Fußball

Lehren des Qualifikations-Hattricks DFB-Elf kann jetzt rigorose Eleganzdominanz

Un er ist ja auch immer noch da: Thomas Müller.

Un er ist ja auch immer noch da: Thomas Müller.

(Foto: imago/Jan Huebner)

Die Zwergriesen im Weltfußball haben abgewirtschaftet, zumindest gegen Effizienz-Weltmeister Deutschland. Der schließt in der Abwehr eine Baustelle, hat kein Sturmproblem - aber ein Stimmungsproblem.

Löws Weltmeister sind zu groß für Kleine

Wie zufrieden kann man nach einem 0:2 sein? Sehr zufrieden, das bewies Nordirlands Michael O'Neill in Hannover. Er schaffte es an diesem Dienstagabend in seiner Spielanalyse, gleichzeitig sein Team für gelungene Schadensbegrenzung beim Weltmeister und den Gegner für seine Extraklasse zu loben. Er zweifle, sagte O'Neill, "dass es ein System oder eine Mannschaft weltweit gibt, die diese deutsche Mannschaft aufhalten kann". Ein Lob, das Bundestrainer Joachim Löw sicher gern hörte und mit indirektem Verweis auf das unnötige Halbfinal-Aus bei der Fußball-Europameisterschaft dann auch nur halbherzig zurückwies.

"Wir haben jetzt nicht gegen die Kategorie 1 gespielt": Joachim Löw.

"Wir haben jetzt nicht gegen die Kategorie 1 gespielt": Joachim Löw.

(Foto: AP)

Die drei überzeugenden Siege in der Qualifikation für die Weltmeisterschaft 2018 in Russland haben Löw darin bestätigt, dass sein Team trotz der EM-Enttäuschung auf einem guten Entwicklungsweg ist, das machte er mit Worten und Gestern deutlich. Er relativierte den Hattrick zwar mit dem Verweis, "wir haben jetzt nicht gegen die Kategorie 1 gespielt". Andererseits betonte er zu Recht, sein Team habe sich einfach "eine Spielweise erarbeitet, wo wir wahnsinnige Dominanz und Druck ausüben können". Hinzu kommt neuerdings Effizienz bei der Chancenverwertung, lange ein Manko. Und der Wille, auch Qualifikationsspiele gegen Zwergriesen wie eben Nordirland mit rigoroser Gnadenlosigkeit ernst zu nehmen. International war Deutschland in den vergangenen zehn Jahren neben den jetzt im Umbruch steckenden Spaniern ohnehin die einzige Konstante auf Topniveau. Mit seiner neuen gnadenlosen Eleganzdominanz scheint der Weltmeister nun noch einmal eine neue Entwicklungsstufe erreicht zu haben. Als nächsten Evolutionsschritt brachte Löw scherzhaft die "Doppel-Zehn" gegen ultradefensive Gegner ins Spiel. Für die Kleinen im Weltfußball bedeutet das auf absehbare Zeit: Ein 0:2 gegen dieses Deutschland ist ein Superergebnis.

Die Außenverteidiger-Baustelle ist geschlossen

Als Philipp Lahm noch im Nationalteam spielte, hätte ihn Fußball-Deutschland am liebsten geklont. Erst, um ihn gleichzeitig links und rechts in der Abwehrkette einsetzen zu können. Später, um Lahm neben der kompletten deutschen Außenverteidigung parallel auch die Schaltzentrale im zentralen Mittelfeld anzuvertrauen. Während dieses Planstellenloch nach Lahms abruptem DFB-Abgang 2014 qualitativ ansprechend aufgefüllt werden konnte, blieben die Außenverteidiger-Positionen, was sie hierzulande oft waren: Problem- und deshalb Experimentierzonen.

Stets zur Stelle: Jonas Hector, hier Sieger gegen den Nordiren Lee Hodson.

Stets zur Stelle: Jonas Hector, hier Sieger gegen den Nordiren Lee Hodson.

(Foto: imago/DeFodi)

Zumindest gefühlt. Tatsächlich haben sich die Sorgenfalten des Bundestrainers längst geglättet, diesbezüglich ist er nicht mehr auf kosmetische Werbeprodukte angewiesen. Auf links hat sich der Kölner Jonas Hector einen Stammplatz erflankt. Seit 2015 hat er kein Länderspiel verpasst, spätestens bei der EM hat er sich endgültig von der Rolle des biederen Platzhalters emanzipiert. Noch fundamentaler war die EM aber für die Rechtsverteidigerposition. In Frankreich entdeckte Löw den Münchner Joshua Kimmich als Idealbesetzung. Der 21-Jährige spielt zwar beim FC Bayern meist im Mittelfeld und hat neuerdings eine Leidenschaft fürs Toreschießen entdeckt. Nicht weniger leidenschaftlich versieht er aber den Posten des Rechtsverteidigers, sobald er ins DFB-Trikot schlüpft. Die Qualitäten eines Philipp Lahm haben weder Hector noch Kimmich, der Münchner könnte sie aber noch entwickeln. Trotzdem: So gut besetzt wie aktuell waren die Außenverteidiger-Positionen im Nationalteam schon lange nicht mehr. Diese Baustelle ist vorerst geschlossen.

