Fußball

Spieler in Panik, Löw hilflos DFB-Elf ist kein Spitzenteam

Was bleibt, ist diese Schizophrenie der zwei Gesichter, die dieser Mannschaft innezuwohnen scheint.

Was bleibt, ist diese Schizophrenie der zwei Gesichter, die dieser Mannschaft innezuwohnen scheint.

(Foto: dapd)

Eine Stunde lang zelebriert die deutsche Mannschaft in der WM-Qualifikation gegen Schweden Fußball vom Feinsten. Doch kaum gerät sie unter Druck, bricht alles zusammen. Warum das so ist, weiß auch Bundestrainer Joachim Löw nicht. Doch auch er muss erkennen: Titel gewinnen er und sein Team so nicht. Weil Angst lähmt.

Joachim Löw gelang es nicht, korrigierend einzugreifen.

Joachim Löw gelang es nicht, korrigierend einzugreifen.

(Foto: dpa)

Die Fans des VfL Bochum werden sich erinnert haben. An jenen 18. September 1976, als ihre Mannschaft gegen den großen FC Bayern München nach 53 Minuten mit sage und schreibe 4:0 in Führung lag. Und am Ende dieses Bundesligaspiel mit 5:6 verlor. Das ist lange her, aber derart unglaubliche Dinge geschehen auch im Fußball nicht jeden Tag. Und sie wirken nach. Der Kabarettist und Autor Frank Goosen hat einmal geschrieben: "Seitdem sind wir die einzige Mannschaft Deutschlands, für die es keinen beruhigenden Vorsprung gibt." Diesen exklusiven Status haben die Bochumer nun verloren. Dank der deutschen Nationalmannschaft, der am Dienstagabend vor 72.369 Zuschauern im nicht ganz ausver­kauften Berliner Olympiastadion gegen Schweden ein ähnliches Kunststück gelang.

Deutschland - Schweden 4:4 (3:0)

Tore: 1:0 Klose (8.), 2:0 Klose (15.), 3:0 Mertesacker(39.), 4:0 Özil (56.), 4:1 Ibrahimovic (62.), 4:2 Lustig (64.), 4:3 Elmander(76.), 4:4 Elm (90.+3)

Deutschland: Neuer - Boateng,Mertesacker, Badstuber, Lahm - Kroos, Schweinsteiger - Müller (67. Götze),Özil, Reus (88. Podolski) - Klose

Schweden: Isaksson - Lustig,Granqvist, Jonas Olsson, Safari - Wernbloom (46. Källström), Elm - Larsson (78.Sana), Ibrahimovic, Holmen (ab 46. Kacaniklic) - Elmander

Schiedsrichter: Pedro Proenca(Portugal)

Zuschauer: 72.369

Nun hat sie mit diesem spektakulären 4:4 nicht die Qualifikation für die Weltmeisterschaft 2014 in Brasilien verspielt, die Mannschaft von Joachim Löw führt mit zehn Punkten aus vier Spielen weiter die Tabelle der Gruppe C an, vor den Schweden mit sieben Zählern aus drei Partien. Und im März nächsten Jahres geht es als Erstes zweimal gegen Ka­sachstan. Da wird nichts anbrennen, dafür ist die DFB-Elf einfach zu gut. Aber darum geht es gar nicht. Es geht um die Frage, wie so etwas passieren kann. Und die Antwort fällt we­nig schmeichelhaft aus. Nicht für den Bundestrainer und nicht für seine Spieler. Das zeigt schon der Vergleich mit dem VfL Bochum.

Dabei hatte es Bastian Schweinsteiger nach dem 6:1 in Irland am vergangenen Freitag doch gesagt: "Wir sind insgesamt auf einem sehr guten Weg, ich möchte aber sagen, dass wir den einen Schritt mehr gehen müssen, um Titel zu gewinnen. Wir müssen an je­dem kleinen Rad gut sein, um die großen Spanier auch mal zu schlagen." Und Kapitän Philipp Lahm hatte vor dem Spiel gegen Schweden in der "Süddeutschen Zeitung" ge­mahnt, dass es nun erst einmal darum gehe, die Grundtugenden zu schulen. "In die Köpfe muss wieder rein, was wir als Allererstes wollen: kompakt sein, geordnet stehen. Darum geht's!" Genau das hat gegen keineswegs überragende Schweden in der letzten halben Stunde überhaupt nicht geklappt.

Sechs Jahre gepresst in 90 Minuten

Im Grunde war diese Partie symptomatisch für die Amtszeit des Bundestrainers, sechs Jah­re in 90 Minuten gepresst. Eine Stunde lang feinster Fußball, doch wenn es ernst wird, wenn es drauf ankommt, bricht alles zusammen. Wer erinnert sich nicht an das Halbfinale der Europameisterschaft, als die deutsche Mannschaft gegen Italien die große Chance verpasste, ins Endspiel einzuziehen. Weil es im entscheidenden Moment nicht gereicht hat. Seinerzeit hieß es, dem Team fehle es an Siegermentalität, ein zugegeben schwam­miger Begriff. Was bleibt, ist aber diese Schizophrenie der zwei Gesichter, die dieser Mannschaft innezuwohnen scheint. Wie nun gegen Schweden.

