Verzögerte Auswechslung Löw atmet tief durch
10.06.2012, 12:23 Uhr
Joachim Löw und Mario Gomez.
(Foto: dpa)
Mario Gomez beschert der deutschen Fußball-Nationalmannschaft einen schwer erarbeiteten Auftaktsieg bei der Europameisterschaft. Doch fast wäre das erlösende 1:0 gegen Portugal nicht gefallen. Denn wäre es nach Joachim Löw gegangen, hätte der Stürmer in der entscheidenden 72. Minute bereits auf der Ersatzbank Platz genommen. Insgesamt zieht der Bundestrainer eine positive Bilanz.
Wie beurteilen Sie den EM-Auftakt Ihrer Mannschaft?
Joachim Löw: Das Spiel war von der Taktik geprägt, beide haben gut verteidigt. Klar hätten wir ein paar Angriffe besser durchspielen können. Wir müssen noch zielstrebiger werden, uns noch mehr Chancen herausarbeiten. Das wird uns auch gelingen. Das Turnier hat jetzt begonnen.
Wie erklären Sie die Nervosität?
Der Start ist ein bisschen wie bei der Formel 1, nur ohne Warm-up-Runde. Man geht sofort in die Vollen, muss sofort bereit sein. Es gibt keine Mannschaft wie bei der WM, wo man sich ein bisschen einspielen kann. Daher ist es wichtig, dass man der Musik nicht hinterherläuft. Es ging für uns nach der etwas holprigen Vorbereitung in erster Linie um das Ergebnis, um die drei Punkte.
Warum konnte Ihre Mannschaft noch nicht die von Ihnen erhoffte Sicherheit ausstrahlen?
Nach dem Ergebnis zwischen den Niederlanden und Dänemark waren beide Mannschaften etwas angespannt, denn der Verlierer hätte dann gleich eine K.o.-Situation vor sich gehabt. Deshalb ging es auch darum, ein Gegentor unbedingt zu vermeiden. Keiner wollte in Rückstand geraten. Zudem gehört Portugal zu den besten Mannschaften in Europa, das haben sie auch gegen uns gezeigt. Das Spiel war insgesamt sehr vom Taktischen geprägt, beide Teams haben gut verteidigt.
War es auch der große Druck, den sich das Team selbst auferlegt hat?
Beide Mannschaften hatten ja Druck. Man will keinen groben Schnitzer machen, weil man weiß, was Ronaldo und Nani können: Ein Pass - ein Tor. Das haben wir der Mannschaft mehrmals vor Augen geführt. Es war klar, nicht immer den Risikopass zu suchen, stabil zu sein, nicht fahrlässig zu werden. Entscheidend war der Erfolg. Die Mannschaft hat gefightet. Der Sieg wird uns auch Sicherheit geben im Spiel nach vorn.
Was hat Ihnen am Spiel Ihrer Mannschaft besonders gut gefallen?
Wir haben in der Defensive viel kompakter gestanden als zuletzt in den Testspielen, wir waren insgesamt sehr wachsam. Die Innenverteidigung stand sehr sicher, auch Jérome Boateng und Philipp Lahm auf den Außenpositionen haben ihre Sache sehr gut gemacht. Boateng hat Cristiano Ronaldo weitestgehend im Griff gehabt. Aber alle Abwehrspieler waren sehr präsent in den Zweikämpfen.
Was hat Ihnen nicht so gefallen?
Wir hätten einige Angriffe besser durchspielen können, aber das wird noch kommen. Wir müssen insgesamt noch zielstrebiger werden und uns noch mehr Chancen herausarbeiten. Da bin ich aber zuversichtlich, denn für uns hat das Turnier jetzt richtig begonnen. Der Sieg wird uns auch Sicherheit in unserem Spiel nach vorne geben.
Warum haben Sie sich für Mats Hummels in der Startelf entschieden und nicht für Per Mertesacker?
Mats Hummels kam mit Rückenwind aus der Meisterschaft, mit guten Leistungen und vor allem mit Spielpraxis. Per Mertesacker war einige Monate ohne Wettkampf. Die Leistung der Abwehr, auch von Jérome Boateng, war sehr gut. Überwiegend hat er Cristiano Ronaldo gut im Griff gehabt. Alle waren sehr präsent in den Zweikämpfen, sehr aufmerksam. Keine Bälle sind in den Rücken gespielt worden.
Die zweite Überraschung in der ersten Elf war Gomez statt Klose...
Das stand schon zwei, drei Tage vorher fest. Miro fehlen zum jetzigen Zeitpunkt noch ein paar Prozent. Er hat wie Per Mertesacker großartig gearbeitet. Aber Gomez hat das ganze Jahr gespielt und viele Tore gemacht. Er ist ein anderer Typ. Das spricht für seine Qualität: Eine Chance - ein Tor!
Ist der Eindruck richtig, dass Sie Gomez kurz vor seinem Treffer eigentlich schon gegen Klose auswechseln wollten?
Ja, das stimmt. Das war so die Zeit zwischen der 70. und 75. Minute, wo man als Trainer was machen will. Mario hatte viel Laufarbeit verrichtet, hatte Pepe ständig unter Druck gesetzt. Er schien mir etwas müde. Wir wollten ihn in der Tat zwei Minuten vor seinem Tor auswechseln. Ich muss mit dem vierten Schiedsrichter noch mal hart ins Gericht gehen. Aber er hat so lange gebraucht, das anzuzeigen. Mario hat dann das Tor gemacht, so dass wir noch ein bisschen gewartet haben.
Wie sehen Sie die Situation jetzt nach der Niederlage der Holländer?
Es wäre mir lieber, es wäre noch ein Unentschieden geworden. Die Niederländer stehen jetzt mit dem Rücken zur Wand, sie müssen ein Alles-oder-nichts-Spiel machen. Das macht die Partie nochmal ein Stück brisanter. Es ist für mich unverständlich, dass bei so wahnsinnig vielen Chancen null Tore rauskommen.
Bastian Schweinsteiger hat anders als Mertesacker und Klose von Beginn an gespielt. Wie sehen Sie seinen Auftritt?
Bastian hat zuletzt in der Endphase der Saison schon viel gespielt, zuletzt 120 Minuten im Champions-League-Finale. Es war extrem wichtig, dass er auf dem Platz war. Bastian war als Organisator mit Sami Khedira präsent in Mittelfeld. Sie haben das Spiel im Griff gehabt, beide waren stark.
Quelle: ntv.de, dpa/sid