Deutschlands Stürmerproblem ist keins

Man muss es ja nicht gleich übertreiben wie Horst Hrubesch und den Hoffenheimer Sandro Wagner als Nationalstürmer ins Spiel bringen. Sandro Wagner! Aber festzuhalten bleibt nach dem Sieg über Nordirland: Wenn sich Hrubesch wie in dieser Woche im "Münchner Merkur" geschehen belustigt über die vermeintliche deutsche Stürmernot äußert und diese kurzerhand für inexistent erklärt, dann hat der Mann nicht Unrecht. In der vierten Minute gegen Nordirland mögen Hrubesch und auch Bundestrainer Löw womöglich einen klassischen Mittelstürmer im deutschen Angriffszentrum vermisst haben, als Mario Götze eine perfekte Flanke wundersamerweise nicht ins nordirische Tor köpfeln konnte. Aber: Dieser Mittelstürmer steht mit Wolfsburgs Mario Gomez ja zur Verfügung, wenn ihn nicht gerade Gesäßbeschwerden plagen. Und: Mit Leipzigs Davie Selke gibt es sogar noch einen echten und echt talentierten Nachwuchs-Neuner.

Löw hat ihn: Mario Götze.

Löw hat ihn: Mario Götze.

(Foto: imago/Jan Huebner)

Löw hat eher die Qual der Wahl als Stürmernot, findet Hrubesch: "Er kann Mario Gomez als klassische Neun aufbieten, er hat Mario Götze, und da ist ja auch noch immer Thomas Müller, der zentral eine Option ist." Und wenn Gomezgötzemüller nicht trifft, dann springen eben Kimmichkroosdraxlerkhedira ein. Löw nahm diese Variabilität und kollektive Abschlussfreude im deutschen Spiel erfreut zur Kenntnis. Auch Hrubesch dürfte grinsend auf seiner Couch gesessen haben, sofern er das Spiel 1.) überhaupt, 2.) daheim und 3.) auf einer Couch sitzend verfolgt hat. Der amtlich beglaubigte Fußball-Hero de Janeiro hatte dem deutschen Expertenvolk nämlich noch geraten: "Da sollen die Leute mal auf die anderen Nationen schauen. Wer hat denn solche Möglichkeiten wie wir? Man kann sich auch vieles einreden." Amen.

Dieser Weg wird kein leichter sein

Deutschland - Nordirland 2:0 (2:0)

Tore: 1:0 Draxler (13.), 2:0 Khedira (17.)
Deutschland: Neuer - Kimmich, Boateng (ab 69. Mustafi), Hummels, Hector (ab 81. Volland) - Kroos, Khedira - Müller, Özil (ab 46. Gündogan), Draxler - Götze. Trainer: Löw
Nordirland: McGovern - Hughes, McAuley, J. Evans - Hodson, Ferguson - Davis - C. Evans, Ward (ab 60. McGinn), Norwood (ab 72. McNair) - Magennis (ab 76. Lafferty). Trainer: O'Neill
Schiedsrichter: Tagliavento (Italien)
Zuschauer: 42.132

Mats Hummels ist von der Atmosphäre in nordirischen Fankurven schwer begeistert. Das ist seit der EM bekannt. Das betonte der Abwehrspieler vorm Heimspiel gegen Nordirland trotzdem nochmal. Zitat: "Die Nordiren haben einen Riesenvorteil mit ihrem Will-Grigg-Song." Was Hummels meinte: Wie schön wäre es doch, wenn solch eine fantastische Stimmung auch auf deutschen Rängen herrschen würde! Jedoch: "Da haben wir noch einen kleinen Weg zu gehen, aber den ersten Schritt sind wir schon gegangen", befand Hummels mit Blick auf die Stimmungsgala (für HSV- und Länderspielverhältnisse) beim 3:0 gegen Tschechien in Hamburg - und träumte wohl insgeheim von einer niedersächsischen Stimmungsoffensive. Nun, wer in Hannover in den Genuss des Spiels gegen die Nordiren kam, musste feststellen: Die Stimmung war ein Rückschritt. Wenn überhaupt Stadionatmosphäre aufkam, lag das an den 2000 Nordiren. Stimmung bei den anderen, übertönten 40.000 Stadionbesuchern? Fehlanzeige.

Da halfen auch die unsäglichen Bemühungen der Stadionregie nicht, dem Publikum mit Rummeltechno einzuheizen. Weil es auf den eigenen Rängen - selbst bei missratenen Einsätzen der Allzweckwaffe La Ola - zu langweilig zuging, feierten Tausende Deutsche gegen Ende der Partie gar mit den Nordiren bei Hummels' Lieblingslied mit - bis der Stadion-DJ mit dem Abpfiff die kollektive Stimmung rüde abgewürgte. Woher die deutsche Ideen- und Stimmungslosigkeit bei DFB-Heimspielen rührt, bleibt mysteriös. Trotz des WM-Titels vor zwei Jahren ist die Stimmung bei Länderspielen nie mehr so gut gewesen wie bei der Heim-WM 2006. Damals legte in der DFB-Kabine DJ Asamoah regelmäßig das Lied "Dieser Weg" von Xavier Naidoo auf und machte es zur Hymne des "Sommermärchens". Darin heißt es, "dieser Weg wird kein leichter sein". Klingt irgendwie nach Hummels. Nur leider überhaupt nicht nach etwas, das das Publikum auf den Tribünen "on fire" setzen könnte.

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen