Fußball

Sechs Dinge, die wir gelernt haben Bayerns Tiki-Taka-Prophet in der Sinnkrise

Das ist so lustig: Daniel van Buyten leert ein sehr großes Glas mit Bier über seinen Trainer.

Das ist so lustig: Daniel van Buyten leert ein sehr großes Glas mit Bier über seinen Trainer.

(Foto: imago/Michael Weber)

Er kommt, rotiert und wird Fußballmeister. Dennoch läuft für Josep Guardiola beim FC Bayern nicht alles rund. Der BVB feiert Robert Lewandowski - nur wofür? Und Schalke hat Jens Keller nicht verdient.

1. Eine Meisterschaft kann zu früh kommen

Was 46 Tage doch ausmachen können. Am 25. März dieses Jahres feierte der FC Bayern München die früheste Meisterschaft in der Geschichte der Fußball-Bundesliga. Am 27. Spieltag. Die Super-Bayern von Jupp Heynckes hatten in der Triplesaison noch bis zum 28. Spieltag gebraucht. Die Super-Super Bayern von Josep Guardiola waren noch schneller. Aber nicht besser. Denn Heynckes' Bayern gewannen weiter. In der Liga fünf von sechs Spielen, nur Dortmund trotzte ihnen ein Remis ab. In der Champions League 4:0 und 3:0 gegen den FC Barcelona, und im Finale 2:1 gegen Borussia Dortmund. Zum Abschluss holten sie den DFB-Pokal.

Vorsicht, glitschig: Josep Guardiola hat ein Problem mit der Meisterschale.

Vorsicht, glitschig: Josep Guardiola hat ein Problem mit der Meisterschale.

(Foto: imago/Jan Huebner)

Guardiolas Super-Super-Bayern bekamen die Schale 46 Tage nach dem Gewinn der Meisterschaft. Eine entfesselte Party wurde es nicht. Denn sie hatten plötzlich aufgehört, zu gewinnen: Es begann mit einem seltsam sorglosen 3:3 gegen Hoffenheim, bei dem Thiago Alcantara das Saisonaus ereilte - ein Teilriss im Innenband. "Eine schlimme Nachricht", sagte ein bedrückter Guardiola danach, und er sollte recht behalten. Nur trug er selbst seinen Teil dazu bei. Schlimm genug, dass nun der wohl versierteste Jünger des Tiki-Taka-Propheten fehlte. Der Mann, der mit unfassbaren 185 Ballkontakten am 19. Spieltag einen neuen Bundesliga-Rekord aufgestellt hatte. Was für den weiteren Saisonverlauf aber viel schwerer wog, war Guardiolas Angst vor weiteren Verletzungen. Was folgte, waren eine Rotationsorgie und ein folgenschwerer Satz: "Die Liga ist vorbei".

Mit einem Spieler namens Ylli Sallahi in der Startelf kassierte der Meister die erste Niederlage in der Bundesliga – in Augsburg, durch ein Tor von Sascha Mölders. Es war kein Kratzer im Lack, sondern ein Steinschlag in der Frontscheibe, der sich zu einem Riss ausweitete. Gegen Manchester United rettete sich der Titelverteidiger noch durch eine entschlossene Schlussphase ins Champions-League-Halbfinale. Aber da sahen die Super-Super-Bayern plötzlich ganz gewöhnlich aus. Schlagbar. Ratlos. Einem 0:1 im Estadio Bernabeu folgte die "Hölle dahoam". Bildeten sich die Bayern nach dem Spiel in Madrid noch etwas auf ihre angebliche "Dominanz" ein, beerdigte Real in München den Glauben an die Überlegenheit des Ballbesitzfußballs. Diese Sinnkrise wiegt noch schwerer als ein Formtief, das aus einem Spannungsabfall entsteht: Sie dreht sich um die Frage, ob nur die verfrühte Radikalrotation der Fehler ist - oder gleich das ganze System Guardiola. Die Antwort gibt es vielleicht im Pokalfinale. Ein Sieg gegen den BVB könnte die Saison versöhnlich enden lassen - und eine Niederlage alles infrage stellen.

