Fußball

Tuchel ratlos, Müller "leer" Beim FC Bayern sprechen sie fürchterlich fatale Sätze aus

Fassungslos: Bayern-Coach Thomas Tuchel.

Fassungslos: Bayern-Coach Thomas Tuchel.

(Foto: IMAGO/Sven Simon)

Der FC Bayern München taumelt nicht mehr nur in die Krise, er stürzt immer rasanter dem titellosen Abgrund entgegen. Nach dem 1:3 beim FSV Mainz 05 werden die Bosse überdeutlich. Die Kritik geht klar gegen die Mannschaft, die Tabellenführung ist weg.

Den Boden für Spott hatte der FC Bayern selbst bereitet und es dauerte nicht lange, ehe er wie ein Tsunami über ihn hereinbrach. Die Münchner hatte das Bundesliga-Spiel beim FSV Mainz 05 mit 1:3 (1:0) verloren. Sie hatten geführt und waren in der zweiten Halbzeit auf unfassbare Weise in sich zusammengebrochen. Mit jeder Minute wurden die Mainzer besser, gefährlicher, dominanter - und waren am Ende so im Rausch, dass bei manch einem gar Mitleid für den FC Bayern aufkeimte. Durch die Stadien der Republik tosten bei der Vermeldung der Mainzer Führung hingegen Wellen der Begeisterung. In Dortmund, wo die Fans es nicht fassen konnten, aber auch im Berliner Olympiastadion, in dem die Fans der Hertha für einen kurzen Moment ihren eigenen sportlichen Untergang vergessen konnten.

In dieser Gemengelage aus Freude über den Absturz, aber auch Hohn für und Sorge um den klappernden Riesen aus der bayrischen Landeshauptstadt kramte ein Fan via Twitter einen Vorschlag aus der Schublade: "Julian Nagelsmann hat noch Vertrag". So wahr, so fatal als Urteil über den Zustand des Teams.

In 37 Spielen hatte der ehemalige Trainer drei Niederlagen mit dem FC Bayern kassiert. Sein Nachfolger Thomas Tuchel erreichte diese Marke bereits nach sieben Spielen (!). Der Mann, der die gefährdeten Saisonziele des FC Bayern retten sollte, wird immer mehr zum Gesicht der sich ungebremst ausbreitenden Krise. Die "Bild"-Zeitung titelte am Samstagabend bereits: "Tuchel am Tiefpunkt". Oliver Kahn sah das derweil anders, er redete sich in den Katakomben der Mainzer Arena die Wut von der Seele, nahm Tuchel komplett aus der Verantwortung und richtete knallhart über seine Fußballer. "Wer war hier noch mal die Mannschaft, die Deutscher Meister werden wollte?", schimpfte er. "Es sind elf Mann, die auf dem Platz stehen und sich für die Ziele dieses Klubs den Hintern aufreißen müssen. Es ist nicht ausreichend, was die Mannschaft auf den Platz bringt, um Meister zu werden."

Das verspottete Dortmund schlägt zurück

Noch in der vergangenen Woche konnte der sich taumelnde Serienchampion darauf verlassen, dass die eigene Schwäche vom hinterherhechelnden Erzrivalen Dortmund gütig vergeben wurde. In Stuttgart erst panisch, dann ziemlich dümmlich. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder spottete in der vergangenen Woche sogar: "Die Dortmunder sind eigentlich fast zu doof, um deutscher Meister zu werden." Doch an diesem Samstagabend, an dem sich der FC Bayern erst blamierte und dann zerlegte, da brach es aus den Borussen heraus. Wie die wilden Stieren trampelten sie über Eintracht Frankfurt hinweg an die Spitze der Bundesliga. Um 18.50 Uhr Ortszeit war der nicht bayrische Teil Fußballdeutschlands zum ersten Mal wieder "schockverliebt" in die Bundesliga. Und es folgten noch drei weitere Einschläge der Liebe. "Deutscher Meister wird nur der BVB", dröhnte es um 19.13 Uhr erstmals von der Südtribüne. Es dröhnte bis München.

