FIFA bekommt den Hals nicht voll Gianni Infantino rammt Europas Fußball in den Boden
16.12.2022, 17:38 Uhr
So wichtig ist Europa noch für FIFA-Boss Gianni Infantino.
(Foto: dpa)
Die angeblich "beste WM aller Zeiten" geht zu Ende. Endlich Zeit für FIFA-Boss Gianni Infantino, in die Zukunft zu schauen. Die ist voller Geld und voller Frieden. Dass dabei die Wertevorstellungen Europas außen vor sind, ist für ihn Beweis funktionierender Demokratie.
FIFA-Präsident Gianni Infantino hat alle Zeit der Welt oder einfach zu viele Termine auf einmal. Für 11 Uhr Ortszeit ist ein FIFA Council Meeting geplant, für 12.30 Uhr eine Pressekonferenz zum Abschluss der Weltmeisterschaft. Für das Meeting sind acht Tagesordnungspunkte angesetzt. Es geht um alles, unter anderem um die Finanzen der FIFA und den Gastgeber des FIFA Beach Soccer World Cups 2023, Änderungen am Ethikcode und ein Update zur Fußball-WM in Katar, Veränderungen am Spielkalender und, wie später erklärt wird, auch um eine neuartige Klub-WM. Die wird die Welt des Fußballs erneut auf den Kopf stellen.
Das dauert natürlich. Gerade bei so weitreichenden Entscheidungen, die sich tief in die Strukturen des Fußballs einschneiden werden. Dabei wollen ihn nach seiner epochalen Rede zum Auftakt dieser WM doch alle sehen. Kann er noch einmal liefern? Zwar bietet er diesmal keine Parolen, vergleicht sich nicht mit Jesus und spürt nicht das Leid aller Menschen auf der Welt, doch seine Äußerungen skizzieren doch den Weg des internationalen Fußballs.
Das Geld sprudelt auf wilde Weise
Der ist, das hat bereits dieses Turnier gezeigt, längst nicht mehr in Europa zu verorten und auch nicht mehr in Südamerika, sondern auf der Suche nach neuen Märkten. Dort wird die Gier nach Fußball gestillt, die bei der FIFA längst zu einer Gier nach noch mehr Geld verkommen ist. Auf die WM im totalitären Katar folgt in vier Jahren die größenwahnsinnige WM in Mexiko, Kanada und den USA. Aus 32 Nationen werden 48 und aus 6,5 Milliarden US-Dollar Umsatz sollen in den nächsten vier Jahren 11 Milliarden US-Dollar Umsatz werden. Fließt natürlich alles in den Fußball zurück, sagte er später und damit werde die Welt schon wieder zu einem besseren Ort. Denn Fußball lässt die Menschen vergessen, solange sie sich nicht zu sehr um andere Dinge scheren. Dinge, wie Menschenrechte, die die FIFA ohnehin verteidigt. Praktisch.
"Entschuldigen Sie, ich bin ein bisschen verspätet", lächelt Infantino die Wartezeit sofort weg. Mit einem Lächeln, das nur der mächtigste Mann im Weltfußball lächeln kann. "Natürlich wegen des FIFA Council Meetings. Man weiß nie, wann die enden." Das Council, der FIFA-Rat also, besteht aus 37 Mitgliedern. Dem Präsidenten, acht Vizepräsidenten und 28 normalen Mitgliedern, die von den Konföderationen für vier Jahre entsendet werden. Der Rat hat auch ein deutsches Mitglied. Peter Peters, der ehemalige Finanzchef von Schalke 04, wird auf der FIFA-Seite als "einer der wichtigsten Entscheidungsträger im deutschen Fußball" beschrieben. Mehr muss man nicht wissen.
"Als FIFA müssen wir uns um alle kümmern"
Auch nicht über den Status des europäischen Fußballs, der nicht mehr in die Zeit passt. Der mit Werten um sich wirft, die dem Rest der Welt im Angesicht des Geldes egal sind und die, das lässt sich mit guter Gewissheit sagen, auch bei den meisten Europäern ab einer gewissen Summe vergessen werden. Trotzdem gab es bei dieser WM immer noch Widerstand gegen den Ausverkauf des Fußballs durch die FIFA. Nicht nur der DFB, sondern auch der dänische Verband lehnten sich zumindest in Ansätzen auf, ohne wirkliche Lösungen zu finden. Die Kontroverse um die "One Love"-Binde zerfetzte die DFB-Elf, störte aber die FIFA wenig.
