"Verschiedene Gedankenspiele" Was, wenn Müller wirklich nicht spielen kann?
22.06.2021, 22:14 Uhr
Thomas Müller wird der deutschen Fußball-Nationalmannschaft wohl im entscheidenden EM-Gruppenspiel gegen Ungarn fehlen. Das ist ein Problem, die Lösung drängt sich aber schon auf. Ein anderes wollen sie derweil schnell abstellen.
Nein, die Aufmerksamkeit einer Kommission wolle er nicht auf sich ziehen, sagte Mats Hummels, seine Botschaft wolle er dennoch klarmachen: "Ich bin absoluter Freund davon, wenn man Botschaften dieser Art in die Welt sendet", sagte Hummels. Er sei "Freund solcher Gesten", betonte der Verteidiger von Borussia Dortmund. Es ging natürlich auch bei der abendlichen Pressekonferenz vor dem Spiel gegen Ungarn im Lager der deutschen Fußball-Nationalmannschaft um die verbotene Illuminierung der Münchner EM-Arena in den Regenbogenfarben. Die UEFA hatte die überparteilich geforderte Geste der Solidarität mit der LGBQT-Community verboten und damit viel Zorn auf sich gezogen.
Auch Bundestrainer Joachim Löw hätte sich "grundsätzlich persönlich sehr gefreut, wenn man das Stadion in diesen Farben beleuchtet hätte, wenn die Lichter angegangen wären", sagte Löw vor der Partie am Mittwoch (21 Uhr/ZDF, MagentaTV und im Livestream auf ntv.de). Gleichzeitig machte Löw klar, dass es für ihn "bei aller Wichtigkeit von Symbolen" noch wichtiger sei, dass die durch die Regenbogenflagge dargestellten Werte für Vielfalt, freie sexuelle Orientierung und Menschenwürde "auch gelebt werden". Dies sei in der Nationalmannschaft der Fall, betonte Löw. Die DFB-Elf werde immer Zeichen setzen. Kapitän Manuel Neuer wird gegen Ungarn wieder eine Kapitänsbinde im Regenbogen-Design tragen. Dies wurde ihm von der UEFA gestattet - nachdem der Verband zuvor zunächst Ermittlungen gegen Neuer eingeleitet hatte.
"Verschiedene Gedankenspiele"
Die Dinge rund um den Platz, kann Löw nicht beeinflussen, wie die deutsche Mannschaft aber auf dem Feld am Weiterkommen arbeitet, das liegt in der alleinigen Verantwortung des Bundestrainers. Und der muss vor dem letzten Gruppenspiel notgedrungen eine wichtige Frage klären: Was tun mit Thomas Müller? Der ist seit der Portugal-Partie angeschlagen, es schmerzt im Knie. Während die Kollegen im Abschlusstraining in Herzogenaurach den Ernstfall probten, wurde der Bayern-Routinier gepflegt und trabte um den Platz.
Ob er morgen zur Verfügung steht, um den Achtelfinaleinzug sicherzustellen, ist noch offen. Erst nach einem allerletzten Härtetest wenige Stunden vor dem Anpfiff wolle er entscheiden, ob der am Knie verletzte Anführer der deutschen Offensive gegen Ungarn "einsatzfähig ist", sagte Löw. Vieles spricht dafür, dass der Münchner eher aussetzen wird.
Denn zu wichtig ist er als freischaffender Offensivkünstler für das deutsche Spiel, als dass Löw schon in dieser noch frühen Turnierphase voll ins Risiko gehen müsste. Und es besteht auch keine Not, denn Löw hat hochkarätigen Ersatz parat. Die logische Kraft, um bei Müllers Ausfall die offensive Dreierreihe mit Serge Gnabry und Kai Havertz zu komplettieren, wäre Leroy Sané. Den wird der Bundestrainer wohl bis zur letzten Sekunde seiner langen Amtszeit weiter "Leroy Sahne" nennen - und vorerst wohl weiterhin nicht für die Startelf im Sinn haben. Natürlich, "es gibt verschiedene Gedankenspiele und Möglichkeiten in der Personalwahl", gab sich Löw geheimnisvoll. Und der Leroy Sahne, Pardon, Sané bringe auch die richtige Einstellung auf den Platz und überhaupt gebe es wenig auszusetzen am Außenbahner des FC Bayern, doch beim DFB bleibt er wohl vorerst auf dem Rangiergleis.
Stattdessen ist Leon Goretzka wohl der Mann der Wahl, um das Paket Müller zu ersetzen. "Ich fühle mich im Turnier angekommen", sagte Goretzka nach seinem 17-Minuten-Comeback gegen Portugal. Der 26-Jährige weiß, dass es eine große Aufgabe wäre, Müller zu ersetzen. Der Rückkehrer war gegen Portugal ein guter Organisator der Offensivreihe mit Kai Havertz und Serge Gnabry. "Thomas bringt immer Leben rein, Schwung rein, kann das übertragen auf seine Kollegen", sagte Goretzka, wissend um die große Aufgabe, Leader Müller zu ersetzen. Aber ja, "ich traue mir die Position zu", sagte er selbstbewusst. Und Löw weiß das: "Im Training macht er einen sehr guten Eindruck, sehr dynamisch. Ich denke, er ist absolut bereit", sagte der scheidende Bundestrainer. Allzu tief in die Karten wollte er sich aber freilich noch nicht schauen lassen, die Tendenz geht aber wohl in die Richtung: Goretzka für Müller, der Rest bleibt beim Alten.
Nach dem überzeugenden Auftritt gegen Portugal gibt es auch keinen Grund für Wechsel. "Wir wissen, dass wir nur einen kleinen Schritt gemacht haben", mahnte Löw. Er erwartet "die gleiche Leistung, die gleiche Einstellung" wie beim begeisternden Auftritt am vergangenen Samstag. "Das Spiel gegen die Ungarn wird nicht so offen sein", sagte Löw. Die Magyaren könnten einen Gegner mit ihrer Defensivstärke "zur Verzweiflung bringen".
Standards als Türöffner
Umso wichtiger könnten die offensiven Standardsituationen werden, die der deutschen Mannschaft in den letzten Wochen und auch in den ersten beiden Spielen dieser EM noch so überhaupt nicht gelingen wollten. Nein, trainiert habe man das in den Tagen zwischen den Gruppenspielen nicht noch einmal extra, sagte Löw, aber es ist natürlich ein Thema. Gerade, wenn jetzt die ganz engen Alles-oder-nichts-Spiele kommen. Gut möglich, so der Bundestrainer, dass der Komplex Standards morgen vor dem Spiel noch einmal gesondert besprochen wird.
Das Thema wurmt auch Mats Hummels, den eigentlich bei eigenen Ecken torgefährlichen Innenverteidiger. Der Dortmunder, dem vorne "nur ein halbgarer Versuch gegen die Franzosen" gelungen sei, mahnte zu mehr Effektivität. Und vor allem: "Wir wollen von Anfang an zeigen, dass wir die nächste Runde klarmachen werden", sagte Verteidiger Mats Hummels entschlossen. Der Abwehrchef meldete sich im Gegensatz zu Müller schon am Tag vor dem Spiel einsatzbereit. Auf das 4:2 gegen Portugal soll der nächste stimmungsvolle Auftritt folgen. "Wir wollen den Zuschauern Freude machen", sagte der 32 Jahre alte Hummels. Das würde am besten mit einem Sieg funktionieren, schon ein Unentschieden würde aber zum sicheren Weiterkommen reichen.
Quelle: ntv.de, ter