Doch dort machen sie nach den vier schwarzgelben "Torfeigen" (wieder die "Bild") erstmal die Schotten dicht. Bis Mittwoch hat sich auf Geheiß von Tuchel kein Fußballer an der Säbener Straße, dem Machtzentrum des Klubs, das immer mehr zu einem ratlosen Kriseninterventionszentrum verkommt, einzufinden. Die Spieler sollen ihre müden Körper und Geister an den Akku hängen. Denn das Energielevel befindet sich tief im roten Bereich, kurz vor dem Totalausfall. "Es ist einfach zu viel passiert für die Mannschaft, sie kann sich nicht mehr auflehnen, wenn Dinge schieflaufen", analysierte Tuchel und befand: "Es fällt uns brutal schwer, gemeinsam als Mannschaft den Spirit zu bekommen, um Sachen, die schieflaufen, aufzuhalten. Das schaffen wir im Moment nicht."

"Ich spüre eine gewisse Leere"

Thomas Müller, der Gaudibursch a.D., der in der Champions League zweimal nicht beginnen durfte, weil es keine Thomas-Müller-Spiele gewesen seien (so Tuchel), kehrte nun in die Startelf zurück, spielte erschreckend schwach (ausgerechnet in einem Thomas-Müller-Spiel!) und gestand gar: "Ich spüre eine gewisse Leere und Ratslosigkeit. Das ist jetzt die dritte Führung, die wir aus der Hand geben. Es ist nicht so, dass wir die Situation nicht begreifen." Tatsächlich haben die Münchner in dieser Saison schon 16 Punkte (!) nach Führungen hergeschenkt.

Aus dem alles zermürbenden Dominanz-Meister ist ein wilder Haufen geworden, dem es an fast allem fehlt. Sicher nicht an Qualität, dafür an Stabilität, an Sicherheit, an Selbstvertrauen, an "Chefkontrolle" (so Müller). Von einem Stürmer ganz zu schweigen. Unglaublich eigentlich, dass solche Sätze über den FC Bayern geschrieben werden, dass solche Sätze keinerlei Übertreibung enthalten. Auf keiner Ebene steht jemand im Sturm und kann dem massiven Gegenwind trotzen. Niemand wirft Nebelkerzen, wie einst Uli Hoeneß oder Karl-Heinz Rummenigge taten. Niemand gibt den unüberwindbaren Wächter. Nicht auf dem Platz, wo Thomas Müller, Joshua Kimmich und Leon Goretzka ihre Form und Führungsstärke suchen und nicht finden. Wo Stars irrlichtern und ausrutschen. Wo verzweifelte Einzelkämpfer einen Platz in einem Kollektiv suchen, das nicht funktioniert (oder gar existiert?). Und auch nicht auf der höchsten Funktionärsebene. Mit ungebremster Kraft kracht es im Inneren des Klubs.

Auch an diesem Samstagabend, als sich Kahn immer weiter in Rage redete. "Alles, was den Fußball neben dem reinen Spielen ausmacht, hat in der zweiten Hälfte bei unserer Mannschaft einfach gefehlt. Mit so einer Ausstrahlung wird es ganz schwer, Meister zu werden, aber wir werden keinen Millimeter nachgeben, auch nicht in dieser Saison", sagte Kahn, der Medienberichten vom Samstag zufolge noch mindestens ein weiteres Jahr als Boss weitermachen darf. Die Information stamme aus Aufsichtsratskreisen. Gerüchte waren zuvor von Twitter aus unaufhaltsam ins Kraut geschossen. Sie bogen sogar zum Tegernsee ab. Denn plötzlich schien sogar möglich, dass der ewige Schutzpatron Uli Hoeneß aus seinem Schattenreich zurück ins Rampenlicht treten könne.

