55 Jahre Bundesliga

Redelings über die Saison 65/66 1860 München stellt den FC Bayern kalt

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Meister 1860: 100 Jahre vorher war da nix, 100 Jahre danach erst recht nicht.

Meister 1860: 100 Jahre vorher war da nix, 100 Jahre danach erst recht nicht.

(Foto: imago sportfotodienst)

Wer sind schon die Bayern? 1860 München beherrscht die Liga und sticht betrunkene Dortmunder in einem dramatischen Finale aus. TSV-Trainer Max Merkel schwingt als Dompteur die Peitsche und Tasmania bricht für alle Zeiten sämtliche Negativ-Rekorde!

Gleich in der ersten Minute der neuen Saison kommt es zu einem echten Paukenschlag. Beim Derby der frisch aufgestiegenen Münchner Bayern gegen 1860 schießt Konietzka den Neu-Bayern-Profi Pitter Danzberg aus kurzer Distanz k.o. Und während der Münchner noch am Boden liegt, spielt Konietzka Drescher elegant aus, zieht an Beckenbauer vorbei und trifft unhaltbar für Sepp Maier ins Tor. 1:0 für 1860 München in der 1. Minute der neuen Saison. Doch das Duell Konietzka gegen Danzberg ist noch nicht beendet. In der 85. Minute streckt der Bayern-Spieler den Torschützen des ersten Treffers der Saison so unsanft nieder, dass dem Schiedsrichter nichts anderes übrig bleibt, als den Neueinkauf der Bayern vom Platz zu verweisen. Das Spiel endet in jeglicher Beziehung 1:0 für den TSV. Ein Start nach Maß also für die Sechziger.

Es grüßt: 1860-Trainer Max Merkel.

Es grüßt: 1860-Trainer Max Merkel.

(Foto: imago/Sven Simon)

Und es wird die Saison des TSV 1860 München bleiben, auch wenn Trainer Max Merkel noch vor der Spielzeit zwar zuversichtlich, aber dennoch recht bescheiden die Ansprüche so beschrieb: "Wir werden heuer weiter vorn enden als im Vorjahr. Die Abwehr scheint sich stabilisiert zu haben. Deshalb hoffen wir auf die Erringung des – sagen wir – dritten Tabellenplatzes."

"Wenn's klappt, bekommen sie Zuckerl"

Der österreichische Trainer ist ohne Frage der Mann der Saison. Merkel wird endgültig zum medialen Star, der es wie kaum ein anderer versteht, die Bühne Bundesliga für sich zu nutzen. Seine Sprüche werden von Journalisten geschätzt und von den Fußballfans geliebt: "Ich fühle mich wie ein Dompteur, der in der Manege mit der Peitsche schnalzt. Kehrt er seinen Raubtieren auch nur für einen Moment den Rücken zu – schon greifen sie mit der Tatze nach ihm. Auch Fußballer brauchen die Peitsche. Und wenn es geklappt hat, bekommen sie von mir ihr Zuckerl."

Merkel bleibt seiner Linie im Alltag stets treu, auch wenn es manchmal weh tut. Er muss seinen treffsicheren Stürmer Rudi Brunnenmeier schweren Herzens während der laufenden Saison suspendieren, weil dieser das strikte Verbot "Barbesuche nur von samstags bis montags" missachtet. Der Durst beim Rudi ist mal wieder größer gewesen als die Vernunft.

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Das Duell an der Spitze heißt bis kurz vor Schluss: Borussia Dortmund gegen 1860 München und wird erst entschieden, als der BVB den Europapokal der Pokalsieger gegen Liverpool gewinnt. Plötzlich hat die Mannschaft ein Problem, wie Aki Schmidt einmal selbstkritisch erzählte: "Gegenüber war ’ne Kneipe, da war immer was los. Ich bin gar nicht mehr zur Ruhe gekommen. Die ganze Feierei hat uns die Meisterschaft gekostet. Wir spielten noch zu Hause gegen 1860. Hätten wir gewonnen, wären wir Meister geworden. So wurde es 1860."

