Fassungslosigkeit beim VfL Bochum stürzt erst Tuchel und danach in die große Krise
01.04.2024, 08:04 Uhr
Bochums Torwart Manuel Riemann wollte sich einfach nur verstecken.
(Foto: IMAGO/Eibner)
Nicht nur bei den Fans, auch bei Mannschaft und Trainer des VfL Bochum sitzt der Frust nach dem 2:2 gegen Darmstadt 98 tief. Die anhaltende Negativserie hinterlässt beim Revierklub Spuren und lässt die Sorgen wachsen. Nächste Woche steht ein Schlüsselspiel an.
Das Spiel des VfL Bochum an diesem Sonntagabend gegen den SV Darmstadt begann mit zwei Donnerschlägen. Pünktlich zum Anpfiff ergoss sich ein mächtiger Gewitterschauer über dem Ruhrstadion und nach nicht einmal drei Minuten lag die Mannschaft von Trainer Thomas Letsch bereits mit 0:1 hinten. In der luftig bis gar nicht sortierten Abwehr der Gastgeber hatte sich Oscar Vilhelmsson freigestohlen und einen prima Konter vollendet. Einziges Problem: Er hatte zuvor ein My im Abseits gestanden. Die Anerkennung des Treffers blieb folglich verwehrt. Für die Bochumer war das eine erfolgreiche Warnung. Bis zur 60. Minute waren sie das dominierende Team, führten 2:0 - aber gingen am Ende zum fünften Mal in Serie nicht als Sieger vom Platz (zuvor vier Pleiten). Sie verstanden die Welt hernach nicht mehr und haderten mit dem eigenen Unvermögen.
Mit 2:2 endete der Abstiegsgipfel zwischen dem Tabellen-15., der wieder einmal verpasste, sich deutlich von den bedrohlichen Rängen abzusetzen, und dem Tabellenletzten, der aus seiner großen Moral noch einmal Kraft für die ausstehenden sieben Partien zieht. Der in dieser Saison lange sehr unglücklich agierende Stürmer Philipp Hofmann hatte den VfL mit seinem Doppelpack (29./48.) klar in Führung gebracht, doch Tim Skarke (62.) und Vilhelmsson (76.) nach einer unglücklichen Parade von Manuel Riemann hatten dem Aufsteiger einen verdienten Punkt gesichert. Weil sich die Mannschaft nach einer Stunde aufgebäumt hatte, im Wissen nichts mehr verlieren zu können wild anlief und die Bochumer, die bis dahin alles souverän im Griff hatten, völlig verunsicherten und wieder zurück in den ungemütlichen Sumpf der Liga zurückzog.
Als Schiedsrichter Sven Jablonski die Partie abgepfiffen hatte, entlud sich die große Enttäuschung. Riemann warf sich auf den Rasen, wollte nur noch alleine sein und hätte wenig später am liebsten sein Trikot zerrissen. Kapitän Anthony Losilla vergrub das Gesicht hinter seinem Jersey und auf den Rängen herrschte blankes Entsetzen. In der heimischen Arena hatten die Bochumer wieder einmal ein Spiel hergeschenkt, dass sie niemals herschenken dürfen. Die bösen Geister der Erinnerung an die bitteren Last-Minute-Schrecken gegen Mainz, Bremen und Augsburg waren zurück ins Ruhrstadion gekehrt. Hätte diese Mannschaft die Kraft und das Selbstbewusstsein, die Dinge, die sie anfangen, regelmäßig zu Ende zu spielen, sie wäre längst durch mit dem Thema Klassenerhalt.
"Da rattert es im Kopf"
"Die einzige Erkenntnis aus dem Spiel ist, dass wir mitten im Abstiegskampf sind", befand ein restlos bedienter Trainer Thomas Letsch. "Das macht ja was mit dir", gab Letsch zu: "Da rattert es im Kopf. Die Situation ist gefährlich." Noch vor wenigen Wochen war die Lage rosarot gewesen. Die Bochumer hatten auf sensationelle Weise den FC Bayern besiegt, der danach beschloss, sich im Sommer von Trainer Thomas Tuchel zu trennen. Doch seither geht beim VfL nichts mehr zusammen. Auch, weil die Mannschaft danach erstmals mit größeren Verletzungsproblemen zu kämpfen hatte. Aber vor allem, weil ihr zuletzt die große Intensität abgeht, mit der sie auch in dieser Saison begeisternde Spiele hingelegt hatte, unter anderem auch gegen den VfB Stuttgart.