"Es gibt unterschiedliche Kulturen, unterschiedliche Ansichten. Als FIFA müssen wir uns um alle kümmern", sagte Infantino auf die Kontroverse angesprochen und verstieg sich zu der Behauptung, dass die FIFA "Werte, Menschenrechte und die Rechte aller in der FIFA" verteidige, die WM sonst aber kaum ein Ort sei, um seine Meinung auf den Platz zu tragen. Eskapismus sei das Ziel des Spiels. "Wir müssen den Fans einen Moment in ihrem Leben geben, in dem sie die ihre Probleme vergessen und den Fußball genießen können. Außerhalb des Spiels kann jeder seine Meinung äußern, wie er will." Die alte Tour, die die Rechte der LBGTQIA+-Community auf eine Meinung unter vielen reduziert.
Europa rannte aber nicht nur mit der "One Love"-Binde gegen eine Mauer. Auch mit den eher unbeholfenen Bemühungen, die mit Volkszorn nicht falsch beschriebene Empörung der nordeuropäischen Fans über den totalen Ausverkauf des Fußballs in Taten umzumünzen. Bei der anstehenden Präsidenten-Wahl in Ruanda will unter anderem der DFB sich seiner Stimme enthalten. Allein: Es interessiert keinen, schon gar nicht Infantino. "Die FIFA ist eine Organisation aus 211 Ländern. Und ich bin sehr dankbar und stolz, dass über 200 Länder bereits ihre Unterstützung zugesichert haben", sagte der Boss und freute sich über die Restbestandteile Demokratie in seiner Organisation. "Den anderen bin ich auch sehr dankbar und stolz. Wir haben immer Diskussionen über allerlei Themen."
Jetzt soll der US-Fußball groß werden
Natürlich auch darüber, wohin der Fußball geht und was von ihm zukünftig so zu erwarten ist: "Wir sind sehr, sehr optimistisch, was die Macht des Fußballs angeht", sagte Infantino, meinte die "Macht der FIFA" und schwärmte von den Möglichkeiten des Fußballs, des Soccer, im immer noch nicht vollständig erschlossenen Markt Nordamerika. Dort öffnet sich 2026 der nächste Goldschatz. Die Mega-WM über drei Länder, mit 48 Mannschaften, ohne ein bisher ausgearbeitetes Format. Dreiergruppen, Vierergruppen, noch mehr Spiele, noch mehr Zuschauer, noch mehr, noch mehr, noch mehr. Der Fußball kann alles. Das hat er in Katar bewiesen, wo bis auf ein paar genervte Europäer alle ihren Spaß hatten und aus Saudi-Arabien, Indien, Mexiko, den USA und auch Großbritannien anreisten.
"Der Einfluss des Spiels war hier massiv und er wird in Nordamerika massiv sein", sagte Infantino und seine Augen leuchteten, als wieder auf sein Lieblingsthema zu sprechen kam: Geld. Als er an die riesigen Stadien dachte und die damit einhergehende Einnahmesteigerung in allen Bereichen: "Wir sind überzeugt, dass der Fußball in Nordamerika einen Aufschwung erleben wird. Wir werden nach Abpfiff dieser WM sofort mit der Arbeit für diese Weltmeisterschaft beginnen."
Dass der Fußball ein zerstrittenes Europa, eine uneinige UEFA dazu nicht braucht, hat er bei dieser WM bewiesen. Der Kontinent mag immer noch die besten Spieler des Turniers abstellen, mit der Champions League den größten Klub-Wettbewerb der Welt haben, aber ansonsten spielt er keine Rolle mehr. Es gibt immer genug andere Verbände, die Infantino wählen - 2023 und sicher auch 2027 nach der nächsten WM der Geschichte. Die FIFA bekommt den Hals nicht voll und alle machen mit.
Quelle: ntv.de