FIFA-Boss hebelt das Recht aus Der Fußball bricht in schreckliche Zeiten auf
16.12.2022, 14:52 Uhr
Der mächtigste Mann des Fußballs.
(Foto: IMAGO/Agencia EFE)
Wenn nicht etwas Unvorstellbares passiert, werden die Geschicke des Weltfußballs bis 2031 von FIFA-Boss Gianni Infantino weitergeführt. Für den Sport bedeutet das: keine Demut, nur Gigantismus - und wahrscheinlich weitere Turniere in autoritären Regimen.
Gianni Infantino hatte keine guten Nachrichten in seinem wilden Zettelhaufen. Wobei das natürlich immer eine Frage der Perspektive ist. Und in diesem Fall ist es eben die deutsche, die westeuropäische. Der Schweizer, so verkündete er im Internationalen Medienzentrum in Doha an diesem Freitag, möchte gerne bis 2031 an der Spitze der FIFA bleiben. Und es gibt wohl niemanden, der ihn daran hindern wird. Im nächsten Jahr, wenn er in seine zweite Amtszeit (mehr dazu weiter unten) als Präsident des Weltverbands gehen wird, gibt es keinen Gegenkandidaten. Zu mächtig ist Infantino geworden, und zu sehr spielt ihm das System der FIFA in die Karten.
Der Dachorganisation des Weltfußballs gehören 211 Nationalverbände an. Sie alle haben das gleiche Mitspracherecht. Wenn sich also der DFB dazu entscheidet, Infantino die Gefolgschaft zu verweigern, dann ist das für den 52-Jährigen nicht wichtiger oder unwichtiger als wenn etwa Ministaaten wie Nauru, Tuvalu oder San Marino dem Boss mitteilen, dass sie mit seiner Art der Führung fremdeln, sie gar ablehnen. Es gibt gute und weniger gute Argumente für dieses System. Für einen Mann wie Infantino ist dieses System ein Paradies. Mit viel Geld und großen Visionen kann er eine gigantische Masse als Machtbasis hinter sich vereinen und absichern. Über 200 Nationen folgen ihm blind, pardon, gierig.
Ein Rekordbudget von elf Milliarden Dollar hat die FIFA auf einer Sitzung des Rats für den Zyklus 2023 bis 2026 verabschiedet. Als Investitionen in den Fußball sind 9,7 Milliarden Dollar vorgesehen. Was aus den verbleibenden 1,3 Milliarden Dollar wird? Unklar. Man möchte auch nicht weiter darüber nachdenken.
Nach Blatter wurde es nur schlimmer
Die großen Verbände können gegen diese Festung nichts ausrichten, und sie kapitulieren, indem sie keinen eigenen Kandidaten ins Rennen schicken. Der Entzug der Gefolgschaft ist daher nur Symbolpolitik. Der DFB bleibt im Kreise der FIFA und damit Teil der gierigen Maschine, die unter Führung des Schweizers so schnell läuft wie nie zuvor. Für die "beste WM aller Zeiten" - in Katar - war Infantino nicht verantwortlich. Die Entscheidung für das Emirat fiel vor seiner Ära, die 2016 begann. Damals übernahm er die Geschäfte des zurückgetretenen Joseph Blatter, den Vorwürfe von Korruption und Schmiergeld stets begleiteten. Die Hoffnung war groß, dass es nach der Zeit des Machtspielers "Sepp" besser werden würde. Es wurde noch schlimmer.
Es ist schon reichlich seltsam, wie Infantino mit Absegnung der Mitstreiter im Rat kurzerhand geltendes Recht aushebeln kann. Eigentlich ist die längste Amtszeit des FIFA-Chefs auf zwölf Jahre festgelegt, vom Schweizer 2016 selbst auf den Weg gebracht. 2031 wären es dann 15 Jahre Regentschaft Infantino, vielleicht erreicht er ja noch seinen Landsmann Blatter (knapp 18 Jahre FIFA-Boss). Es wurde noch schlimmer, es wird noch schlimmer.
Und peinlicher. Denn Infantino macht sich die Welt, wie sie ihm gefällt. "Für mich war die WM ein unglaublicher Erfolg in allen Bereichen", sagte der Chef des Weltverbandes nun. Der Fußball habe die Welt "vereint". Es habe nicht einen einzigen negativen Vorfall geben, das sei "einzigartig". Vergessen die vogelwilde Rede vor WM-Start. Vergessen der Bier-Streit. Vergessen die "One Love"-Eskalationen. Dass zwei Arbeitsmigranten im Turnierverlauf im Zusammenhang mit der WM starben, dass katarische Sicherheitskräfte teilweise einen zweifelhaften Umgang mit Regenbogen-Symbolen und Solidaritätsaktionen für die Protestbewegung im Iran an den Tag legten, all das ließ Infantino unerwähnt.
Infantino hat alle verbliebenen moralischen Planken des Fußballs abgebaut und die Gier zum leitenden Motiv gemacht. Oder vielleicht hat er dieses System einfach nur perfektioniert. Wie unterwürfig er sich Katar in den vergangenen Tagen angedient hat, wie er sich bei jeder Kritik wie ein Löwe vor ein angegriffenes Junges geworfen hat, das entlarvte einmal mehr seine Motive: Gier und Geld statt Moral und Menschenrechte. Infantino verschleiert sein Gebaren stets hinter dem Begriff Respekt. Respekt für den Ausrichter. Dass diese(r) den selbst gegenüber der eigenen Bevölkerung, gegenüber Minderheiten und Andersdenkenden nicht aufbringt, das blendet der Schweizer gerne aus.
Mehr Spiele, mehr Vermarktung, mehr Geld!
Die Aussicht, noch neun Jahre unter der Führung von Infantino weiterzumachen, pflastert einen Weg jenseits der Demut. Gigantismus in gigantischster Form winkt. In drei Jahren wird die Klub-WM zu einem Mega-Projekt mit 32 Mannschaften aufgebläht. In vier Jahren wird die WM erstmals mit 48 Nationen ausgetragen, der Modus dabei überdacht. Statt 16 Gruppen mit drei Teams wird über 12 Gruppen mit vier Mannschaften gegrübelt.
Zudem will die FIFA das Länderspielfenster im März künftig alle zwei Jahre für Mini-Turniere mit Teams aus unterschiedlichen Kontinenten nutzen. Mit der FIFA World Series, wie Infantino sein Kind jetzt schon liebevoll nennt, sollen häufiger Teams aus unterschiedlichen Teilen der Welt gegeneinander antreten. Mehr Spiele, mehr Vermarktung, mit vor allem einem Ziel: mehr Geld! Keine Rücksicht auf die Fußballer, die dieses aberwitzige Programm körperlich stemmen müssen. Keine Rücksicht auf Nachhaltigkeit, zu gerne lässt die FIFA dann ein paar Mal öfter rund um den Globus fliegen für ein kleines bisschen Fußball-Glück. Im Zweifel eben Greenwashing statt Klimaschutz.
Infantinos Bande presst aus der saftigen Frucht alles heraus, ungeachtet dessen, dass der Durst des Konsumenten endlich ist. Aber alles geschieht im Sinne des Fußballs, so sieht es Infantino. Und dann droht 2030 ja noch das internationale Großturnier in Saudi-Arabien, einem weiteren Schurkenstaat mit noch einmal katastrophalerer Menschenrechtslage als Katar. Der Fußball öffnet sich, so wünscht sich das Infantino. Er öffnet dabei nur die falschen Wege. Der Fußball bricht in schreckliche Zeiten auf.
Quelle: ntv.de