55 Jahre Bundesliga

Redelings über die Saison 67/68 "Club" holt Höllen-Schale, Liga flirtet mit Ruin

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Herrlich harmlos: Fanplakate in der Saison 1967/68.

Herrlich harmlos: Fanplakate in der Saison 1967/68.

(Foto: imago sportfotodienst)

Max Merkel treibt Nürnberg mit Glocken durch die Fußball-Hölle zur Meisterschaft. Erwin Kostedde wird zum MSV-Skandalprofi und will zum Bierzapfer umschulen. Und Ex-Bundestrainer Sepp Herberger sieht den Untergang des Fußballs nahen.

Neymar, Dembélé und Konsorten? Gab es in der Bundesliga-Saison 1967/68 nicht im Fußball. Und trotzdem: Was für ein Déjà-vu! "Das viele Geld ruiniert den Fußball." Ein Satz, der auch vor über 50 Jahren schon die Schlagzeilen bestimmte. Von Jahr zu Jahr wurde die Bundesliga damals populärer und populärer. Da war es klar, dass das Thema Geld irgendwann in den Vordergrund rücken würde. Bisher wurde es stets nur am Rande diskutiert, zumeist im Rahmen von Skandalen.

Nun steht es im Fokus einer hitzigen Debatte, angestoßen von Sepp Herberger. Der ehemalige Bundestrainer schaut sorgenvoll auf die Liga: "Ist nicht die Art, wie mit dem Geld umgegangen wird, auch ein Grund dafür, dass viele Leute wegbleiben? Der kleine Mann spürt doch, dass er das alles bezahlen soll!"

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Erstmals wird auch das Thema Aktien diskutiert, doch Wirtschaftsfachmann Dr. Franz Ziegler nimmt den Spekulationen den Wind aus den Segeln. Er hält nichts von Fußballklub-Aktien: "Das halte ich für unmöglich! Sollte eine solche Entwicklung eintreten, dann glaube ich, dass dorthin die sportbegeisterten Zuschauer nicht mehr gehen werden."

Für Nürnbergs Jugoslawen Zvezdan Cebinac ist das viele Geld, das im Umlauf ist, auf alle Fälle ein großes Übel: "Deutschlands Fußball ist zu kommerziell ausgerichtet. Vom Verein über Fernsehen und Presse bis zum Zuschauer. Es fehlt die Seele. Was ist schon ein Spieler? Eine Sache, Material, Handelsware. Er muss Geld bringen, anstatt Freude und Begeisterung zu wecken."

"Es war die Hölle"

Abseits der Debatte um die kalte Kohle überrascht der 1. FC Nürnberg die Liga. Im Vorjahr noch Tabellenzehnter, wird der "Club" nun Meister. Schon im Sommer-Trainingslager treibt der Erfolgscoach Max Merkel seine Mannschaft zu Höchstleistungen an. Das Team zieht mit, auch wenn es knüppelhart ist, wie sich Franz Brungs erinnert: "Wir glaubten oft, wir würden zusammenbrechen. Wir hatten das Gefühl, jetzt ist es aus, jetzt geht es einfach nicht mehr. Es war die Hölle."

Am Ende der Saison krönte sich der 1. FC Nürnberg überraschend zum Meister.

Am Ende der Saison krönte sich der 1. FC Nürnberg überraschend zum Meister.

Als es zwischenzeitlich in der Saison eng wird und die Tabellenführung flöten zu gehen droht, ruft Trainer Merkel sein Team zu sich. Todernst fragt er seine Mannschaft, ob sie wisse, warum Kühe auf der Alm Glocken um den Hals tragen würden. Irritierte Blicke und dann des Übungsleiters Antwort: "Damit sie nicht im Stehen einschlafen. Übrigens, ich habe gerade ein Dutzend für euch bestellt."

Doch Max Merkel kann auch anders. Er ist der strenge Vater des Teams, der sein Erfolgskonzept von "Zuckerbrot und Peitsche" auch in Nürnberg durchzieht. In einer schwierigen Phase sagt er zu seiner Mannschaft: "Ihr müsst rennen, bis ihr umfallt. Dann trage ich euch auf meinen eigenen Armen vom Platz!" Und seine Elf gehorcht. Trotz der neuen Auswechselregel stehen im Kern nur zwölf Mann in der Saison für den Club auf dem Rasen: Wabra, Leupold, Popp, L. Müller, Wenauer, Ferschl, Cebinac, Strehl, Brungs, H. Müller, Volkert, Starek. Hinzukommen mit wenigen Einsatzzeiten noch Hilpert, Toth und Schöll. Autor Peter Handke widmet dieser Elf (plus 1) sogar das Gedicht "Die Aufstellung des 1. FC Nürnberg vom 27.1.1968".

Ein Akteur hat es Max Merkel ganz besonders angetan. In den höchsten Tönen schwärmt er von seinem wichtigsten Spieler Luggi Müller: "Zehn von Luggis Sorte müssten wir haben. Hart gegen sich und den Gegner. Der ist aus dem richtigen Holz – da zittern die anderen schon, wenn sie hören, dass sie gegen den Luggi spielen müssen."

In Nürnberg wird der Titel tüchtig gefeiert. Beim letzten Spiel sitzt auch Max Merkels Landsmann Udo Jürgens auf der Trainerbank. Fans halten Plakate hoch, auf denen die Verdienste des österreichischen Erfolgscoachs gepriesen werden: "Nicht nur Neckermann, auch Max Merkel macht’s möglich!" Im Rausch der zünftigen Feierlichkeiten fragt Horst Leupold: "Wer soll das denn aushalten?" Ein Empfang jagt den nächsten. Doch einer ist sich sicher, dass seine Spieler fit genug sind. Trainer Max Merkel prostet mit einem Augenzwinkern den Journalisten zu: "Auch dafür ist in meinem Trainingsprogramm schon Vorsorge getroffen!"

Kostedde verzapft lauter Unsinn

Der MSV erspielt sich einen guten siebten Tabellenplatz, doch nach Feiern ist den wenigstens zumute – denn ein Profi bereitet den Meiderichern Sorgen. Duisburg verknackt seinen Spieler Erwin Kostedde zu einer hohen Geldstrafe und zu einer Sperre. "Aus Duisburgs schwarzer Perle wurde das schwarze Schaf", schreibt der "kicker". Und Kostedde? Der reagiert trotzig: "Ich werde Bierzapfer oder Schweißer. Dann bin ich wenigstens glücklich!"

Der Profi kündigt seine Wohnung zum 1. April und verkauft die gesamte Wohnungseinrichtung, obwohl diese dem MSV gehört. Das kommt gar nicht gut an. Kostedde wechselt schließlich zu Standard Lüttich und spielt bis zum Jahre 1983 Fußball an den unterschiedlichsten Orten. Unvergessen unter Fußballfans ist sein Spruch: "Ich möchte nie mehr arbeiten, sondern nur noch am Tresen stehen und saufen."

Alle Artikel unserer wöchentlichen Serie "55 Jahre Bundesliga" finden Sie hier. Unser Kolumnist Ben Redelings ist mit seinen Bühnen-Programmen unterwegs: Infos und Tickets zur Tour.

Quelle: ntv.de

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