Fußball

Das Leiden des ewigen ter Stegen Das Schicksal meint's nicht gut mit Nagelsmann und Neuer

Julian Nagelsmann macht Manuel Neuer beim Comeback direkt wieder zur Nummer eins - muss dann aber auf ihn verzichten.

Julian Nagelsmann macht Manuel Neuer beim Comeback direkt wieder zur Nummer eins - muss dann aber auf ihn verzichten.

(Foto: IMAGO/ActionPictures)

Der "ewige" Stellvertreter wird das DFB-Tor hüten, Marc-André ter Stegen darf in den Testspielen gegen Frankreich und die Niederlande ran. Notgedrungen allerdings nur, eigentlich legt sich Julian Nagelsmann auf Manuel Neuer als Nummer eins fest. Es ist ein besonderes Wiedersehen - mit einer bitteren Note.

Manuel Neuer und Julian Nagelsmann waren kurz vereint - und schnell wieder getrennt. Doch dieses Mal gab es keine Krise, keine Misstöne, die Torwart und Trainer auseinandertrieben - sondern wieder eine Verletzung. Aber allzu dramatisch wird der Muskelfaserriss aller Voraussicht nach nicht werden. Zumindest nicht gemessen an der so fürchterlichen Verletzung, die sich Neuer nach dem WM-Debakel von Katar beim Skifahren zugezogen hatte und ihn zu einer ewigen Pause zwang. Und dennoch hat auch dieser medizinische Schreck wieder eine große Dimension.

Denn Neuer sollte bei seinem Comeback wieder die Nummer eins werden. Der Bundestrainer hatte das verfügt. Eine Überraschung war das nicht. Neuer hat sich von seiner von der langen Leidenszeit bestens erholt und ist in einer herausragenden Verfassung beim FC Bayern. In einer deutlichen besseren als vor den Weltmeisterschaften 2018 und 2022, als Deutschland jeweils in der Vorrunde kollabierte und der zuvor verletzte Neuer sich Kritik an seine Leistungen anhören musste. Plötzlich war er nicht mehr unantastbar. Eine vergessene Zeit. Der Keeper ist wieder unangefochten. Er sollte das Fundament ein neuer (alten) Hierarchie bilden, mit Rückkehrer Toni Kroos, mit Joshua Kimmich und vielleicht auch mit Thomas Müller. Sie sollten die Männer sein, an denen Spieler wie Jamal Musiala oder Florian Wirtz noch mal reifen, ihnen Halt geben, wenn es mal schwierig wird.

Ter Stegen kann wieder nur werben

Doch daraus wird nichts. Neuer muss passen. "Sehr, sehr ärgerlich" sei das, so Nagelsmann. Ausgerechnet beim Neustart des Bundestrainers, mit einem Kader, der sich nur an Leistung orientiert, der ein paar alte Stars gefressen hat, und der sich gegen Frankreich (Samstag, 21 Uhr/ZDF und im ntv.de-Liveticker) und die Niederlande (Dienstag, 20.45 Uhr/RTL und im ntv.de-Liveticker) mal so richtig stresstesten lassen will.

Und so rückt Marc-André ter Stegen wieder in den Fokus. "Gott sei Dank haben wir noch einen Weltklasse-Keeper"", sagte Nagelsmann über den Keeper des FC Barcelona. Für den war die frühe Festlegung auf Neuer in den anstehenden Duellen gegen Frankreich und die Niederlande sowie bei der Heim-EM im Sommer ein ganz bitterer Schlag. Wieder einmal hatte der ewige Stellvertreter das Nachsehen. Wieder einmal, wenn es darum geht, sich für Deutschland entscheidend auszuzeichnen. In Spanien beim FC Barcelona ein Held, hier einfach ein unglücklicher, manchmal verärgerter Herausforderer. Der wohl besten Nummer zwei der Welt bleibt damit abermals verwehrt, was er sich so sehr wünscht. Ter Stegen, auch schon 31 Jahre alt, hat den Pfosten-Platz eineinhalb Jahre lang warmgehalten und muss sich doch wieder mit dem Platz auf der Bank begnügen.

Zumindest wenn es im Sommer so richtig knallt, wenn die Nationalmannschaft nach ihren Riesen-Krisen endlich wieder das gute Gefühl im Land wecken will. Wenn es 2006er-Vibes geben soll. Ein Sommermärchen reloaded. Ohne Skandale. Gegen den Frust, der die Bundesrepublik seit Monaten tief im Stimmungskeller gefangen hält. Das bleibt der Plan, wenn Neuers Verletzung wirklich nur temporär ist. Aber was passiert eigentlich, wenn der Bayern-Torwart doch wieder länger ausfällt? Zweimal ist das für die Nationalmannschaft nicht gut ausgegangen. Ein Thema für die Zukunft. In der Gegenwart kann ter Stegen nun einmal für sich werben, zeigen, was für ein herausragender Torwart er ist. Nur: Ändern wird sich seiner Position in der Hierarchie nichts.

