Fußball

"Fahrlässig, feige und frech" Beim BVB explodiert die Wut auf Schiri Sascha Stegemann

Stegemann und der BVB gingen im Zorn auseinander.

Stegemann und der BVB gingen im Zorn auseinander.

(Foto: picture alliance / firo Sportphoto)

Wieder einmal kann der BVB bei einem Abstiegskandidaten nicht gewinnen. Doch nach dem Unentschieden beim VfL Bochum vereint sich die Wut auf Schiedsrichter Sascha Stegemann. Mit derben Worten greifen die Dortmunder den 38-Jährigen an und dringen dabei zur großen VAR-Frage vor.

Sebastian Kehl hob noch einmal an. Die Wut wich weiter aus ihm hinaus. Noch einmal setzte er an. "Heute ist es nicht mit rechten Dingen zugegangen", wütete der Sportdirektor von Borussia Dortmund. Zum Schlussakkord eines bemerkenswerten Monologs nach dem 1:1 (1:1) der Dortmunder Borussia beim kleinen Nachbarn VfL Bochum. Wieder einmal hatte der BVB nach den beiden Unentschieden auf Schalke (2:2) und beim VfB Stuttgart (3:3) auswärts bei einem Abstiegskandidaten nicht gewonnen. Doch das war nicht das Thema von Kehl.

Ihm ging es um etwas anderes, um etwas, was den Vorteil in diesem an Peinlichkeiten und verrückten Wendungen nicht armen Meisterrennen wieder zurück in die Hände des kriselnden Giganten FC Bayern München legte. Der sich zerlegende Rekordmeister kann am Sonntag gegen das wohl schlechteste Team der Liga, Hertha BSC, wieder die Tabellenführung übernehmen.

Weil, so waren sich die Dortmunder einig, Schiedsrichter Sascha Stegemann und sein Mann im Kölner Keller, Robert Hartmann, in der 65. Minute nach einem recht offenkundigen Foul des bereits verwarnten Danilo Soares an BVB-Stürmer Karim Adeyemi auf Weiterspielen entschieden. Alle, die es an diesem verregneten Freitag im Bochumer Ruhrstadion mit dem BVB hielten, waren fassungslos. Die Dortmunder Bank bearbeitet an der Seitenlinie den Vierten Offiziellen, Sören Storks, die Ersatzspieler um Kapitän Marco Reus unterbrachen ihr Aufwärmprogramm und waren kurz davor, den Platz zu stürmen. Ein Raunen ging durch das ausverkaufte Stadion und das Spiel weiter. Kaum jemand konnte das verstehen.

"Das ist beschämend"

Tore fielen danach nicht mehr. Nur eins von Mats Hummels aus Abseitsposition, bei dem im Vorfeld der Bochumer Erhan Masovic einen Schuss mit der Hand blockte. Kein Elfmeter. Aber Gelb für Trainer Edin Terzić, der es nicht mehr aushielt. Noch so ein Aufreger. Wie schon ein vermeintliches Foul an Emre Can wenige Sekunden vor dem 1:0 der Bochumer nach nur wenigen Minuten. Drei Situationen, in denen sich der BVB falsch behandelt fühlte. Drei Situationen, von denen jedoch nur das nicht geahndete Foul an Adeyemi der Geruch der Fragwürdigkeit nachhing. Wie auch immer: Der BVB hatte seine gute Ausgangslage in der Meisterschaft mal wieder verspielt. Und war reichlich angefasst. Davon und wie ihnen die Gewissheit auf eine weitere Woche an der Spitze der Liga in diesem wilden Spiel aus den Händen gerissen worden war.

Diesmal ging es nicht gegen die eigene Mannschaft, wie es noch nach den Unentschieden gegen Schalke und Stuttgart der Fall war. Diesmal gab es nur ein Ziel - die große Wut auf den VAR und den Schiedsrichter. "Fünf Spieltage vor Schluss. Wenn es um die absolute Entscheidung geht, um die deutsche Meisterschaft. Wenn man in dieser Situation das Mittel nicht nutzt, das man zur Verfügung hat, es sich nicht ansieht, dann halte ich das für fahrlässig, feige und komplett falsch", schimpfte Kehl in der Mixed Zone. Der Sportdirektor wurde von Wort zu Wort lauter: "Er muss rausgehen und sich das anschauen. Es ist fahrlässig und beschämend." Der BVB war in der Frustration vereint. Kehl war nur der lauteste an diesem Abend. Im Kern ging es allen darum, dass sie sich vom VAR nicht gesehen fühlten.

Kabinenbesuch bei Sascha Stegemann

"Was ich einfach fordere ist, dass man alles dafür tut, in dieser Phase der Saison keine Fehlentscheidung zu treffen. Das hat heute nicht stattgefunden", erklärte BVB-Trainer Edin Terzić weitaus nüchterner als Kehl. In der Sache aber war er bei ihm und berührte dabei die fundamentale Kritik am System VAR: "Es ist nicht leicht als Schiedsrichter. Aber was mich massiv stört, dass heute nicht alles getan wurde, keine Fehlentscheidung zu treffen. Das empfinde ich als sehr ungerecht", sagt er.

"Wir kämpfen seit langer Zeit darum, diese Chance zu haben, endlich die Meisterschale in der Hand zu haben. Für einige von uns, vielleicht auch für mich, ist es die einmalige Chance in ihrem Leben. Dann nicht alles dafür zu tun, Fehlentscheidungen auszuschließen, das tut heute extrem weh", ergänzte Terzić. Wie schon Kehl legte er Wert darauf, dass Angriffe auf den Schiedsrichter sonst nicht zum Programm des BVB gehören.

