Das Finale der Fußball-WM in Katar ist das dramatischste, das wohl beste aller Endspiele. Die Superstars Messi und Mbappé bieten eine fantastische Show, das Spiel zwischen Argentinien und Frankreich bringt die Krönung des Größten. Der schon fast gewonnen hatte, dann beinahe verlor und doch triumphiert.
Was ist im Lusail Iconic Stadium passiert?
Mit dem Schlusspfiff des Finales zwischen Argentinien und Frankreich ist die umstrittenste Fußball-Weltmeisterschaft überhaupt Geschichte, zumindest sportlich. Vier Wochen Sport sind mit einem spektakulären Schlagabtausch zweier großer Favoriten zu Ende gegangen. Das Spiel lieferte die Bilder, wie sie sich die Gastgeber und der Weltverband, aber auch Milliarden Fußballfans erhofft hatten. Es wird über Fußball geredet, die größten Stars des Planeten bespielen die größte Bühne furios. Lionel Messi trifft und legt vor, Kylian Mbappé kontert mit zwei Toren binnen weniger Sekunden und erhebt ein bis dahin einseitiges Spiel handstreichartig in den Stand eines Spektakels. Dann trifft Messi wieder, Mbappé vollendet kurz darauf als zweiter Spieler überhaupt nach Geoff Hurst 1966 einen Hattrick in einem WM-Finale. Es ist ein wunderbares Spiel, das die knapp 90.000 Menschen im Lusail Iconic Stadium geboten bekommen. Die umstrittenste WM aller Zeiten endet mit dem fraglos dramatischsten Finale aller Zeiten.
Das Turnier kulminierte im Helden-Epos um Lionel Messi, dem vielleicht größten Spieler aller Zeiten, der fünf Weltmeisterschaften lang der ultimativen Krönung hinterherjagte. Es ist die größte Geschichte des Weltsports in den letzten Wochen, Monaten, Jahren und die Geschichte erhält das märchenhafte Ende: Messi, der Unvollendete, führt seine Argentinier ins Glück. Persönlich. Es ist eine glänzende Geschichte. Im Rampenlicht strahlte diese Weltmeisterschaft am Ende hell. Heller als manche zuvor. Doch im Schatten des Spektakels bleibt es dunkel, wenn der Zirkus die Stadt wieder verlassen hat.
Wie war die Abschlusszeremonie?
National Day in Katar ist auch noch. Natürlich fährt das Emirat groß auf. Lange Zeit vor dem Finale donnern sechs Jets für eine Weile über das Lusail Stadium. Das war es dann auch. Die Abschlusszeremonie ist für 16:45 Uhr Ortszeit angesetzt, das Stadion immerhin bereit. Aus den blauen Laufbändern der letzten Spiele werden welche im glitzernden Wüstengold. Ein Problem aber besteht: Niemand ist da. Die Zuwege zum Stadion sind überlastet.
Die goldene Metrolinie, die auf dem Weg zum Lusail noch an der Fanzone vorbeifährt, ist hoffnungslos überfüllt. Dort soll es zu bedrohlichen Szenen gekommen sein.
Immerhin die Mannschaften sind schon da, als die groß angekündigte Zeremonie beginnt. Der französische Staatspräsident Emmanuel Macron und UEFA-Präsident Aleksander Čeferin auch, FIFA-Boss Gianni Infantino. Das Stadion hingegen ist nur zur Hälfte gefüllt. Während der kurzen Zeremonie, die mit schwebenden Walen und Haien beginnt und einem Feuerwerk endet, ist ein 3D-Medley aus den größten Hits des WM-Soundtracks. Dazu flirren Tänzer und Tänzerinnen über das Feld. Nicht alle halten ihre Position ein. Sie werden eifrig durch die Gegend geschubst. Dann ist’s auch schon vorbei.
Wer entschied das Duell der Superstars für sich?
Bis etwa zur 80. Minute lautete die Frage an dieser Stelle: Kylian wer? Der Übermorgen-24-Jährige ist lange unsichtbar, bis er doppelt zuschlägt und den bis dahin fast chancenlosen Titelverteidiger doch noch in die Verlängerung führt. Lionel Messi hatte bis dahin gewaltig vorgelegt, ein Tor selbst erzielt und das zweite mit einem großartigen Steckpass an der Mittellinie entscheidend beeinflusst. Die argentinische Dominanz scheint auch daher zu rühren, dass der Flügelspieler Mbappé die Defensivarbeit auf der Außenbahn etwas schleifen lässt. Trainer Deschamps reagiert, holt Mittelstürmer Olivier Giroud schon vor der Halbzeit vom Platz und stabilisiert so Frankreichs Spiel. Doch erst das Foul im Strafraum an Randal Kolo Muani in der Schlussphase macht die Partie spannend.