Alles war an diesem Abend lange gut gelaufen. Die Intensität war hoch, das Spiel mutig nach vorne orientiert. Hofmanns erstes Tor nach einer Ecke und einer blitzschnellen Reaktion des Stürmers hatte die erste große Druckphase in Zählbares umgemünzt. Und direkt nach der Pause war der Hüne wieder mit einem starken Kopfball zur Stelle. Innenverteidiger Keven Schlotterbeck hatte eine unglückliche Rettungsaktion des gerade eingewechselten Ex-Bochumers Gerrit Holtmann genutzt, der im Vollsprint den Ball vor der Linie gestoppt hatte, dann aber selbst nicht mehr bremsen konnte und das Spielgerät frei liegenließ, und auf Hofmann geflankt.
Statt 3:0 steht's urplötzlich 2:1
Besonders bitter an diesem Abend: Unmittelbar bevor Skarke für Darmstadt verkürzt hatte, ließen die Bochumer das 3:0 liegen. Der unermüdliche Christopher Antwi-Adjei war über die linke Seite durchgebrochen, rannte auf Keeper Marcel Schuhen zu, doch sein Versuch aus Schuss oder Flanke wurde nicht so gefährlich, wie er hätte sein können. Stattdessen folgte der Anschlusstreffer, der Darmstadt mit Energie flutete und dem VfL den Stecker zog. Mit einem Moment brach das Spiel zusammen, das zuvor vom überragenden Kevin Stöger orchestriert worden war. Aber in dem wilden Wirbel der Darmstädter, die mit offensiven Einwechselungen All-in gegangen waren, gerieten die Gastgeber in Turbulenzen, hatten Glück, dass Klaus Gjasula zwei Chancen zum Sieg ungenutzt ließ.
Greifbar waren die drei Punkte auch für den VfL noch einmal. Losilla scheiterte nach einer Supervorarbeit von Stöger an Schuhen. Wenig später tat das auch Lukas Daschner, ehe Moritz Broschinski vorbeischoss. "Wir haben es leider erneut nicht geschafft, einen Big Step zu machen. Es werden auf jeden Fall sieben intensive Wochen, in denen es bis zum Schluss um unser großes Ziel Klassenerhalt geht", ärgerte sich Letsch. Und Stöger befand, dass die Mannschaft wegen der verpassten Chancen eben zu Recht dort stehe, wo sie eben stehe.
"Relegation zu erreichen, ist unsere Meisterschaft"
Noch ist die Lage im Keller indes stabil für die Bochumer. Sechs Punkte trennen den Revierklub weiterhin vom Relegationsplatz. Dort lauert der FSV Mainz 05, der am Wochenende überraschend einen Punkt bei RB Leipzig eingesammelt hatte. Aber das Polster ist trügerisch: "Die können in zwei Wochen weg sein", mahnte Verteidiger Bernardo. Bereits am nächsten Spieltag kommt es beim 1. FC Köln zum nächsten direkten Kellerduell, Mainz trifft parallel auf Darmstadt. Mehr Showdown im Abstiegskampf geht nicht. Für den sehen sich die Gäste aus Hessen nach dem Punkt "anne Castroper" bestens gerüstet: "Für uns ist es total geil, jetzt nicht als Verlierer gegen Mainz 05 zu spielen, sondern eben mit diesem einen Punkt", sagte der von seinem Team sehr angetane Trainer Torsten Lieberknecht: "Die Relegation zu erreichen, ist unsere Meisterschaft. Wir bleiben hartnäckig und bleiben dran."
In der Kurve ließen sich die Fußballer von eigenem Anhang, der in durchaus großer Zahl angereist war, feiern - mit dem isländischen Huh-huh-Kultjubel. Anders sah es vor der Ostkurve aus. Vereinzelt gab es Pfiffe, aber auch aufmunternden Applaus. Ein Fan baute sich vor den Spielern auf und redete wie ein Derwisch auf sie an. Es war aber offenbar eine Brandrede der Motivation und nicht der Wut, wie Stürmer Hofmann später erklärte. Dass er selbst an diesem Abend, der für ihn endlich mal wieder ein richtig guter gewesen war, nicht jubeln konnte, nervte ihn kolossal: "Wir dürfen das niemals herschenken", sagte er bei DAZN: "Am Ende können wir noch glücklich sein, dass wir einen Punkt holen. Es ist einfach ärgerlich." Für die nächsten Wochen gab er sich und seinen Kollegen eine wichtige Hausaufgabe: "Wir müssen einfach lernen, so ein Spiel vorher zu entscheiden."
Quelle: ntv.de