Später erzählt Max Merkel eine kleine Anekdote von diesem Tag in Dortmund, als sein Spieler den Heim-Trainer während der laufenden Partie düpierte: "Der Patzke dribbelt an der Außenlinie entlang, stoppt den Ball, schaut, wo der Multhaup sitzt, und sagt dann mitten im Spiel zu ihm: 'Was, Willi, da machste Augen – das sind Sachen!'"

Als einer der wenigen ahnt der österreichische Meistercoach, dass dieser Triumph ein ganz besonderer ist: "Es gibt Titel, da kommst du mit ins Buch der Rekorde. Meine Meisterschaft mit den Sechzigern zum Beispiel. 100 Jahre vorher war da nix, 100 Jahre danach wird da wohl nix sein."

Tasmania mit legendären Negativ-Rekorden

Die Tasmania aus Berlin jagt außer Negativ-Rekorden in dieser Saison nichts.

Die Tasmania aus Berlin jagt außer Negativ-Rekorden in dieser Saison nichts.

(Foto: imago/Horstmüller)

Auch eine andere Mannschaft geht in dieser denkwürdigen Saison auf Rekordjagd: der SC Tasmania 1900 Berlin. So stammt z.B. die Allzeit-Minuskulisse aus der Spielzeit 1965/66. Beim Heimspiel des SC Tasmania gegen Borussia Mönchengladbach erscheinen am 15. Januar 1966 lediglich 827 Zuschauer im weiten Olympiastadionrund. Dabei sahen knapp ein halbes Jahr zuvor noch 81.524 Zuschauer das Eröffnungsspiel der Berliner gegen den Karlsruher SC. 2:0 schlägt man die Badener. Was niemand auch nur ahnt: Erst im letzten Spiel gegen Borussia Neunkirchen gelingt der zweite Heimsieg der Saison. Vor nur noch knapp 1.000 Besuchern gewinnt man mit 2:1. Tasmania nimmt es mit Humor: "Das erste und das letzte Heimspiel gewonnen, das zählt. Was dazwischen liegt, ist nicht so wichtig."

Mit dem Respekt der anderen Mannschaften ist es nicht weit her in dieser Spielzeit. Nur wenige Sportskameraden reagieren wie die HSV-Legende Uwe Seeler: "Zwanzig Tore kannst du von mir aus machen, Charly, aber nicht unseren Gegner verulken!" Die Ansage macht Seeler beim 5:1 gegen Tasmania, bei dem Dörfel das 2:0 schießt, zwei weitere Tore vorbereitet und groß aufspielt. Als er mit Beinschüssen anfängt, wird es Seeler zu bunt.

Irgendwann in dieser Saison nehmen die Spieler der Tasmania die Sache nur noch mit Humor. Hans-Günter Becker meint lächelnd zum verdutzten und verschwitzten Günter Netzer, als dieser ihn nach einem 0:0 am 19. Spieltag lobt und sagt, wie ein Absteiger hätten sie aber nicht gespielt: "Ach, komm. Ihr hattet doch die halbe Reserve auf dem Platz. Jetzt stell dir doch nur mal vor, der Netzer wäre dabei gewesen!" Und der große, extra eingekaufte, alternde Star Horst Szymaniak antwortet auf die Frage, wie er denn mit der Lage bei der Tasmania umgehe, ganz einfach voller Selbstironie: "Alles wunderbar. Wir peitschen doch die gesamte Bundesliga vor uns her!" Auch aufgrund dieser sympathischen Art bleibt die Tasmania bis heute unvergessen.

Unser Kolumnist Ben Redelings ist gerade mit seinen Bühnen-Programmen republikweit unterwegs: Infos und Tickets zur Tour.

Quelle: ntv.de

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