Eine Stunde lang zelebrierten die deutschen Spieler in Berlin atemberaubenden Hochgeschwindigkeitsfußball auf technisch höchstem Niveau, mit Doppelpässen, Direktabnahmen, Torschüssen, allen voran Marco Reus, Mesut Özil, Toni Kroos, Thomas Müller und Miroslav Klose, also diejenigen, die für das Offensivspiel zuständig sind. Aber auch Basti­an Schweinsteiger im defensiven Mittelfeld, die Außenverteidiger Philipp Lahm und Jero­me Boateng beteiligten sich konstruktiv, ebenso Innenverteidiger Holger Badstuber. Und sein Kollege Per Mertesacker erzielte gar ein Tor. Sie haben das gemacht, was Joachim Löw ihnen eingeimpft hat. Eine spielerisch derart starke Mannschaft ist zum großen Teil auch das Verdienst von Joachim Löw. 60 Minuten spielten sie so, wie er und die Zuschau­er es sehen wollen.

Und dann, wie aus heiterem Himmel, bricht alles zusammen. Das Problem ist nicht, dass Fußballspieler Fehler machen, die zu Gegentoren führen. Das Problem ist, dass das Selbstbewusstsein dieser DFB-Elf offensichtlich spielend leicht zu erschüttern ist, wenn man sie nur ein wenig unter Druck setzt. So leicht, dass es am Ende nicht einmal gegen Schweden reicht, eine Mannschaft, die bereits geschlagen war. Und das Problem ist auch, dass es dem Bundestrainer wie schon im Halbfinale der EM nicht gelungen ist, korrigie­rend einzugreifen. Stattdessen wechselte er mit Mario Götze und Lukas Podolski die bei­den defensiv schwächsten Akteure ein, die ihm zur Verfügung stehen. Und er hat es nicht geschafft, ein Team zu formen, das sich selbst hilft. Vielleicht, weil Selbstvertrauen etwas ist, was man nicht trainieren kann.

"Wenn du die Hosen voll hast, holst du gar nichts"

Und so begannen seine Spieler, nachdem der Schwede Johan Elmander eine Viertelstun­de vor dem Abpfiff das dritte Tor für Schweden erzielt hatte, auf bizarre Art und Weise Zeit zu schinden und den Ball immer wieder zu Torwart Neuer zurückzuspielen. Ulrich Borowka hat jüngst im Gespräch mit n-tv.de beschrieben, was mit einem Fußballspieler passiert, wenn er Angst hat. Der ehemalige Nationalspieler hat Ende der 80er Jahre sechs Spiele für die deutsche Nationalmannschaft und 388 Bundesligaspiele. An ein Spiel erinnert er sich ganz besonders, "es war die schlimmste Niederlage meiner Karriere". Im November 1985 gewann er mit Mönchengladbach im Hinspiel des Uefa-Pokal-Achtelfinales gegen Real Madrid mit 5:1. Das Rückspiel in Spanien aber verloren die Borussen mit 0:4 - und schieden aus. Er kann das nicht vergessen. Und weiß: "Wenn du die Hosen voll hast - und wir hatten die Hosen voll -, egal, wer, gestandene Spieler, jüngere Spieler, kannst du nichts holen, gar nichts." So einfach ist das. Angst lähmt, nicht nur in der Welt des Fußballs.

Wenn es einen Trost gibt für die Mannschaft von Joachim Löw, dann ist es die Tatsache, dass solch ein Ergebnis nicht repräsentativ ist für eine Sportart, von der viele sagen, dass dort alles möglich ist. Jedenfalls hat es über einhundert Jahre gedauert, bis eine deutsche Nationalelf es geschafft hat, einen Vorsprung von sage und schreibe 4:0 noch aus der Hand zu geben. Doch dieser Trost ist trügerisch. Denn auch, wenn es nun wieder hundert Jahre dauert, bis so etwas wieder passiert, bekommt dieses 4:4 gegen Schweden gerade dadurch den Status eines epochalen Ereignisses.

Es gehört nicht viel Fantasie dazu, vorauszusagen, dass das dem Bundestrainer und sei­nem Team bis auf Weiteres nachhängen wird. Was zählt das schöne Spiel, wenn es im Debakel endet? Was hilft es, eine Stunde zu glänzen und dann alles fahrlässig aus der Hand zu geben? Und in Panik auszubrechen, wenn der Gegner den Ball ins Tor schießt? Ein Spiel dauert, so abgedroschen das klingt, nun einmal 90 Minuten, auch wenn der Trainer Joachim Löw heißt. Die deutsche Fußballnationalmannschaft ist nicht der VfL Bochum, schließlich hat sie nicht verloren. Die deutsche Mannschaft ist aber auch kein Spitzen­team. Eine Mannschaft, die Großes erreichen will, darf einen 4:0-Vorsprung nicht verspie­len. Das ist die für viele bittere Erkenntnis dieses denkwürdigen Abends.

Quelle: ntv.de

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