2. Dortmund feiert Lewandowski - nur für was?

"Wahnsinn" mit Standing Ovations: Nach dem 33. Spieltag überschlugen sich in Dortmund die Gefühle. Ein ganzes Stadion feierte Robert Lewandowski, und Jürgen Klopp, der Trainer des BVB,  bedankte sich gerührt: "Ich bin stolz, dass so etwas in dieser manchmal aufgeblasenen Welt des Profi-Fußballs noch möglich ist." Fast konnte man glauben, der Torjäger hätte doch noch einen neuen Vertrag in Dortmund unterschrieben. Als Dank, weil sie ihn dort seit 2010 zum Weltklassestürmer geformt haben, dem sogar Viererpacks gegen Real Madrid glücken und neuerdings auch direkte Freistoßtore. Bekanntlich ist das Gegenteil der Fall: Ab Juli steht mit Lewandowski der nächste Dortmunder Star beim FC Bayern unter Vertrag. Endlich, schließlich hatten Lewandowski und seine Berater einen Wechsel mit unschönem Theater schon im Sommer 2013 erzwingen wollen. Warum die BVB-Fans nun trotzdem feierten? Ganz einfach: Weil der zum Bleiben gezwungene Lewandowski seinen trotzigen Andeutungen über Motivationsprobleme trotzte und nicht frustriert in den Schmollwinkel stürmte.

Er spielte weiter groß auf für jenen Verein, der 2013 auf eine Millionenablöse verzichtet und stattdessen freiwillig Lewandowskis Gehalt stark angehoben hatte. Bis zum 33. Spieltag erzielte er 18 Saisontore für jenen Klub, für den er gar nicht mehr spielen wollte. Bei der Pokalfinal-Generalprobe in Berlin kamen gegen Hertha noch zwei dazu. Die Münchner dürfen sich damit nicht nur auf Dortmunds "Jahrhundertstürmer" freuen. Sie bekommen gleich noch den amtierenden Bundesliga-Torschützenkönig und - wenn Lewandowski auch im Pokalendspiel gegen die Bayern trifft - einen amtlich beglaubigten Musterprofi hinzu, der dann nur knapp an der fußballerischen Heiligsprechung vorbeigeschrammt sein wird. Was im allgemeinen Gefühlstrubel etwas untergegangen ist: Lewandowski hat keine humanistische Heldentat vollbracht, seine 20 Ligatore für den BVB waren kein altruistischer Akt. Robert Lewandowski hat einfach etwas getan, was in der "manchmal aufgeblasenen Welt des Profi-Fußballs" offenbar schon als Kuriosität durchgeht: Er hat seinen Vertrag anständig erfüllt. Vielleicht sollte er mal mit Thomas Tuchel telefonieren.

3. Die Kluft zwischen oben und unten wird größer

Nie war es einfacher als in dieser Bundesligasaison, den Abstieg zu vermeiden. Nie war weniger Leistung nötig, um das Ziel zu erreichen. Aber Eintracht Braunschweig, der 1. FC Nürnberg und der Hamburger SV können es nicht besser. Das Kellertrio verlor an den letzten fünf Spieltagen all seine Spiele. Während Braunschweig und Nürnberg nun auch nominell zweitklassig sind, ist der HSV in die Relegation getaumelt und hat nun die Chance, in zwei Partien gegen die SpVgg. Greuther Fürth doch noch dafür zu sorgen, dass der Klub auch in der 52. Saison der Fußball-Bundesliga bei den besten 18 Fußballmannschaften des Landes mitspielen darf. Der Leitsatz aber, dass es 40 Punkte braucht, gilt aber längst nicht mehr. Die drei Letzten in dieser Spielzeit holten gerade einmal 25, 26 und 27. In der Saison 1997/1998 zum Beispiel stieg der Karlsruher SC mit 38 Punkten ab. Das sind zwei Zähler mehr, als die Frankfurter Eintracht und der SC Freiburg in diesem Jahr auf den Rängen 13 und 14 haben.

