Fußball

DFB-Richter Lorenz über Fußballurteile "Das Sportgericht ist kein Reparaturbetrieb"

Vereine sind für das Verhalten ihrer Fans verantwortlich, meint Lorenz.

Vereine sind für das Verhalten ihrer Fans verantwortlich, meint Lorenz.

(Foto: picture alliance / dpa)

Früher war er Vorsitzender Richter am Landgericht Mainz und verurteilte Mörder und Vergewaltiger. Heute entscheidet er über Rotsperren oder Zuschauerausschlüsse. Hans E. Lorenz ist der Vorsitzende des DFB-Sportgerichts. Im Interview mit n-tv.de erklärt der 65-Jährige, wie das Strafmaß im Fußball festgelegt wird.

n-tv.de: Herr Lorenz, wie landet ein renommierter Richter einer Großen Strafkammer beim DFB-Sportgericht?

Lorenz: Ich hatte schon immer eine große Verbindung zum Sport. 30 Jahre lang habe ich neben dem Beruf für den SWR Spiele übertragen. Im Jahre 1984 habe ich im Südwestdeutschen Fußballverband als Richter angefangen, 1998 landete ich dann beim DFB. Seit 2007 bin ich Vorsitzender des DFB-Sportgerichts.

Seitdem entscheiden Sie zum Beispiel darüber, wie lange ein Spieler nach einer roten Karte gesperrt wird. Nach welchen Kriterien wird das festgelegt?

Entscheidend ist zunächst einmal der Tatbestand. Ein unsportliches Verhalten würde zum Beispiel bei einer Rudelbildung vorliegen. Rohes Spiel ist bei einem rücksichtslosen Zweikampfverhalten im Spiel um den Ball zutreffend. Hinzu kommt die Tätlichkeit, also eine Tat der Körperverletzung ohne Ballbeteiligung. Das wäre zum Beispiel ein Ellenbogenschlag. Das sind die drei typischen Tatbestände bei einer roten Karte. Dazu gibt es dann jeweils ein Strafmaß.

Und wie sieht das Strafmaß aus?

Hans Eberhard Lorenz

Hans Eberhard Lorenz

(Foto: picture alliance / dpa | Bild von 2014)

Bei einem unsportlichen Verhalten gibt es mindestens ein Spiel Sperre, bei rohem Spiel mindestens zwei Spiele. Eine Tätlichkeit wird normalerweise mit sechs Spielen bestraft. Allerdings wird die Strafe reduziert, wenn die Tätlichkeit nicht so gravierend war oder auch der Gegenspieler regelwidrig gehandelt hat.

Ein Beispiel, bitte.

Das war zum Beispiel bei Lewis Holtby vom Hamburger SV der Fall. Im Spiel gegen den FC Augsburg wurde er wegen eines Ellenbogenschlags vom Platz gestellt. Allerdings hatte auch sein Gegenspieler Dominik Kohr regelwidrig gehandelt, ihn festgehalten und später getreten. Daher gab es für Holtby lediglich eine Sperre von zwei Spielen und eine Geldstrafe.   

Klingt so, als hätten Sie bei Ihren Entscheidungen viel Spielraum ...

Das stimmt. Verschiedene Aspekte spielen in die Entscheidung mit hinein: Wie haben wir bei vergleichbaren Fällen entschieden? Trat der Spieler schon einmal sportgerichtlich in Erscheinung? Und ganz wichtig: Wurde der Gegenspieler bei dem Foul oder der Tätlichkeit verletzt? Normalerweise würde es für rohes Spiel zwei oder drei Spiele Sperre geben. Fällt der Gegenspieler nach dem Foul aber verletzt aus, kommt ein viertes Spiel dazu. Bei einer langwierigen Verletzung wären es sogar fünf Spiele.

Mögen Sie auch hier ein Beispiel bringen?

Letzte Saison trat Johannes Geis von Schalke 04 seinem Gegenspieler Andre Hahn von Borussia Mönchengladbach auf das Knie. Hahn fiel danach etwa drei Monate aus. Deshalb wurde Geis fünf Spiele gesperrt.

Der Verein muss die Strafe allerdings nicht akzeptieren, oder?

Der Verein kann natürlich Einspruch einlegen. Dann käme es zu einer mündlichen Verhandlung mit dem beschuldigten Spieler und dem Schiedsrichter. Auch der Gefoulte könnte noch einmal zu Wort kommen. Der Fall wird ganz neu aufgerollt. Theoretisch kann es sogar passieren, dass das Urteil noch schärfer ausfällt als ursprünglich.

