
Das Lächeln wirkt gequält - Rauch weiß, sie kann nicht spielen.
(Foto: dpa)
Die Defensive des DFB-Teams ist schon vor der Fußball-Weltmeisterschaft in Australien und Neuseeland zerbröckelt, vor Ort bricht sie wegen Verletzungen vollends auseinander. Für EM-Stammspielerin Felicitas Rauch wird wohl eine Debütantin aufgeboten - die kaum Erfahrung in der Verteidigung hat.
In ihren schicken Ausgeh-Outfits ist das DFB-Team ins Sydney Football Stadium gekommen. Kapitänin Alexandra Popp und Co. tragen beigfarbene Hosen, weiße Hemden und, je nach Wahl, schwarze Blazer oder beige Trenchcoats als sie entspannt über den Rasen spazieren. 32 Stunden vor dem zweiten Gruppenspiel gegen Kolumbien (11.30 Uhr/ARD und im ntv.de-Liveticker) darf sich das Team schon einmal mit der Arena vertraut machen. Eine aber spaziert nicht mit, sondern steht nur am Spielfeldrand: Felicitas Rauch.
Die Linksverteidigerin ist mit dabei, obwohl klar ist, dass sie nicht spielen können wird. Am Freitagabend gab der DFB bekannt, dass Rauch im Training eine "Verstauchung des rechten Kniegelenkes erlitten" hat. Sie falle auf "unbestimmte Zeit" aus. Am Tag danach blickt Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg mit bedrückter Miene zurück: "Das war kein guter Moment im Training. Das war ein geblockter Schuss, wo sich das Knie gestaucht hat." Sie erklärt: "Es ist nicht schön im Training, wenn jemand verletzt daliegt und du weißt, das war nicht gut." Nach den Untersuchungen aber sei das gesamte Team "froh, dass es keine noch schlimmere Diagnose gegeben hat".
Die Befürchtung spricht sie nicht aus, aber die Thematik Kreuzbandrisse bei Fußballerinnen ist allgegenwärtig. Carolin Simon, Rauchs Positionskollegin wäre mit zur WM gereist, wenn sie sich nicht im letzten Testspiel gegen Sambia eben diese Verletzung zugezogen hätte. Giulia Gwinn ist auf der rechten Seite noch nicht wieder mit dabei, weil sie nach ihrem zweiten Kreuzbandriss noch Zeit für den Wiedereinstieg benötigt. Während der DFB die Mitteilung zu Rauchs Verletzung schickt, läuft das WM-Spiel zwischen England und Dänemark, nur Minuten danach verletzt sich Englands Mittelfeldstrategin Keira Walsh am Knie, muss mit der Trage vom Feld gebracht werden. Die Diagnose steht noch aus, ihre Tränen und der sichtliche Schock der Mitspielerinnen lässt nichts Gutes vermuten.
Klar ist, Rauch fällt erst einmal aus. Unklar ist, wie lange. Allerdings scheint die Perspektive zu bestehen, dass die 27-Jährige noch später im Turnier wieder fit wird, Voss-Tecklenburg habe "aufatmen" können. Deswegen bleibt Rauch beim Team und reist auch aus dem Teamhotel in Wyong mit nach Sydney.
Abwehrsorgen ausgerechnet gegen "Wunderkind"
Für das wohl schwerste Spiel in der Gruppenphase gegen Kolumbien aber heißt es schon wieder umbauen für das Trainerteam. Die Deutschen erwarten physisch starke Gegnerinnen, die mit Härte und Aggressivität ins Spiel gehen. Mit der gerade einmal 18-jährigen Linda Caicedo hat Kolumbien ein "Wunderkind" im Sturm - sollte sie nach ihrem Zusammenbruch im Training am Donnerstag spielen können. "Linda geht es gut", sagt Kolumbiens Trainer Nelson Abadia: "Sie ist eine Spielerin, die wichtig für den Fußball und speziell für uns ist." Gleichzeitig lässt er sich nicht in die Karten schauen: "Wir haben noch 24 Stunden Zeit, um die Aufstellung zu machen."