Das zeigt, wohin der Trend geht: Die Kluft zwischen denen da oben und denen da unten in der Liga wird immer größer. Ausgeglichen ist die Liga schon lange nicht mehr. Von wegen, jeder kann jeden schlagen. Die von oben schlagen in ermüdender Regelmäßigkeit die da unten. Die 60 Punkte, die sich der VfL Wolfsburg in dieser Saison als Tabellenfünfter erspielt hat, hätten in der vergangenen noch zur Qualifikation für die Champions League gereicht; auch die 55 der Mönchengladbacher Borussia auf Platz sechs. Mit dem übermächtigen FC Bayern, Borussia Dortmund, dem FC Schalke 04 und Bayer Leverkusen haben exakt die vier Mannschaften die europäische Königsklasse erreicht, die das auch im vergangenen Jahr geschafft haben. Sie können auch in der kommenden Spielzeit mit den Einnahmen aus dem internationalen Geschäft planen, diese investieren, die Teams verstärken - und so dafür sorgen, dass die Schere immer weiter auseinander geht.

4. Totgesagte trainieren besser

"Effenberg, Freiburgs Streich, doch Keller? Schalke lässt Gerüchteküche brodeln". Das schrieben wir gegen Ende der vergangenen Saison. Königsblau ging mit Jens Keller in die neue Spielzeit. "Real oder Regionalliga? Wie die Schalker mit ihrem Trainer spielen" schrieben wir im Dezember 2013. Keller überstand die Winterpause - und auch das deutliche Aus gegen Real. Kurze Zeit später hieß es: "Schalke-Trainer 'schon fünfmal fast weg' - Jens Keller streckt die Brust raus".  Was schreibt man nun als Fazit über diese Schalker Saison? Vielleicht: "Totgesagte trainieren besser - Keller erreicht das Maximum". Das wäre vermutlich etwas übertrieben, obwohl nicht viel fehlt. Platz drei in der Liga, die Vorrunde in der Champions League überstanden und gegen das übermächtige Real ausgeschieden, wenn auch mit überdeutlichen Ergebnissen - einzig die Heimpleite im Achtelfinale des DFB-Pokals gegen Hoffenheim trübt die Saisonbilanz.

"Was gibt es denn Größeres, als Schalke 04 zu trainieren?" Sagt Jens Keller.

"Was gibt es denn Größeres, als Schalke 04 zu trainieren?" Sagt Jens Keller.

(Foto: AP)

Unter welch widrigen Bedingungen Keller sein Team erne ut in die Königsklasse geführt hat, nötigt Respekt ab: Die Verletztenmisere erreichte absurde Ausmaße, das Lazarett war teilweise voller als die Mannschaftskabine. Torjäger Klaas-Jan Huntelaar fehlte quasi die komplette Hinrunde, Verteidiger Dennis Aogo riss das Kreuzband, Winterneuzugang Jan Kirchhoff absolvierte nur die letzten beiden Spiele. Königstransfer Kevin-Prince Boateng kämpfte immer wieder mit leichten Verletzungen. Hinzu kam der traditionell riesengroße Anspruch, verkörpert von Jungtalent Julian Draxler, der vor der Saison von einem Titel redete, selbst aber gerade in den wichtigen Spielen abtauchte. Ganz zu schweigen von den ständigen Gerüchten um Kellers Ablösung und den halbherzigen Bekenntnissen von Sportdirektor Horst Heldt. Nun kam heraus, dass die Schalker hinter Kellers Rücken schon mit Thomas Tuchel verhandelt hatten. Und Jens Keller arbeitete einfach weiter, professionell und erfolgreich. "Was gibt es denn Größeres, als Schalke 04 zu trainieren?", sagt er auch noch. Eigentlich haben die Königsblauen so einen Trainer gar nicht verdient.

5. Nicht alle freuen sich auf die Europaliga

Der VfL Wolfsburg würde gerne zu denen da oben gehören, mit den Millionen des WV-Konzerns hätte die Mannschaft von Trainer Dieter Hecking das auch geschafft, am Ende fehlte ein Pünktchen zur Qualifikation für die Champions League. Dementsprechend mäßig fiel die Freude darüber aus, dass sie nun in der Europaliga spielen. Mittelfeldspieler Kevin De Bruyne sagte: "Damit müssen wir jetzt zufrieden sein." Kollege Ivan Perisic sprach von einem "netten Wettbewerb" und kündigte prompt an: "Nächstes Jahr wollen wir aber unter die Top vier." Auch in Mönchengladbach waren sie nicht gerade aus dem Häuschen. Zumal die Borussia als Tabellensechster erst noch zwei Ausscheidungsspiele überstehen muss, um die Gruppenphase zu erreichen. Reich würden sie dort auch nicht, Manager Max Eberl formulierte das so: "Die Einnahmen in der Europa League sind leider nicht so groß, was ich sehr schade finde, weil sie eigentlich höher sein müssten."

