Oh, oh ein Mentalitätsderby Glücksbesoffener BVB fürchtet sich im Keller
28.04.2023, 06:20 Uhr
Bereit für die Mentalitätsproben bis zum Saisonende: BVB-Anführer Jude Bellingham.
(Foto: IMAGO/Laci Perenyi)
Borussia Dortmund führt die Tabelle der Fußball-Bundesliga an und möchte diesen Zustand bis zum Ende der Saison verteidigen. Die Meisterschaft ist das klar kommunizierte Ziel. Der Weg ist aber noch weit und führt auch durch den Tabellenkeller. Dort mag es der BVB indes nicht so gern.
Wäre die Fußball-Bundesliga ein Haus, so wären Komfortzone und Angstraum für Borussia Dortmund klipp und klar definiert. Auf dem Dachboden, da fühlen sich die Schwarzgelben sehr wohl (außer es geht zum FC Bayern), vor dem Keller dagegen, da fürchten sie sich. Glücksbesoffen schwanken die Dortmunder in diesen Tagen durch ihre eigene Party. Wie die wilden Stiere waren sie am vergangenen Wochenende über die Eintracht aus Frankfurt hinweggedonnert und an die Spitze gestürmt, während sich der taumelnde Konkurrent aus München erst beim FSV Mainz 05 blamierte und danach für ein paar Tage abgetaucht war. Der Dortmunder Titel-Traum ist lebendig.
Dafür braucht am heutigen Freitagabend unbedingt Punktenachschub. Aber dafür muss der BVB wieder in den Keller hinabsteigen. Über die B1 geht es in Windeseile zum Abstiegskandidaten VfL Bochum. Derby, Flutlicht -immer unangenehm. Auch wenn das beim Blick auf die emotionalen Zustände und die Lage in der Liga etwas grotesk erscheint. Aber die Sache ist eben so: Wenn die ganz großen Dinger winken, versagten den Borussen in dieser Saison allzu oft die Nerven. Im Revierderby gegen den FC Schalke 04 verlor die Mannschaft gegen die wilde Leidenschaft der Gastgeber völlig den Faden und spielte nur 2:2. Im Topspiel beim FC Bayern gab es die obligatorische Klatsche (2:4) und gegen den VfB Stuttgart kollabierte der BVB auf surreale Weise (3:3). Ein womöglich wegweisender Arroganzanfall, wie Jude Bellingham befindet. "Ich denke, wir haben ein Spiel wie dieses gebraucht." Dortmund hatte 2:0 geführt, lange in Überzahl gespielt und in der 97. Minute noch ein 3:2 hergeschenkt. Als Reaktion gab es das mitreißende Gebüffel gegen die Eintracht.
Ein wilder Wechsel der Gefühlswelten
In einer schwarzgelben "Was-wäre-wenn"-Welt, in der der FC Bayern so sehr mit sich beschäftigt ist, wie selten zuvor, könnte alles so wunderbar sein. Noch viel glücksbesoffener. Aber auch die Dortmunder erleben in dieser Saison wieder und wieder seltsame Aussetzer. Wann immer sie die Mentalitätsdebatten überwunden scheinen, kommt der Mann mit dem Einstellungshammer zurück und schlägt zu. Auch im Ruhrstadion wird er an diesem Freitagabend als dunkler Schatten lauern, stets bereit zuzuhauen. Dabei war dieser Ort voll triefender Ruhrpott-Romantik im Februar beim DFB-Pokal-Achtelfinale einer geworden, an dem dieses Nerven zerfetzende Ewigkeitsthema eigentlich endgültig in der Emscher versenkt worden. Der BVB hatte sich aus den Trümmern der Vorrunde erhoben und galoppierten mit gutem Fußball, mit ein bisschen Glück, Leidenschaft und Chef-Kumpel Emre Can durch die Wettbewerbe.
Völlig beseelt standen die Dortmunder Fußballer an jenem Winterabend vor ihrer Fankurve, lächelten und befanden, dass alles gut war. Marco Reus hatte einen fantastischen Konter zum 2:1 vollendet. Der Mann, der nicht unbedingt als Ikone der Malocherbewegung gilt, schürfte fleißig mit am Punkte-Gold. Alles war stahlrosa. Doch die Zeiten änderten sich, die Farben des Gemüts auch. Ein wilder Ritt durch die Farbenlehre des Ruhrpotts, ehe nun alles wieder stahlrosa ist. Und so bleiben soll. Aber warum eigentlich? "Ich kann jetzt wieder negativ werden, aber das möchte ich nicht. Das sind die Themen, die uns beschäftigen. Aber: So einen konstanten BVB wie in der Rückrunde gab es lange nicht mehr. Wir haben eine Niederlage in der Liga", sagte Trainer Edin Terzić. Fünf Spieltage sind noch zu gehen, ehe die erste Meisterschale, das offen kommunizierte Ziel, seit 2012 winkt, seit den immer noch geheiligten Jürgen Klopp-Jahren. Seither gab es nur noch einen Meister: den FC Bayern. In München kämpfen sie dieser Tage verzweifelt darum, dass das so bleibt, dass diese turbulenten Saison nicht in der Katastrophe endet - nämlich ohne Titel und mit noch wilderen Führungsdiskussionen.
