Streit zwischen DFB und Ultras Covid-19 setzt den Kampf der Kurven aus
09.03.2020, 11:55 Uhr
Kreativer Protest oder unter der Gürtellinie? Karl-Heinz Rummenigge hätte eine klare Meinung zum Protest der BVB-Fans.
(Foto: imago images/Sven Simon)
Mit viel Spannung wird der 25. Spieltag der Fußball-Bundesliga erwartet: Wird in den Kurven und in den Vorstandsetagen auf die Eskalation der Konflikte gesetzt? Die Antwort geben die Fans deutlich. Ob die Proteste weitergehen, ist fraglich. Mit einem Dialog hat das nichts zu tun.
Unweit von Heinsberg, dem Infektionseinfallstor Deutschlands, zeigen sich am Samstag in Mönchengladbach die ersten Auswirkungen der nun auch auf den deutschen Fußball einwirkenden Coronavirus-Krise. Gab es in der vergangenen Woche noch eher allgemeine Empfehlungen und vermehrt Desinfektionsmittelspender, verzichten nun 550 Zuschauer auf den Besuch des Stadions. Einige dieser Tickets für das Spiel gegen Borussia Dortmund werden noch über den Zweitmarkt verkauft, doch die offizielle Zuschauerzahl geht von 54.022 auf 53.877 runter.
Die Gleichzeitigkeit der Dinge führt bei der 1:2-(0:1)-Niederlage Borussia Mönchengladbachs zum Zusammentreffen der großen Themen der letzten Woche. Ausgelöst in Gladbach kurz nach einer Schweigeminute für die Opfer des Terroranschlags von Hanau, hatten die Proteste der Kurven gegen die Wiedereinführung der Kollektivstrafen im deutschen Fußball für heftige Diskussionen gesorgt.
Rummenigge martialisch, Keller wirr
Beschimpfungen unterhalb der Gürtellinie werden von Vereinsvertretern zu Zivilisationsbrüchen erklärt, mehrere Spiele stehen kurz vor dem Abbruch, Bayern-CEO Karl-Heinz Rummenigge spricht vom hässlichen Gesicht des Fußballs und DFB-Präsident Fritz Keller legt einen gänzlich wirren Auftritt im ZDF-Sportstudio hin.
Eine Woche nach der großen Aufregung hat sich die Situation etwas beruhigt. Von Fanseite ist im Vorfeld zu hören, dass es an diesem Wochenende zwar ausgiebige Proteste geben würde, diese jedoch nicht zur Auslösung der Drei-Stufen-Regelung führen werden - sollte der DFB sich an die Absprachen halten. Daran zweifelt niemand. Innerhalb weniger Tage hat sich der Verband derart in die Defensive begeben, dass er nun die Banner über sich ergehen lassen muss.
Es ist die Chronologie eines Scheiterns. Schnell verdichten sich die Anzeichen, dass die Ausdehnung der Drei-Stufel-Regel auf Schmähungen eines Einzelnen durch die Hintertür eingeführt wurde. Zur Erinnerung: Der Drei-Stufen-Plan wurde von Fifa und Uefa als Handhabe bei Fällen von Rassismus und Diskriminierung erdacht. Bereits am Dienstag verkündet der DFB die Aufnahme von Krisengespräche mit verschiedenen Fangruppierungen. Der Verband sagt, die Initiative sei von ihm ausgegangen, die Fans widersprechen, der Verband korrigiert sich.
Maßgebliche Fangruppierungen fehlen
Die Gespräche finden Ende der Woche statt, jedoch ohne die maßgeblichen Fangruppierungen. Mit Pro Fans und dem Bündnis Aktiver Fußball Fans (BAFF) haben diese die AG Fankultur, das Scharnier zwischen Fans, Verband und Liga, bereits vor langer Zeit verlassen. Es sei nur ein Monolog und kein Dialog gewesen, ist von Fans zu hören. Sie kritisieren die verkrusteten Strukturen des Verbands und die Selbstherrlichkeit der Entscheidungsträger.
Im Bundestag lenkt Fritz Güntzler (CDU) bei einer Anhörung im Sportausschuss zum Thema "Rechtsextremismus im Fußball" den Fokus auf die Lex Hopp. Er beklagt im Gespräch mit sportschau.de unterschiedliche Maßstäbe für "einen Milliardär, der eine wichtige Stellung bei einer Bundesligamannschaft hat", und spricht von einem "fatalen Zeichen" für den Kampf gegen Rassismus und Antisemitismus.
