Neue Rolle, alte Klasse Rooney lässt England wieder träumen
16.06.2016, 20:21 Uhr
Wayne Rooney: England-Kapitän in neuer Rolle.
(Foto: AP)
Umstritten, angezählt - auferstanden: Englands Kapitän Wayne Rooney straft seine Kritiker Lügen, schafft es, sich neu zu erfinden. Statt selbst Tore zu machen, überzeugt er als wichtiger Taktgeber des jungen englischen Teams.
Die Frage musste ja kommen, die Frage nach Wayne Rooney. Allerdings beantwortet sie Englands Teamchef Roy Hodgson mittlerweile wieder ganz gerne. Denn es geht nicht mehr darum, warum der Kapitän überhaupt mitwirken darf in einem Spiel wie der "Battle of Britain" bei der Fußball-EM. Jetzt geht es vielmehr darum, wie er das englisches Spiel beeinflusst. Nach dem 2:1 im Nachbarschafts-Duell gegen Wales führt England vor dem letzten Vorrundenspieltag in der Gruppe B die Tabelle an. Rooney hat dabei weder ein Tor erzielt, noch eines direkt vorbereitet, und doch spielte er eine wichtige Rolle in der Mannschaft. "Es geht nicht nur um die Offensive", sagte Hodgson. "Für mich sind seine defensiven Qualitäten sehr wichtig."
Vor EM-Start hatte sich Kritik an Hodgsons Entscheidung entfacht, dem Stürmer trotz einer schwachen Saison bei Manchester United mehr oder weniger eine Stammplatzgarantie zu geben. Der 30-Jährige hat sich mittlerweile selbst neu erfunden, aus dem einstigen Angreifer ist ein veritabler Mittelfeldspieler geworden. Bei Man United spielt er allerdings noch ein Stück weiter vorne als in der Nationalmannschaft.
Was Hodgson an ihm schätzt: "Er ist ein Spieler, der Ruhe ausstrahlt und in der Lage ist, Diagonalpässe zu spielen." Zwar fehlt ihm die Dynamik vergangener Tage und die wird bei der 30-Jährige nach etlichen Verletzungen und einem nicht immer professionellen Lebenswandel auch nicht mehr zurückerlangen. Aber schon gegen Russland im ersten Spiel strafte Rooney all seine Kritiker mit einer sehr ansprechenden Leistung Lügen. Es geht bei ihm nicht mehr darum, seine magere Torbilanz bei großen Turnieren aufzupolieren. Auch wenn zu den vier Treffern bei seinem Debüt bei der EM 2004 in Portugal bisher nur noch zwei dazukamen: In Frankreich will ist es ihm der Teamerfolg wichtiger als der eigene Torerfolg. Und das beflügelt ihn.
Waliser Sticheleien
Der walisische Trainer Chris Coleman fand allerdings, dass Rooney vor allem deshalb so auffällig gewesen sei gegen Russland, weil er zu viel Platz gehabt hätte. Das gehörte genauso zu jenen Sticheleien, mit denen der Gegner vor dem Duell ein wenig gereizt werden sollte, wie der Hinweis von Superstar Gareth Bale, dass keiner der hochgelobten Engländer gut genug wäre für die walisische Nationalmannschaft.
Coleman zog aber auch praktische Konsequenzen und versuchte im Spiel gegen England, den Bewegungsradius des englischen Kapitäns einzuschränken. Er stärkte das Zentrum mit Joe Ledley, der erst vor sechs Wochen einen Wadenbeinbruch erlitten hatte. Meist aber kümmerte sich Joe Allen um Rooney – und zwar so gut, dass er in der ersten Hälfte auf die desaströse Zweikampfquote von zwölf Prozent kam. Ähnlich schlecht war nur Raheem Sterling – und der wurde zur Pause ausgewechselt. An der Aufstellung des Stürmers von Manchester City hatte es noch größere Zweifel gegeben als an der von Rooney, denn Sterling hatte seine schlechte Premier-League-Form mit zur EM - im Gegensatz zu seinem Kapitän.
Den Engländern fehlte in der ersten Halbzeit die Durchschlagskraft im Angriff, aber das hatte nichts mit Rooney zu tun. Der gab ganz im Stile eines Taktgebers im Mittelfeld Anweisungen und trat die Eckbälle, die aber in der Mitte sowohl bei Harry Kane, dem englischen Torschützenkönig, als auch bei Sterling keinen Abnehmer fanden. Als dann kurz vor der Pause Bale mit einem Freistoß aus 30 Meter Wales in Führung schoss, musste Hodgson reagieren. Und er reagierte.
England stellt um, Rooney blüht auf
Er brachte Jamie Vardy von Meister Leicester City und Daniel Sturridge. Während Vardy in der 56. Minute als typischer Mittelstürmer einfach richtig stand und aus kurzer Distanz zum Ausgleich traf, belebte Sturridge als Anspielstation das Offensivspiel der "Three Lions" – und das half auch Rooney.
Wales verlor die Ordnung in der Defensive, der Kapitän hatte plötzlich mehr Freiheiten, kam endlich auch einmal in Zweikämpfe und steigerte dementsprechend seine Quote bis zum Ende auf passable 33 Prozent. In der Phase des Anrennens nach dem Ausgleich behielt er die Übersicht und half mit, dass die jungen Teamkollegen am Ende nicht verzweifelt, sondern immer noch konstruktiv angriffen.
Einer dieser Vorstöße führte schließlich in der Nachspielzeit zum 2:1 durch Sturridge. "Nachdem Rooney einige Zweifel, die es im Vorfeld gegeben hatte, überstand", sagt Hodgson, sei er nun in der Lage, die Mannschaft zu führen. So wie es aussieht, mindestens noch bis ins Achtelfinale. England darf wieder träumen.
Quelle: ntv.de