Mit Neuers Verletzung begann Nagelsmanns Krise

Dass Neuer und Nagelsmann wieder zusammenfinden, das war vorgezeichnet. Zumindest als klar war, dass der Torwart wieder in das Gehäuse seines Hauptarbeitgebers, dem FC Bayern, zurückkehrt (und dort glänzt). Doch steckt in dieser großen Geschichte auch etwas ganz Besonderes. Etwas Schicksalhaftes. Denn mit der schweren Verletzung des Torwarts beim Skifahren im Nachgang der vergeigten Weltmeisterschaft in Katar begann auch die erste große Krise von Nagelsmann. Der Rekordmeister erlebte eine turbulente Zeit. Die Mannschaft verlor ihre Souveränität und der Trainer die Kabine. Vor ziemlich genau einem Jahr musste Nagelsmann den Klub verlassen. Oliver Kahn und Hasan Salihamidžić hatten das entschieden. Beide sind längst Geschichte beim Rekordmeister. Und keine besonders gute, wie Vereinspatriarch Uli Hoeneß im Nachgang mehrfach betonte.

Ein Marker auf dem Weg in das nicht mehr aufzuhaltende Hamsterrad war die Trennung des Klubs von Torwart-Trainer Toni Tapalovic. Der 43-Jährige ist engster Vertrauter und Trauzeuge des Keepers. Nagelsmann galt als treibende Kraft hinter dem Rauswurf. Der Verein nannte am 23. Januar des vergangenen Jahres "Differenzen über die Art und Weise der Zusammenarbeit" als Gründe für das sofortige Ende des gemeinsamen Wegs. Seit der Saison 2011/12 war er Torwarttrainer beim Rekordmeister gewesen. Wenige Tage später holte Neuer dann zum wütenden Rundumschlag aus. Via "Süddeutscher Zeitung" und "The Athletic" knöpfte er sich die Führung des FC Bayern vor und auch Nagelsmann durfte sich als Adressat der Abrechnung verstanden wissen.

"Das Krasseste, was ich in meiner Karriere erlebt habe"

"Eine für mich nachvollziehbare Begründung gab es nicht. Es wurden Dinge gesagt, die ich nicht teile", sagte der tief getroffene Neuer. "Alle in unserer Torwartgruppe hat es zerrissen, da sind Leute in Tränen ausgebrochen." Er hatte "das Gefühl", so bekannte er, "mir wird mein Herz rausgerissen, das war das Krasseste, was ich in meiner Karriere erlebt habe". Die beiden Keeper hatten zuvor schon beim FC Schalke 04 zusammengearbeitet. Auch die unpersönliche Art und Weise der Trennung gefiel Neuer nicht: "Das hat mit dem Menschlichen zu tun, dem Umgang mit einem verdienten Mitarbeiter: Wir wollen als Bayern München anders - eine Familie - sein. Und dann passiert etwas, das ich so hier noch nicht erlebt habe."

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Das Interview löste gigantische Wellen aus. Eine nach der anderen krachte auf den FC Bayern nieder. Und am Ende riss eine Nagelsmann mit, der lesen musste, dass sein Verhältnis zu Neuer ohnehin schon angespannt gewesen sei, dass sich die Spieler mit dem Torwart solidarisierten und nicht mit dem Trainer. Der konnte die Debatte nicht mehr einfangen. Er bekannte: "Ich aus meiner Perspektive hätte das Interview nicht gegeben, erst recht, wenn im selbigen zu lesen ist, dass der Klub im Vordergrund steht. Natürlich trägt das nicht gerade zur Ruhe bei, es geistert durch die Gazetten und es beschäftigt ganz Fußball-Deutschland." Wenige Tage nach dem Interview soll es eine Aussprache zwischen Coach und Keeper gegeben haben. Ruhe brachte das dem FC Bayern nicht. Im Gegenteil, die Dinge beschleunigten sich immer mehr. Und krachten vor die Wand.

Nun steuert Deutschland wieder auf ein Ereignis zu, das die ganze Republik beschäftigen wird: die Heim-EM. Für den Bundestrainer und für Neuer könnte es jeweils das letzte große Turnier sein. Nagelsmann, dessen Vertrag nach dem Turnier endet, soll es zurück in die alltägliche Arbeit als Vereinstrainer ziehen. Und Neuer, der ist 37, steht in München bis Ende Juni 2025 unter Vertrag. Was danach kommt, ungewiss. Ebenso, was beim FC Bayern in diesem Sommer passiert, wer neuer Trainer und damit Nachfolger von Thomas Tuchel wird. Nagelsmann vielleicht? Ausgeschlossen soll eine Rückkehr nicht sein, aber eher nicht sofort. Aber jetzt eh erst mal EM und womöglich das Happy End einer turbulenten Beziehung zwischen Coach und Keeper. Wenn auch mit Verspätung.

Quelle: ntv.de

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