Als Gegenwehr für die erwartete Offensivpower wäre Rauch wichtig gewesen. Die Wolfsburgerin hat sich zur absoluten Topspielerin entwickelt, die EM war ihr erstes Turnier in der A-Elf, anfangs wirkte sie in England phasenweise noch etwas nervös und hektisch, strahlt inzwischen aber Sicherheit aus. "Es ist die dritte Außenverteidigerin, die uns aufgrund einer Verletzung wegbricht", bestätigt Voss-Tecklenburg. "Aber wir haben immer betont, dass wir klar wissen, wie unsere Back-up-Rollen aussehen."
Das Mittelfeld und die Offensive sind im DFB-Kader nominell besser bestückt. Die EM-Verteidigung, die beim Turnier im vergangenen Jahr so brillierte und gemeinsam mit Torhüterin Merle Frohms erst im Halbfinale gegen Frankreich das erste Tor zuließ, ist aufgrund der Verletzungen von Gwinn, dem bisherigen Fehlen von Marina Hegering wegen ihrer Fersenprellung und nun dem Ausfall von Rauch nicht mehr existent.
Die Optionen für Voss-Tecklenburg und ihren Trainerstab sind nicht unerschöpflich. Auf die Frage, ob sie im Nachhinein lieber doch einen anderen Kader nominiert hätte, sagt die Bundestrainerin aber ganz entschieden: "Nö". Sie erklärt: "Man muss ein bisschen anpassen, auch in der Ausrichtung, welche Position wir in welchen Räumen mit welcher Spielerin besetzt und was das bedeutet, sowohl in der Offensive als auch in der Defensive." Hegering wurde von Sara Doorsoun ersetzt, die ihre Aufgabe beim 6:0-Auftaktspiel gegen Marokko souverän erledigte. Gwinns Ausfall führte dazu, dass Flügelstürmerin Svenja Huth in die Defensive rückte.
Einsatz für eine Debütantin?
Und für Rauch? Vermutlich wird Chantal Hagel aufgeboten, etwas überraschend rutschte sie wohl nur wegen Simons Ausfall ins WM-Aufgebot. Sie hat gerade einmal elf Länderspiele absolviert. Die 25-jährige Turnier-Debütantin wechselt in diesem Sommer von der TSG Hoffenheim zum Champions-League-Finalisten VfL Wolfsburg und wird dort für ihre Flexibilität geschätzt.
Denn eigentlich spielt Hagel im offensiven Mittelfeld und passt so ins Anforderungsprofil von Voss-Tecklenburg: "Wir haben uns vorher klar Gedanken gemacht, wer wo spielen kann, welche Positionsflexibilität wir haben und natürlich wussten wir auch, dass gegebenenfalls der ein oder andere Ausfall ein bisschen mehr weh tut als im Mittelfeld, wo wir extrem viele Möglichkeiten haben." Für Hagel wäre es die WM-Premiere unter erschwerten Bedingungen, zumal sie selbst noch nicht in der Champions League gespielt hat und damit die erwartete Härte möglicherweise zum Problem werden könnte.
Alternativ könnte auch Sophia Kleinherne in die Startelf rücken. Sie spielt seit der vergangenen Saison, vor der Frankfurts Trainer Niko Arnautis sie von der Innenverteidigung auf die Außenposition zog, als Rechtsverteidigerin. Dort aber steht jetzt Huth, für Kleinherne bliebe daher die Option auf links. Oder die DFB-Elf läuft mit einer Dreierkette auf, was allerdings den gesamten Charakter des Spiels verändern dürfte.
Für die Bundestrainerin liegt der Fokus in den letzten Stunden vor dem Spiel nicht auf dem, was alles nicht geht. "Es ist das allerwichtigste, dass jede Spielerin weiß, ich bin bestmöglich vorbereitet", betont sie. "Trotzdem werden wir Fehler machen, das passiert in jedem Spiel. Also geht es darum, Fehler nicht nur zu minimieren, sondern sie auch wieder ausbügeln zu wollen und das schaffen wir nur im Kollektiv."
Quelle: ntv.de