Ganz anders die Stimmung in Mainz. Gut, dort müssen sie sich damit beschäftigen, dass Trainer Thomas Tuchel keine Lust mehr hat und sich unter leicht merkwürdigen Umständen weigert, seinen Vertrag zu erfüllen. Aber dass er es mit seiner Mannschaft bis in die Europaliga geschafft hat, ist eine echte Sensation. Der FSV Mainz ist in die Lücke zwischen oben und unten gestoßen und hat tatsächlich den Sprung auf die internationale Bühne geschafft. Das ist es, was die Liga immer noch interessant macht. Mindestens ebenso überraschend und anerkennenswert ist es, dass das dem FC Augsburg mit Trainer Markus Weinzierl fast auch gelungen wäre - mit einem Team, das sich vor der Saison zum Kreis der Abstiegskandidaten zählen durfte.

6. Stärkste Liga der Welt? Hm

Mit der spanischen Fußballmeisterschaft, das steht seit Sonntag fest, wird es für Real Madrid in dieser Saison nichts mehr. Die Königlichen könnten aber einen Antrag stellen, als Bundesliga-Meister 2013/2014 anerkannt zu werden. Mit dem FC Schalke, Borussia Dortmund und dem FC Bayern hat es Real schließlich in dieser Champions-League-Saison mit den drei Erstplatzierten der Bundesliga aufnehmen müssen. Die Madrider Bilanz: Fünf Siege, eine Niederlage, 17:5 Tore - und ein sehr solider Anspruch auf die Meisterschale. Gegen deren Übereignung spricht strenggenommen nur der bisweilen rüde Umgang mit Trophäen in Madrid. Vom Anspruch aus dem Mai 2013, die stärkste Liga der Welt zu sein, hat sich die Bundesliga schon wieder verabschiedet. Trotz des begeisternden "German Endspiels" in der Champions League war das schon damals eine eher schmeichelhafte Einschätzung.

Inzwischen darf sie als korrigiert gelten - dank der Bundesliga. Die zog zwar mit vier Mannschaften in die K.o.-Runde der Königsklasse ein, eskortierte dort aber lediglich Real Madrid ins Finale und ermöglichte Paris St. Germain einen Spaziergang ins Viertelfinale. Auch in der Europa League blieben die deutschen Fans von Glanzleistungen verschont. Der VfB Stuttgart scheiterte gegen den kroatischen Giganten HNK Rijeka in den Playoffs und sparte Kräfte für den Abstiegskampf, der SC Freiburg verabschiedete sich in der Gruppenphase. Einzig Eintracht Frankfurt überraschte mit 12.000 orangenen Auswärtsfans in Bordeaux, erreichte die Zwischenrunde und blieb dort gegen den FC Porto ungeschlagen. Ins Achtelfinale kam trotzdem der Favorit aus Portugal. Die Breite in der Spitze der Bundesliga, sie erwies sich als sehr viel schmaler als gedacht. In der Fünfjahreswertung wurde sie von Spanien und England wieder abgehängt, selbst Fußball-Krisenland Italien zog fast vorbei. Tröstlich ist aber: Unter den Bundesligen ist Deutschland weiter die Nr. 1.

Fünfjahreswertung der Uefa (Stand: 2. Mai 2014)

Vereine2009/102010/112011/122012/132013/14Gesamt
Spanien17.92818.21420.85717.71422.57197.284
England17.92818.35715.25016.42816.78584.748
Deutschland18.08315.66615.25017.92814.71481.641
Italien15.42811.57111.35714.41614.16666.938
Portugal10.00018.811.83311.759.75062.133
Frankreich15.00010.7510.50011.758.50056.500
Russland6.16610.9169.7509.7510.41646.998
Niederlande9.41611.16613.6004.2145.91644.312
Ukraine5.80010.0837.7509.57.83340.966
Belgien8.7004.60010.1006.56.40036.300

 

Quelle: ntv.de

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