Pfannenstiel zur WM-Generalprobe Confed Cup für Löw "absoluter Glücksgriff"
03.07.2017, 12:04 Uhr
Confed Cup und U21-EM haben es bewiesen: Für die WM 2018 in Russland hat Bundestrainer Löw die Qual der Wahl.
(Foto: dpa)
Joachim Löws Perspektivelf schockt die Fußballwelt: Beim Confed Cup trumpft Deutschlands B-Kader groß auf. Wer darf sich nun Hoffnungen auf ein WM-Ticket machen? Ist Russland schon WM-reif? Was bleibt vom Confed Cup? Der Fußballexperte und Welttorhüter Lutz Pfannenstiel verrät es n-tv.de im Interview.
n-tv.de: Herr Pfannenstiel, Sie waren beim Confed Cup vor Ort in Russland. Wie schätzen Sie das sportliche Niveau ein?
Lutz Pfannenstiel: Grundsätzlich kann man über den Sinn und den Wert des Confed Cups an sich immer streiten. Vom sportlichen Niveau und vor allem für das deutsche Team war das Turnier aber ein absoluter Glücksgriff. Dass der Perspektivkader von Bundestrainer Joachim Löw mit Teams wie Chile oder Mexiko mithalten kann oder sie teilweise an die Wand spielt, war vor dem Turnier nicht selbstverständlich. Chile, Mexiko und auch Portugal sind zudem mit ihren besten Mannschaften angereist. Danach fiel das Niveau aber merklich ab. Neuseeland hat enttäuscht, Australien wollte zwar, konnte aber nicht so richtig. Kamerun ist momentan nicht die beste Mannschaft Afrikas, obwohl sie amtierender Afrikameister sind.
Und der Gastgeber Russland?
Dessen Auftreten hat mich wirklich enttäuscht. Da spielte eine leblose Truppe, ohne Biss. Da muss bis zur WM noch einiges passieren. In einem Jahr lassen sich aber zumindest Details korrigieren.
Lutz Pfannenstiel ist der erste Fußballer, der in seiner Karriere auf sechs Kontinenten gespielt hat: 25 Vereine in 13 Ländern - nachzulesen in "Unhaltbar - Meine Abenteuer als Welttorhüter". Seit seinem Karriereende verantwortete er unter anderem den Bereich International Relations und Scouting beim Fußball-Bundesligisten 1899 Hoffenheim. Er war von 2018 bis 2020 Sportdirektor beim Bundesliga-Traditionsverein Fortuna Düsseldorf. Seit August 2020 ist er Sportdirektor beim MLS-Verein St. Louis City SC.
Pfannenstiel ist zudem als TV-Experte für verschiedene nationale und internationale Sender wie ESPN, SRF, BBC und DAZN tätig. Er ist Auslandsexperte beim DFB und Trainerausbilder bei der FIFA. Pfannenstiel ist zudem der Gründer von Global United FC.
Mal ehrlich, braucht es dieses Vor-WM-Turnier, dieses Schaulaufen, überhaupt?
Aus russischer Sicht war das Ganze schon wichtig, einfach um zu sehen, wo man vom Organisatorischen her steht. Klappt alles bei der Medienübertragung? Gibt es Verkehrsprobleme? Wie reibungslos ist der Ablauf? Was muss man noch verbessern? Was ist schon sehr gut? Für den Gastgeber ist es daher kein Schaulaufen, sondern eine ernstzunehmende Generalprobe. Und die ist geglückt. Vom Sportlichen her darf man das Turnier letzten Endes nicht überbewerten.
Hat Sie die Perspektivelf von Bundestrainer Joachim Löw überzeugt?
Absolut! Ich kann vor Löw und dem Team nur den Hut ziehen. Löw hat den Mut gehabt, jungen Spielern aus der U21 und gleichzeitig älteren, gestandenen Bundesligaprofis die Möglichkeit zu geben, sich nicht in einem Testspiel, wo es um nichts geht, sondern in einem Turnier, an dessen Ende ein Titel wartet, zu zeigen. Das hätte natürlich auch in die Hose gehen können. Aber man sieht, dass Löw mittlerweile aus einem breiten Talentreservoir schöpfen kann. Ein absoluter Luxus.
