Schatten über der EM Rassistische Vorfälle häufen sich
10.06.2012, 13:56 Uhr
Russische Fans verunglimpften den Tschechen Theodor Gebre Selassie.
(Foto: REUTERS)
Erst die Urwaldgeräusche am Rande eines öffentlichen Trainings der Niederländer, jetzt fremdenfeindliche Schmähungen russischer Fans gegen den Tschechen Gebre Selassie: Es wird deutlich, dass es bei der EM in Polen und der Ukraine ein Rassismus-Problem gibt. Das zuzugeben, fällt jedoch nicht jedem leicht.
Affenlaute, Provokationen und erste Hooligan-Attacken: Rassismus-Zwischenfälle und Übergriffe haben am Auftakt-Wochenende einen Schatten auf die Fußball-EM in Polen und der Ukraine geworfen. Nach fremdenfeindlichen Aktionen von russischen Fans während des Spiels gegen Tschechien eröffnete die Uefa ein Disziplinarverfahren gegen den nationalen Verband. Die Hoffnungen des Uefa-Präsidenten Michel Platini, die Fans würden nur in die Stadien kommen, "um das Spiel zu genießen", entpuppten sich als frommer Wunsch.
Der russische Verband fühlte sich durch das Fehlverhalten seiner Fans zu einer ausführlichen Stellungnahme veranlasst, in der er die Vorkommnisse scharf verurteilte. "Einige unserer Fans haben sich mit ihrem unehrenhaften Verhalten ins Abseits gestellt. Wir appellieren an all unsere Fans, die sich in Polen befinden: Bitte, denkt daran, dass ihr unser Land repräsentiert. Respektiert euch, euer Mutterland und eure Mannschaft", heißt es in dem Schreiben.
Uefa ermittelt gegen Russen
Anhänger der Sbornaja hatten den dunkelhäutigen tschechischen Spieler Theodor Gebre Selassie mit Affenlauten beleidigt. Außerdem wurden in Breslau Stadion-Ordner von russischen Hooligans attackiert. Das Schwenken von Flaggen mit der Aufschrift "Russisches Reich", eine gezielte Provokation, veranlasste den nationalen Verband zu einer weiteren Rüge: "Wir sind der Überzeugung, dass solche Personen, die in Sportstätten solche politischen Positionen vertreten, nichts auf den Tribünen verloren haben."
Das Disziplinarverfahren, teilte die Uefa mit, beziehe sich "auf das Abbrennen und Werfen von Feuerwerkskörpern" sowie das Zeigen "unerlaubter Plakate". Der rassistische Vorfall, den die Organisation Football Against Racism in Europe (FARE) gemeldet hatte, werde untersucht.
Gullit ist für Spielabbrüche bei Rassismus
"Das sollte nicht passieren, aber unglücklicherweise tut es das doch", sagte der englische Nationalspieler Ashley Young, der nach eigenen Angaben auf der Insel schon als Elfjähriger Affenlaute zu hören bekam: "Ich kann nicht für andere sprechen, aber ich lasse nicht zu, dass mich so etwas trifft. Ich muss das während des Spiels ausblenden."
Im vergangenen Jahr war der Mittelfeldspieler von Manchester United beim EM-Qualifikationsspiel der Engländer in Bulgarien von Fans rassistisch beleidigt worden. Die Uefa beließ es bei einer 40.000-Euro-Strafe gegen den bulgarischen Verband. Schon vor den Beleidigungen gegen Gebre Selassie hatten sich die niederländischen Spieler über rassistische Schmähungen während eines öffentlichen Trainings in Krakau beschwert. Die Uefa hatte daraufhin erklärt, dass sie bei weiteren Zwischenfälle Maßnahmen prüfen werde, "um die Spieler zu schützen". Die Abschaffung der öffentlichen Einheiten könnte so eine Reaktion sein.
Dass das Thema Rassismus während der EM noch von der Tagesordnung verschwinden könnte, scheint ausgeschlossen. Zum wiederholten Male äußerte sich auch der ehemalige Oranje-Kapitän Ruud Gullit zu den Zwischenfällen: "Die Uefa-Schiedsrichter haben die Macht, ein Spiel bei rassistischen Verunglimpfungen abzubrechen. Ich bin dafür."
Ukraine: Bei uns gibt es keinen Rassismus
Bislang beschränken sich die Vorfälle, die öffentlich geworden sind, auf Polen. Nach Meinung des ukrainischen Ministerpräsidenten Mykola Asarow ist dies kein Zufall. "In der Ukraine gibt es keinen Rassismus. Die Ukraine ist ein tolerantes und demokratisches Land", sagte Asarow im Interview mit dem Fernsehsender CNN. Berichte über Rassismus im Land des Co-Gastgebers wies Asarow als Kampagne zurück, die nicht auf Tatsachen beruhe.
Eine Reportage der britischen BBC, die vor der EURO heftige Diskussionen hervorrief, hatte auch in der Ukraine zahlreiche rassistische Entgleisungen in Fußball-Stadien dokumentiert. Auch Lwiw, wo die deutsche Mannschaft am Samstag gegen Portugal mit 1:0 gewann und auch das letzte Gruppenspiel gegen Dänemark bestreitet, ist betroffen.
Die dort ansässige jüdische Gemeinde beklagt sich über latenten Rassismus. Die Ultras von Karpaty Lwiw sind als rechtsradikal bekannt, die rechtsradikale Partei Swoboda ist hier stärker als sonst in der Ukraine. Vor der EM hatte das Wiesenthal-Zentrum vom Besuch zweier antisemitisch geprägter Restaurants in Lwiw abgeraten. Rund um das erste EM-Spiel gab es aber keinerlei Vorfälle.
Quelle: Jörg Mebus, sid