In der Verlängerung treffen beide Superstars, sie sind die prägenden Figuren dieses brillanten WM-Finals. Messi legt vor, Mbappé nach, Elfmeterschießen. Der Franzose ist mit Abpfiff der Verlängerung Torschützenkönig, der Argentinier dagegen Weltmeister. Die eindrücklichste Szene, was Messi dafür bereit ist zu geben, spielt sich schon in der ersten Hälfte ab. Nachdem er die Albiceleste zum fünften Mal bei dieser WM mit 1:0 in Führung gebracht hat, schmeißt sich der 35-Jährige mit aller Wucht ins Luftduell mit Theo Hernandez. Die Schmerzen verschwinden, der Titel bleibt für immer. Messi beendet seine Nationalmannschaftskarriere mit dem größtmöglichen Triumph.
Die Schlüsselszene
Möglicherweise wird Lionel Scaloni mal über den Moment sprechen, in dem ihm die Idee kam, die das Endspiel der Weltmeisterschaft lange prägte. Vielleicht wird er von einer Eingebung berichten, vielleicht gibt es eine pathetische Geschichte, wahrscheinlich aber wird er es als das benennen, was es war: das Ergebnis einer hervorragenden taktischen Analyse. Als der argentinische Nationaltrainer entschied, den Routinier Ángel Di Maria als Linksaußen zu bringen, hatte er das Endspiel weit vor dem Anpfiff für seine Argentinier in die richtigen Bahnen gelenkt. Den Elfmeter zum 1:0 holte der 34-Jährige, der 2014 zu Deutschlands Glück im Finale verletzt fehlte, raus, das 2:0 erzielte er wenige Minuten später selbst. Dass Di Maria von Beginn an stürmen würde, war dabei durchaus überraschend. Angeschlagen hatte der 128-fache Nationalspieler in der K.o.-Phase überhaupt erst acht Minuten gespielt.
Der Schachzug Scalonis stellte Frankreich defensiv vor gewaltige Probleme, in den ersten 40 Minuten war der Weltmeister auf mindestens einem der Flügel permanent überfordert, meistens in Unterzahl oder mit der Verfolgung eines Argentiniers beschäftigt. Das 1:0 ist die Blaupause für dieses Konzept: Offensivspieler Ousmane Dembélé muss Di Maria im Strafraum bearbeiten, weil Rechtsverteidiger Jules Koundé schon überspielt ist. Dembélé bringt Di Maria zu Fall, das Schicksal nimmt für den Titelverteidiger seinen verhängnisvollen Lauf. Didier Deschamps versucht, den taktischen Schaden zu reparieren, nimmt noch vor der Halbzeit Dembélé und seinen zweitbesten Torschützen Olivier Giroud vom Feld. Weil Scaloni vor dem Spiel eine entscheidende Idee hatte.
Dabei kreierte Deschamps selbst ein Momentum, das die Franzosen wieder zurück ins Spiel brachte: Die Dynamik und Wucht der eingewechselten Marcus Thuram und Randal Kolo Muani pressten Argentinien immer weiter zurück, Kolo Muani holte den Elfmeter raus, den Mbappé zum Anschlusstreffer nutzte. Der Ausgleich wenig später war Ausdruck des Kippmoments des Spiels, den Deschamps herbeigeführte hatte, indem er nach dem Wechsel Mbappé in die Mitte beorderte und weitestgehend von Defensivaufgaben entband.
In einem Spiel, das lange früh und nach Messis Treffer in der Verlängerung kurz spät entschieden schien, wird neben taktischen Ideen und wunderbaren Geschichten vor allem eine Szene auf ewig präsent sein: Als Randal Kolo Muani, der maßgeblich dazu beitrug, dass Frankreich überhaupt noch einmal in dieses Spiel zurückfand, in der Nachspielzeit der Verlängerung wenige Meter vor dem französischen Tor den aus dem Himmel fallenden Ball volley nimmt, ihn nicht schlecht trifft - und nicht zum Helden des Abends wird sondern zur tragischen Gestalt. Denn Emiliano Martinez fährt das Bein aus und liefert die spektakulärste Parade des Abends. Ein wenig subtiler Schlüsselmoment in einem Finale voller Kippmomente.