Unter der Woche schreiben die Vereine der zweiten Liga an die DFL. Sie fühlen sich alleingelassen, erfragen, wie sie in Zukunft mit Spruchbändern, Gesängen und den Androhungen des Hopp-Anwalts Christoph Schickhardt umgehen sollen. Dieser rückt ebenfalls in den Mittelpunkt. Er fordert nicht nur Stadionverbote nach dem Gießkannenprinzip, sondern diskreditiert sich in einem Interview mit der "Leipziger Volkszeitung".
"Da muss die Polizei in den Block rein"
Angesprochen auf die "Timo Werner ist ein Hurensohn"-Gesänge Schalker Fans, die so auch in Hoffenheim zu hören sind, sagt er: "Bei allem Verständnis für Deeskalationsstrategien: Da muss die Polizei rein in den Block und denjenigen oder diejenigen in Gewahrsam nehmen. Beleidigungen, Anstiften zur Beleidigung, Verstöße gegen das Versammlungsgesetz - da kommt einiges zusammen." Der Hardliner sorgt nur für Kopfschütteln.
Derweil rückt die DFL, der Zusammenschluss der 36 Vereine der ersten beiden Ligen, vom Verband ab. "Kollektivstrafen haben im deutschen Fußball noch nie ein Problem gelöst", schreibt das DFL-Präsidium in einer Erklärung und fordert eine genaue Definition des Drei-Stufen-Plans. Es wird klar: Die Vereine haben kein großes Interesse daran, die Fans zu verprellen. Schon lange sind die Kurven der Liga im europäischen Vergleich ein Alleinstellungsmerkmal im Ringen um Aufmerksamkeit und Werbegelder.
Am Freitag verkündet der DFB nach dem Treffen mit der AG Fankulturen, diesen nun in Gesprächen zu präzisieren. Zu einem weiteren Gespräch kommt es nicht: Der DFB findet für eine Diskussion mit einem Dortmunder Fanvertreter im ZDF-Sportstudio keinen Gesprächspartner. DFB-Vize Rainer Koch macht einen Rückzieher und einen Ersatz gibt es nicht.
Kampf gegen Coronavirus statt Kampf der Kurven

Gruselig: Der italienische Klassiker zwischen Juventus Turin und Inter Mailand fand am Sonntag ohne Zuschauer statt.
(Foto: imago images/LaPresse)
Während der deutsche Fußball unter der Woche also mit dem Machtkampf Fans und Verband beschäftigt ist, nehmen die Infektionen mit Covid-19 zu. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn spricht sich gegen Reisen an den Niederrhein aus. Prof. Dr. Christian Drosten, Direktor des Instituts für Virologie an der Berliner Charité, empfiehlt die Absage der Partie zwischen Borussia Mönchengladbach und Borussia Dortmund. Aber die Show muss noch einmal weitergehen.
Rund 130.000 Fans reisen am Samstag durch NRW. Sie besuchen die Spiele in Leverkusen, Gelsenkirchen und Mönchengladbach. In den Stadien protestieren die Fans mit zahlreichen Bannern gegen den Verband. Sie kritisieren die Vereine, die Vertreter des Fußballs. In Gladbach zeigen die Dortmunder die hässlichen Fratzen des Fußballs. Für die Fans sind das: Rainer Koch, Christoph Schickhardt, Dietmar Hopp, Fritz Keller und Karl-Heinz Rummenigge. Später werden die bundesweiten Proteste für ihre Kreativität gelobt. Dass die Fans gehört wurden, weil sie vorher lauter waren, wird selten erwähnt.
Am späten Sonntagabend verdichten sich die Hinweise: Der Machtkampf zwischen den Fans und dem Verband wird erst einmal ausgesetzt. Die nächsten Bundesliga-Spieltage, so sie denn stattfinden, werden das mit größter Wahrscheinlichkeit unter Ausschluss der Öffentlichkeit tun. Die Bekämpfung der Ausbreitung des Coronaviruses rückt endgültig in den Vordergrund, der Kampf der Kurven wird für einige Wochen in Vergessenheit geraten.
Quelle: ntv.de