Tore satt, ab und an eine wackelige Abwehr, wechselnde Torwartleistungen: Wer hat aus dem Team herausgestochen?
Der Star war das Team (lacht)! Für ein Team, das so noch nie zusammengespielt hat, sind Abwehrwackler selbstverständlich, die gehören dazu. Große Probleme gab es da aber nicht. Bei den Torhütern gab es auch den ein oder anderen Patzer, alles in allem hat sich aber wieder gezeigt, dass Deutschland in der Defensive topbesetzt ist, da beneiden uns viele andere Nationen! Und die Tore, klar: da ragt für mich in erster Linie ein Lars Stindl heraus. Der kommt mit 28 Jahren in die Nationalelf und schießt Tore, als hätte er nie etwas anderes gemacht. Leon Goretzka hat ebenfalls aufgetrumpft und damit bewiesen, dass er in Zukunft bei jedem Topverein auf dieser Welt ein herausragender Spieler sein kann. Oder auch Kerem Demirbay, der im Spiel gegen Kamerun eine tolle Leistung abgeliefert hat. Eigentlich ist es aber unfair, sich da drei oder vier herauszupicken: die gesamte Mannschaftsleistung war einfach sehr, sehr gut.
Welcher Spieler darf sich berechtigte Hoffnungen auf ein WM-Ticket machen: Leon Goretzka, Timo Werner, Lars Stindl?
Ich denke, dass es vor der WM einige Überraschungen geben wird! Einige - wie die von Ihnen genannten - haben sich jetzt derart in den Vordergrund gespielt. Schieben die jetzt noch eine Top-Bundesligasaison nach, werden sich einige Etablierte umschauen. Der Konkurrenzkampf um die Plätze im A-Kader hat sich deutlich verschärft. Ich bin der Meinung, dass wir einige Perspektivspieler im WM-Kader oder sogar in der Stammelf sehen werden - wie vielleicht einen Goretzka.

Marc-André ter Stegen: Fällt Neuer für die WM aus, steht er parat.
(Foto: picture alliance / Marius Becker)
Und aus der Torwart-Perspektive: Hat Marc-André ter Stegen die Nummer 2 hinter Manuel Neuer im deutschen WM-Kasten sicher?
Vor dem Turnier war es ein Dreikampf zwischen ter Stegen, Kevin Trapp und Bernd Leno, der mit offenem Visier geführt wurde. Trapp hat beim Spiel gegen Dänemark keine Wünsche offen gelassen. Ter Stegen hat jetzt beim Confed Cup überzeugt, Leno leider gegen Australien einen schlechten Tag erwischt. Für ter Stegen spricht, dass er sich zur Nummer Eins beim FC Barcelona und damit einem der drei besten Vereine der Welt entwickelt hat. Aber letzten Endes ist es auch egal, wer als Nummer Zwei mitfährt: solange Manuel Neuer gesund ist, wird er spielen. Und wenn er verletzt ist, wissen wir, dass egal ob ter Stegen, Trapp oder Leno spielen, wir uns über die Torwartposition überhaupt keine Gedanken machen müssen.
U21 Europameister, Perspektivkader holt Confed Cup: Was sagt das über die Stärke des deutschen Fußballs aus?
Die Ergebnisse sprechen für sich! Es gibt in der Bundesliga sehr viele junge deutsche Spieler, die bereits über eine vergleichsweise enorme Spielerfahrung verfügen oder sogar bereits Champions League spielen. Da sind wir anderen Nationen - wie etwa England - Jahre voraus. Das Gros der englischen U21 spielt in den B-Teams in der so genannten Reserverunde, wenn sie Glück haben, werden sie ausgeliehen. Deutschland hat quasi drei komplette Nationalmannschaften, die auf Spitzenniveau spielen können - wie Confed Cup und U21-EM gezeigt haben.
Bundestrainer Löw ließ im Turnier mit einer Dreier-Abwehrkette spielen. Das funktionierte sehr ordentlich. Ist das auch etwas für die WM?