Erschreckende Auswärtsbilanz des BVB
Aber der Weg ist noch lang, das Polster dünn. Gerade mal einen Punkt haben die Dortmunder zwischen sich und den Krisen-Herausforderer gelegt. Bedeutet: stolpern, besser nicht. Und so bleibt diese Saison eine fortwährende Prüfung für die mentale Wehrhaftigkeit des hochtalentierten Ensembles um Anführer Jude Bellingham und die aufblühende Tempodribbler Karim Adeyemi und Donyell Malen. Was für eine Kraft diese Spieler auf den Platz bringen können, hat die staunende Eintracht erlebt. Allerdings in Dortmund. Eine wichtige Information. Denn so furios diese Mannschaft auf die Südtribüne oder auch von ihr weg stürmen kann, so wenig Schrecken verbreitet sie in fremden Stadien. Seit zwei Monaten warten die Dortmunder auswärts auf einen Sieg. Dass ein Klub mit solch einer Bilanz ein ernsthafter Kandidat auf den Titel ist, gehört zu den aberwitzigen Wenden dieser Saison, die sich durch alle Tabellenregionen ziehen. Es ist eine Saison voller Dummdödeligkeiten, Auferstehungen und Zusammenbrüchen. Nichts lässt sich vorher sagen. Auch nicht beim VfL Bochum.
Auf einem ganz anderen Niveau schreibt er die gleiche Geschichte wie der BVB. Nach einem verbockten Start in die Saison bereits abgehakt, erholt sich das Team unter Trainer Thomas Letsch dank furioser Heimspiele. Vor ein paar Wochen scheint es nicht unwahrscheinlich, dass sie sich Mannschaft frühzeitig aus dem ganz großen Drama verabschiedet. Doch dann geht der VfL gegen Schalke baden. Die Hoffnung, auf dem Mittelstreifen der A40 verwelkt, ehe sie nach Siegen beim 1. FC Köln und gegen RB Leipzig wieder aufblüht, wie ein Blumenmeer im Frühling. Dann der nächste Rückschritt: Heimpleite gegen Stuttgart. Dann wieder Hoffnung: Punkt bei Union Berlin. Dann 1:5 gegen Wolfsburg. Die Leistung war ordentlich, das Ergebnis ein Desaster. Die größte Konstante dieser Mannschaft: ihre Unberechenbarkeit. Für den BVB eine Gefahr. Die Bochumer können jederzeit heiß laufen, wie die Wilden in den Reihen des Gegners Chaos verursachen. Oder aber das Schicksal fast teilnahmslos über sich ergehen lassen.
"Alle brennen aufs Spiel. Was gibt es Schöneres?"
"Da wird eine Weltauswahl auf dem Platz stehen, gefüllt mit Nationalspielern", sagte Bochums Coach Thomas Letsch am Tag vor der Auftaktpartie des 29. Spieltags: "Aber wenn wir mit der Einstellung reingehen: Da kommt der Tabellenführer von nebenan, da verlieren wir sowieso, dann haben wir keine Chance. Deshalb wollen wir ganz klar unser Ding durchziehen, ans absolute Limit gehen und werden uns nicht verstecken." Die Bochumer Fanfreundschaft mit dem FC Bayern spiele indes keine Rolle. Natürlich nicht, warum auch? "Es geht darum, Punkte zu sammeln, damit wir in der Liga bleiben", sagte Letsch. "Alle brennen auf dieses Spiel. Was gibt es auch Schöneres? Es ist ein Freitagabendspiel, ein Derby und eine absolut spannende Konstellation."
Nämlich Druck für beide Teams. Welcher beflügelt? Welcher lähmt? Terzić ermahnt seine Fußballer auf all das vorbereitet zu sein, was am heutigen Freitagabend passieren kann. "Es ist nicht einfach, gegen den VfL Bochum zu spielen. Sie spielen einen intensiven Fußball. Vorne haben sie viele schnelle Jungs. Sie verteidigen häufig im Eins-gegen-Eins über den ganzen Platz. Bei Standardsituationen sind sie sehr gefährlich. Das ist nicht leicht zu verteidigen. Bei diesen Sachen sind sie extrem gefährlich und bei Rückständen ist es bei der Atmosphäre nicht leicht, dann noch zu gewinnen. Das ist einigen Mannschaften schon passiert." Dem BVB nicht - und noch ein Mutmacher für den glücksbesoffenen BVB: Der letzte Auswärtssieg, datiert vom 25. Februar, er gelang in Hoffenheim. Im Keller.
Quelle: ntv.de