Teams & Tore
Argentinien: E. Martinez - Molina (ab 91. Montiel), Romero, Otamendi, Tagliafico (ab 120.+1 Dybala)- de Paul (ab 102. Paredes), E. Fernandez, Mac Allister (116. Pezzella) - Messi, J. Alvarez (ab 103. L. Martinez), Di Maria (ab 64. Acuna). - Trainer: Scaloni
Frankreich: Lloris - Koundé (ab 120.+1 Disasi), Varane (ab 113. Konate), Upamecano, T. Hernandez (ab 71. Camavinga) - Tchouameni - Griezmann (ab 71. Coman), Rabiot (ab 96. Fofana)- Dembele (ab 41. Kolo Muani), Giroud (ab 41. Thuram), Mbappé. - Trainer: Deschamps
Schiedsrichter: Szymon Marciniak (Polen)
Tore: 1:0 Messi (23., Foulelfmeter), 2:0 Di Maria (36.), 2:1 Mbappé (80., Foulelfmeter), 2:2 Mbappé (81.), 3:2 Messi (108.), 3:3 Mbappé (118., Handelfmeter)
Zuschauer: 88.966 (ausverkauft im Lusail)
Gelbe Karten: E. Fernandez, Montiel (3), Acuna (3), Paredes (2), E. Martinez - Rabiot, Thuram, Giroud (auf der Bank)
Elfmeterschießen: 0:1 Mbappe, 1:1 Messi, E. Martinez hält gegen Coman, 2:1 Dybala, Tchouameni schießt neben das Tor, 3:1 Paredes, 3:2 Kolo Muani, 4:2 Montiel
Das ist doch bestimmt historisch, oder?
Und wie! Selten dürfte es ein solch geschichtsträchtiges WM-Finale gegeben haben. Lionel Messi löst mit Anpfiff die deutsche Fußballikone Lothar Matthäus als Rekordspieler (26 WM-Einsätze) ab, Hugo Lloris (19) zieht in der Torhüter-Wertung an Manuel Neuer vorbei. Kylian Mbappe ist mit 23 Jahren der jüngste Fußballer, der sein zweites WM-Finale bestreitet und der fünfte Mann, der in zwei Endspielen mindestens ein Tor erzielt. Seine jetzt vier Tore - eines beim Titel 2018, drei diesmal gegen Argentinien - sind ebenfalls neuer Rekord. Außerdem ist Mbappé nach Geoff Hurst 1966 der zweite Hattrick-Schütze in einem Finale.
Alles historisch, einzigartig, spektakulär. Es ist ja tatsächlich ein mitreißendes Finale. Lionel Messi verpasst derweil die Bestmarke von Nils Liedholm knapp - der Schwede bleibt mit seinem Finaltreffer 1958 beim 2:5 gegen Brasilien im Alter von damals 35 Jahren und 264 Tagen ältester Endspieltorschütze der WM-Geschichte. Und Frankreich vergibt im Elfmeterschießen die Chance, als erste Mannschaft seit eben jenen Brasilianern um den unvergleichlichen Pelé den Titel zu verteidigen. Damit bleiben die Seleção von 1962 und Italiens Weltmeister von 1934 und 1938 die einzigen Mannschaften, denen das gelungen ist.
Wie war es im Stadion, Stephan Uersfeld?
Sogar Elon Musk ist da. Will er die FIFA kaufen oder sich doch nur beim finalen Event bei der besten WM aller Zeiten zeigen? Oder sich beim Emir ein paar Tipps zum Umgang mit Kritik abholen? Es ist nicht ganz klar, und auch überhaupt nicht das Thema der argentinischen Fans, die laut jubeln als auf den Videoleinwänden DAS Maradona-Tor gezeigt. Das Sensations-Tor gegen England 1986 ist Teil einer Totenschau seit der WM 2018. Horst Eckel, Gerd Müller und Jürgen Grabowski sind auch auf der Leinwand zu sehen. Nach den Nationalhymnen singen die argentinischen Fans ihre WM-Hymne "Muchachos". Das WM-Finale 2022 kann losgehen, verspätet, weil Antoine Griezmann sich Zeit lässt und den Anstoß beinahe verschläft.
Der 7,5 Jahre alte Tweet zum Spiel
Quelle: ntv.de