Auf alle Fälle. Das ist derzeit der moderne Fußball. Auch in der Bundesliga, wie bei uns in Hoffenheim, wird je nach Gegner die Dreierkette eingesetzt, weil sie Vorteile im schnellen, offensiven Aufbauspiel bietet. Gleichzeitig sind die deutschen Spieler aber taktisch mittlerweile so gut geschult, dass sie problemlos alle gängigen Systeme spielen können: 4-2-3-1, 3-5-2 oder 4-1-4-1. Völlig egal. Diese taktische Variabilität ist eine deutsche Waffe für die kommende WM!
Apropos WM: Wie war die Stimmung bei der "Generalprobe" in Russland? Waren die Stadien voll, die Fans gut drauf?
Die Stadien waren nicht immer voll, die Stimmung auch nicht unbedingt schlecht. Aber man muss da schon die Kirche im Dorf lassen: Der Confed Cup ist nicht die WM, sondern eine Vorbereitungsveranstaltung. So gesehen, war die Stimmung letzten Endes okay - aber ausbaufähig (lacht). Eine WM 2018 mit leeren Stadien wird es definitiv nicht geben. Wie bei den anderen WM-Turnieren hängt die Stimmung vor allem am Abschneiden der eigenen Mannschaft. So gesehen: steigert sich die Sbornaja, sehe ich für die Stimmung auch kein Problem.
Spielte die politische Lage in Russland eine Rolle in den Stadien?
Nein, das denke ich nicht. Man kann immer, bei allen großen Turnieren, politische Probleme in den Fokus ziehen. Das war in Südafrika so, auch in Brasilien. Am Ende geht es aber darum, eine Fußball-WM auszurichten, um den Sport. Hooligans, Terrorismus, Sicherheitsbedenken: beim Confed Cup gab es das nicht. Ich bin guter Dinge, dass es auch 2018 so sein wird.
Mal ein Jahr vorausgedacht, Wird Russland ein würdiger WM-Gastgeber sein?
Das wird sich zeigen. Das lässt sich niemals konkret voraussagen, aber vermutlich ja. Wie gesagt, ich bin guter Dinge (lacht).
Eine Besonderheit beim Confed Cup war der Einsatz des Videobeweises. Hat er überzeugt?Schwer zu sagen. Aber man muss klar sagen: Im Großen und Ganzen bleibt der Fußball nicht stehen, er entwickelt sich ständig weiter. Schnelligkeit auf dem Rasen, technologischer Fortschritt daneben. Da finde ich es nur logisch, dass der Videobeweis gekommen ist. Die Grundidee ist gut und eine Hilfe für die Schiedsrichter. Nun gilt es, die Kinderkrankheiten des Systems schnell auszumerzen.
Welche wären das?
Beispielsweise muss besser geklärt werden, bei welchen Situationen der Videoschiedsrichter überhaupt zum Einsatz kommt. Dann müssen die Fans im Stadion und auch die Spieler zügig darüber aufgeklärt werden und die Videobilder gezeigt werden. Klare und vor allem schnelle Kommunikation wie im American Football ist der Schlüssel. Und es darf vor allen Dingen nicht solche Situationen geben wie im Spiel gegen Kamerun, wo dann gefühlt zehn Leute um einen Monitor stehen und keiner sieht, dass die Rote Karte an den falschen Spieler vergeben wurde. Das war eine Mischung aus peinlich und lustig (lacht). Und eines ist sicher: auch mit dem Videobeweis wird das Thema Abseits weiterhin genug Diskussionsstoff für die Stammtische liefern!
Bleibt noch eine Frage offen: Hat sich Deutschland mit dem Sieg beim Confed Cup in die WM-Favoritenrolle gespielt?
Deutschland ist immer ein Titelfavorit - unabhängig davon, ob man den Confed Cup gewinnt. Allerdings hat dieser junge Kader bewiesen, dass er auf höchstem internationalen Niveau in der Lage ist, ein Turnier zu gewinnen. Die Zukunft des deutschen Fußballs ist rosa.
Mit Lutz Pfannenstiel sprach Thomas Badtke
Quelle: ntv.de