Doch anstatt nach dem Spiel vor den eigenen Fans in der Westkurve im Bochumer Ruhrstadion zu jubeln, explodierten sie kollektiv in den Katakomben des Stadions. Terzić, Kehl und Kapitän Marco Reus, der erst nach 73 Minuten eingewechselt worden war, sahen ihre Träume tragisch und fremdbestimmt zerplatzen. Sie wollten einfach nicht begreifen, wie eine derart entscheidende Szene nicht einmal den Aufwand eines sogenannten On-Field-Reviews wert war. Doch auch nach einem Kabinenbesuch bei Schiedsrichter Stegemann waren sie nicht schlauer. Der hatte die Szene noch überhaupt nicht gesehen, hieß es im Anschluss. Was die Dortmunder Wut nicht abklingen ließ.

Bochum kämpft, Dortmund wütet

Denn natürlich wissen sie in Dortmund, an welch seidenem Faden ihre Meisterschaftsträume hängen. Sie wissen ebenso, dass sich eine derartige Chance womöglich in den nächsten Jahren nicht mehr auftun wird. Mit einer ähnlichen Bayern-Krise ist in den nächsten Jahrhunderten kaum mehr zu rechnen. Jetzt oder nie. Einmal noch Deutscher Meister werden, bevor es nie wieder möglich sein wird. Stattdessen für immer Vizemeister, BVB! Einen derartiger Fort- und dann auch Ausgang der Saison will man sich in der Westfalenmetropole nicht ausmalen.

Doch so nicht. Nicht mit dieser Leistung und nicht unter diesen Umständen. "Wenn man es nicht schafft, aus eigener Stärke die Tore zu erzielen und es dann solche Schlüsselmomente gibt, die uns nicht geholfen haben, als Sieger vom Platz zu gehen …", sagte Terzić und stoppte. Er wollte zumindest ein wenig den Fokus auf das sportliche Dilemma der Borussia legen. Denn dort ging dem Spiel des BVB nach einer furiosen ersten Halbzeit beider Teams in den zweiten 45 Minuten vieles ab. Sie waren von der 46. bis zur 73. Minute beinahe ideenlos, griffen immer wieder durch die Mitte an, gelangten kaum mehr in aussichtsreiche Abschlusspositionen.

Ihnen war es bereits in der ersten Halbzeit nicht gelungen, Ruhe in das Spiel zu bringen und ließen sich jetzt von einem furiosen Stadion in einen aussichtslosen Mittelfeldkampf verwickeln. Die Anthony Lossilas, Kevin Stögers und Patrick Osterhages liebten es, wenn sie nicht gerade vor Erschöpfung zusammenbrachen. Vorne rannte Takuma Asano, der japanische DFB-Schreck bei der WM in Katar, alles an, was sich bewegte und hinten schimpfte Manuel Riemann seltener als er Bälle parierte. Der Verrückte im Tor des VfL überragte. Passiert auch nicht oft. Die Bochumer kämpften um den Klassenerhalt und die Fans an der Castroper Straße liebten es sehr. Es gab Momente, da standen sie sogar kurz vor der Sensation.

Das uneingelöste Versprechen VAR

Das Thema aber war längst gesetzt. Es ging nicht um die Dortmunder Behäbigkeit im Offensivspiel in der zweiten Halbzeit, nicht um zu späte Wechsel, um zu späte Willensbekundungen auf dem Platz. Es ging nicht um den VfL und den Bonuspunkt im Abstiegskampf. Es ging nur um Schiedsrichter Sascha Stegemann und seinen Mann im Kölner Keller.

Als alles vorbei war, schnappte Terzić sich eine Currywurst vom Buffet und rauschte wie der gesamte BVB-Tross in die Ruhrgebiets-Nacht. Es war eine, die den deutschen Fußball in den nächsten Tagen noch beschäftigen wird. Denn trotz all der überbordenden Wut der Dortmunder, hatten sie einen wunden Punkt getroffen. Das große Versprechen des VAR wurde an diesem Freitag in Bochum nicht eingelöst. Er sollte den Fußball bekanntlich gerechter machen, doch dafür müsste er zumindest eingreifen. Dass dies nicht passierte, war der größte Kritikpunkt von Kehl und Terzić. Sie fühlten sich verschaukelt. Hätte Stegemann es sich doch wenigstens angeschaut. Hat er aber nicht. Und so hingen die Fans nach dem Spiel beinahe schon Verschwörungstheorien nach. Im Internet kursierten bald, wie es in solchen Fällen immer der Fall ist, die wildesten Theorien. Wie das so ist, wenn Sachen nicht zu erklären sind. Der VAR hat die Menschen wütender gemacht.

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Die große Hoffnung auf Erlösung der Bundesliga von der Herrschaft der Bayern wurde ebenfalls empfindlich in Mitleidenschaft gezogen. Denn dafür müssten die Dortmunder ihre Auswärtsspiele bei Teams aus dem Tabellenkeller gewinnen. Und das hängt, so sehr es die Dortmunder auch wollen, nicht mit dem Schiedsrichter zusammen. Vorbei ist ohnehin noch lange nichts. Dafür ist in dieser Spielzeit zu viel passiert.

Doch spät in der Nacht sangen einige Fans am Dortmunder Hauptbahnhof vom ewigen Vizemeister Borussia Dortmund. Es war ihre fatalistische Art, mit dem Rückschlag umzugehen. Die BVB-Bosse haben sich für einen anderen Weg entschieden. Sie wurden so laut, dass sie schon bald im Auge des Tornados auf das Heimspiel gegen den VfL Wolfsburg vorbereiten werden können. Stürmische Zeiten in der Liga. Vielleicht sollte man besser in den Keller gehen. Da ist es sicher.

Quelle: ntv.de

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