Jetzt beginnt die Suche nach dem, was dem FC Bayern in dieser Saison fatal aus der Hand geglitten ist. Nicht erst unter der Regie von Tuchel. Unter ihr eben nur maximal beschleunigt. Schon unter Nagelsmann war der Klub in wilde Turbulenzen geraten. Die Verletzung von Manuel Neuer, die Entlassung von Torwarttrainer und Neuer-Kumpel Toni Tapalovic, die Wutabrechnung der Nummer eins, die Larifari-Exzesse von Serge Gnabry und Leroy Sané, der Maulwurf, der die Kabine unterjocht hatte und schließlich Nagelsmann selbst, der mit seiner extrovertierten Art und seiner Beziehung zu einer ehemaligen Bayern-Reporterin der "Bild" immer wieder für Schlagzeilen gesorgt hatte. Die Liste der Dinge, den Klub abseits des Platzes beschäftigten, war lang und wurde immer länger.

"Das geht nicht, ich weiß nicht wieso"

Was genau die Bayern-Bosse letztlich davon als größte Gefahr für die Saisonziele ausmachten, bleibt weiterhin ein gut gehütetes Geheimnis. Aber die Entscheidung gegen Nagelsmann kracht ihnen immer schmerzhafter auf die Füße. Die Fans hatten daher zuletzt schon die Werte des Vereins verraten gefühlt. Alles, was sie sich von Tuchel erhofft hatten, verpuffte nach dem Debütspiel des Trainers gegen den tölpelhaften BVB. Seither hagelte es Ohrfeigen und miese Resultate. Im DFB-Pokal flogen die Münchner gegen den SC Freiburg raus. In der Champions League hielt Manchester City dem FC Bayern den Spiegel der "schönen" neuen Fußballwelt vor. Seelenlose Investorenklubs trumpfen die geheiligte Heimlichkeit gnadenlos vom Tisch der Giganten. Für den Wiederaufstieg in den elitären Zirkel muss der Rekordmeister das Spiel der Millionen immer riskanter mitspielen. Ein Spiel mit Sprengkraft. Im eigenen Klub. Schon das Katar-Sponsoring hat tiefe Risse in den Klub getrieben.

Dass der Verein indes nicht nonstop so wehrlos wie in der zweiten Halbzeit gegen Main dem titellosen Abgrund entgegenrast, dass zwischendurch auch gute Leistungen dabei waren, geht in der Gesamtbetrachtung unter. Und Tuchel gleich mit. Der wirkt nach energiegeladenen Interviews zum Dienstbeginn immer angefasster - und nun völlig ratlos. Was auch in seinen immer neuen personellen und taktischen Formationen Ausdruck findet. "Ich spüre keine Energie, sich nochmal zu widersetzen. Dann kriegen wir in zwölf Minuten drei Tore und können uns nicht mehr aufbäumen. Das geht nicht, ich weiß nicht wieso." Die aufgestachelten Mainzer drehten mit Mut, Power, Teamgeist und dank der Tore von Ludovic Ajorque (65.), Leandro Barreiro (73.) und Aarón Martín (79.) die Partie in der zweiten Halbzeit. Sadio Mané (29.) hatte München in Führung gebracht. Seine Mannschaft wirke, so Tuchel, als hätte sie schon 80 Spiele gemacht, sie wirke ausgelaugt. So wie der Trainer, dem später kaum noch etwas einfiel. Auf der Pressekonferenz nach der Pleite verwendete er das Wort "offensichtlich" achtmal, sechsmal sagte er "weiß ich nicht" und dreimal "keine Ahnung."

Mehr Alarmismus geht nicht. Jetzt erstmal die Auszeit und die Aussicht auf die denkbar dankbarste Aufgabe in der Bundesliga, um sich das verlorene Selbstvertrauen wiederzuholen. Am kommenden Samstag kommt der Letzte, kommt die seelenlose Hertha aus Berlin. Nicht auszudenken, was passiert, wenn sich der sterbende Klub aus dem Westend in München neue Lebensenergie holt. Die zerstörerische Saison der Münchner hätte den nächsten Tiefpunkt erreicht. Unglaublich eigentlich, dass solche Sätze über den FC Bayern geschrieben werden.

Quelle: ntv.de

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