
Sollen auch im DFB-Dress jubeln: Emre Can und Marius Wolf.
(Foto: picture alliance / Dennis Ewert/RHR-FOTO)
Jahrelang wird Borussia Dortmund für seinen angeblichen Mangel an Mentalität kritisiert. Doch plötzlich ist der Bundesliga-Tabellenführer Vorbild genau dafür. Wie das der DFB-Elf helfen soll, kann am besten ein formstarker BVB-Profi erklären.
Große Ereignisse werfen ihre Schatten voraus. Und so verwundert es nicht, dass es bei der deutschen Fußball-Nationalmannschaft derzeit vor allem um eine Sache geht: die Europameisterschaft im eigenen Land im kommenden Jahr. "Es wird ein sehr schönes Erlebnis", prophezeite Bayer-Talent Florian Wirtz auf der DFB-Pressekonferenz mit Matthias Ginter und Emre Can. "Der Rudi (Völler) hat vor ein paar Tagen schon gesagt, dass wir uns alle darauf freuen können."
Denn über die jüngere Vergangenheit zu sprechen, heitert wohl kaum die Stimmung auf. Seit dem WM-Debakel in Katar ist sportlich nichts passiert, der letzte Auftritt der DFB-Auswahl war das Aus in der Gruppenphase - der 4:2-Erfolg über Costa Rica. Neues vom Platz gibt es deshalb frühstens erst am Samstag, wenn die Elf von Bundestrainer Hansi Flick ihren ersten Test des Jahres gegen Peru bestreitet (20.45 Uhr/ZDF und ntv.de-Liveticker) und dann am darauffolgenden Mittwoch gegen Belgien spielt (20.45 Uhr/RTL und im ntv.de-Liveticker).
Neben dem sportlichen Erfolg beschäftigt die DFB-Elf ohnehin noch eine zweite große Mission, die aber eng mit der ersten verwoben ist: die Bindung zu den Fans. Wie das klappen soll, erklärte Ginter auf der Pressekonferenz. Für mehr Fan-Bindung gebe es zwei Wege - entweder der Erfolg oder sich nicht "so distanziert zu zeigen". Er selbst nannte das perfekte Beispiel dafür nicht, dabei es liegt auf der Hand: Borussia Dortmund. Der BVB steht während der Länderspielpause an der Spitze der Bundesliga-Tabelle, Trainer Edin Terzić hat die Liebe zu den Fans wieder neu entfacht. Am Sonntag trat er beim Saisonauftakt der Dortmunder Nordstadt-Liga auf, einem Straßenfußballwettberb für Jugendliche. Und stellte dort eindrucksvoll unter Beweis, was Fanliebe bedeutet (hier bei Stephan Uersfeld nochmal im Detail nachlesbar).
Emre Can liebt Zweikämpfe
Auf dem DFB-Podium saß unterdessen auch jemand, der das Geheimnis der Borussia kennt. Emre Can tauchte doch etwas überraschend in der Nominierungsliste des Bundestrainers auf. Sein letztes Länderspiel hatte der 29-Jährige noch unter Ex-Bundestrainer Jogi Löw gemacht - 2021 wurde er beim EM-Achtelfinal-Aus gegen England eingewechselt. Nun also die Rückkehr, die Neu-Trainer Flick schon vor einigen Tagen mit einem Extralob versah. "Ich habe mit Emre vor der WM gesprochen. Ich habe ihm damals gesagt: 'Hey, höre zu, wir haben 2024 eine Europameisterschaft in Deutschland. Wenn deine Entwicklung so ist, wie wir uns das vorstellen, hast du hier wieder eine Chance, in die Mannschaft zu kommen.' Das ist jetzt so", sagte Flick.
Wohin genau Can in die Mannschaft kommen soll, ist noch unklar. "Meine Rolle wird man im Laufe der Maßnahmen hier sehen", sagte der 29-Jährige selbst. "Ich liebe Zweikämpfe, ich liebe es, mich für die Mannschaft reinzuhauen", führte er weiter aus. "Ich will mich beweisen und auch Länderspiele machen." Und erklärte, dass es am Ende auch auf Mentalität ankomme. Denn nach Jahren, in denen der BVB für seinen angeblichen Mangel an eben jener kritisiert wurde, sind sie plötzlich vorbildlich darin.
Es ist das, was die Spieler von Borussia Dortmund auch der Nationalmannschaft mitgeben sollen. "In diesem Jahr läuft es immer sehr gut im Verein", sagte Can. Das ist vielleicht noch untertrieben: Der BVB ist in diesem Kalenderjahr in der Liga noch ungeschlagen und könnte am 1. April mit einem Sieg im direkten Duell den Vorsprung auf die Bayern auf vier Punkte erhöhen. "Man kann schon sagen, dass wir ein richtig gutes Team sind", erklärte Can, "was auch nicht immer top gespielt hat, muss man auch ehrlich sagen." Der BVB habe aber immer Mentalität gezeigt, die Akteure auf dem Platz "sich für einander reingehauen". "Ich glaube, dass wir das als Beispiel für die Nationalmannschaft nehmen können."
Auch von Argentinien und Marokko lernen
Als Vorbild taugt aber nicht nur der BVB. Seit der Wüsten-WM sind vor allem Argentinien und Marokko die neuen Trendmannschaften. Während erstere um Superstar Lionel Messi den Titel holten, stürmten die zweiten sensationell bis ins Halbfinale. "Die haben nicht immer gut Fußball gespielt", sagte Can über beide Teams. "Aber die waren eine Mannschaft, eine Einheit, die haben sich immer reingehauen." Er glaube, dass viel erreicht werden könne, "wenn man Mannschaft zusammen verteidigt, als Mannschaft zusammen Fußball spielt. Wenn das jeder versteht und 100 Prozent gibt, kann man sehr, sehr erfolgreich sein."
Deshalb kommt auch die zweite Überraschung im vom Aushilfskapitän Joshua Kimmich kritisierten DFB-Kader aus Dortmund: Marius Wolf. "Das sind beides Spieler, die eine Mentalität haben, die wir auf dem Platz brauchen", erklärte Flick die Nominierungen. Can ergänzte das mit seinen ganz persönlichen Eindrücken. "Bevor ich zum BVB kam, wusste ich nicht viel über Marius Wolf", sagte er. Aber nicht nur in den vergangenen Wochen sei er ihm positiv aufgefallen: "Nicht nur, wie er trainiert, sondern wie er auch Gas gegeben hat. Er hat nie gemeckert, er hat immer sein Ding gemacht."
Gleichzeitig könnte Wolf ein jahrelanges strukturelles Problem im DFB-Kader lösen. Denn dadurch, dass sich Kimmich im defensiven Mittelfeld zu Hause fühlt, fehlt seither jemand, der die Rechtsverteidiger-Position bekleiden kann. Wolf macht das beim BVB derzeit hervorragend. Und vielleicht ja auch bei der Nationalmannschaft. "Marius kann die Chance nutzen, ich traue ihm das auf jeden Fall zu", sagte Can.
Quelle: ntv.de