regierung. Ein gutes Gefühl hat man natürlich nicht, wenn man vom Militär ins Hotel geleitet wird und die ham'ne Kanone im Anschlag. Aber wenn das sein muss, muss das sein."

Sepp Maier von Bayern München fürchtete, dass bei Kritik eine Verhaftung drohen könnte. Manfred Kaltz vom Hamburger SV sagte: "Ich fahr da hin, um Fußball zu spielen, nichts sonst. Belasten tut mich das nicht, dass dort gefoltert wird. Ich habe andere Probleme". Paul Breitner, der an der WM 1978 wegen Differenzen mit dem DFB aber gar nicht teilnahm, positionierte sich am deutlichsten: "Verweigert den Generälen den Handschlag", forderte er von seinen Fußballkollegen.

Letztlich beschäftigte die deutsche Öffentlichkeit am Ende ohnehin mehr die Schmach von Cordoba (2:3 gegen Österreich). Und auch wenn die Militärjunta dank der Instrumentalisierung des Fußballs zu politischen Zwecken kurzfristig einen großen Erfolg hatte: Genutzt hat es ihr nicht. Die zunehmend unter Druck stehenden Militärs suchten ihr Glück 1982 im Falkland-Krieg, 1983 war ihr Ende gekommen - und Argentinien machte sich auf den Weg Richtung Demokratie.

Quelle: ntv.de, cro/dpa

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