Was ist, wenn Sie bei der Videobetrachtung feststellen, dass die rote Karte eine Fehlentscheidung war?

Die Fifa hat entschieden: Ein Spieler, der vom Platz gestellt wurde, muss mindestens für ein Spiel gesperrt werden.

Klingt verrückt.

An diese Vorgabe müssen wir uns halten. Nur wenn der Schiedsrichter den falschen Spieler vom Platz gestellt hat oder wirklich weit und breit kein Körperkontakt stattfand, können wir von einer Sperre absehen. Ansonsten gilt die Tatsachenentscheidung.

Vielfach kritisiert wird auch die Elfmeter-Regelung: Im Falle einer Notbremse erhält der Spieler normalerweise ein Spiel Sperre. Landet der Elfmeter allerdings nicht im Tor, gibt es zwei Spiele Sperre. Ganz ehrlich: Wie kann das Strafmaß vom Erfolg des gegnerischen Schützen abhängen?

In dem Fall liegen ja zwei Unrechtselementefälle vor: das Foul und die Verhinderung der klaren Torchance. Für beides gibt es je ein Spiel Sperre. Führt aber der Elfmeter zum Tor, wurde die Verhinderung der klaren Torchance ausgeglichen. Also muss das nicht bestraft werden. Selbige Regelung gibt es auch bei einem Freistoß.

Kießling köpfte eine Ball neben das Tor, der durch ein Loch im Netz reinging.

Kießling köpfte eine Ball neben das Tor, der durch ein Loch im Netz reinging.

(Foto: imago sportfotodienst)

Sie haben auch im Oktober 2013 entschieden, dass das Phantomtor von Stefan Kießling normal gewertet wird. Wie kann ein Tor gelten, wenn der Ball nachweislich daneben ging?

Auch da ging es um das Prinzip der Tatsachenentscheidung.

Das war kein offensichtlicher Irrtum, den man korrigieren sollte?

Nein. Wenn man sich im Nachhinein drei Zeitlupen anschauen muss, kann von einem offensichtlichen Irrtum nicht die Rede sein. Ich sage immer: Das Sportgericht ist nicht der Reparaturbetrieb für diskussionswürdige Schiedsrichterentscheidungen.

Sie sind auch für die Vorfälle außerhalb des Spielfeldes zuständig und verhängen Strafen an die Vereine bei Fanausschreitungen oder Pyrotechnik. Allgemein gefragt: Warum werden die Vereine bestraft, wenn sich vereinzelte Zuschauer daneben benehmen?

Zunächst einmal können wir als Sportgericht lediglich Vereine, Funktionsträger, Trainer oder Spieler belangen. Die Vereine sind aber auch für das Verhalten ihrer Anhänger verantwortlich. Der einzelne Fan unterliegt nicht der Sportgerichtsbarkeit, kann bei Straftaten aber von der Staatsanwaltschaft verfolgt werden.

Trotzdem stellt sich die Frage, ob die Vereine etwas für das Fehlverhalten einzelner Zuschauer können.

Die Vereine haben den unmittelbaren Kontakt zu den Fans. Es gibt zum Beispiel Fanvertreter und Sicherheitsbeauftragte, die auf die Fans einwirken sollen. Die Sanktionen sind auch eine Argumentationshilfe für die Vereine.

Inwiefern?

Im Extremfall könnte der störungswillige Fan seinen Verein in den Ruin führen. Spiele werden abgebrochen und gegen den Verein gewertet, sodass der Verein schlimmstenfalls absteigt. Die Fans sollten ein Interesse daran haben, das Unheil vom eigenen Verein wegzuhalten.

Einspruch: Nachweislich gibt es in einigen Fankurven Menschen, denen das Wohl des Vereins relativ egal ist. Die kommen lediglich ins Stadion, um Randale zu machen. Wie soll der Verein auf solche Menschen einwirken?

Ich räume ein, dass unter den 3500.000 Zuschauern an einem Bundesliga-Spieltag auch solche Menschen dabei sind. Dann unterliegt es aber der Verantwortung des Vereins, solchen Leuten den Zutritt in das Stadion zu verweigern.

Wann bestrafen Sie einen Verein mit einem Geisterspiel?

Das Geisterspiel ist die schärfste Sanktion und wird beim DFB sehr selten angewandt. Wenn wir feststellen, dass die Störer aus einem bestimmten Block kommen, verhängen wir lieber Teilausschlüsse. So können wir die Zahl der unschuldig Betroffenen reduzieren – auch wenn es immer welche geben wird.

Was passiert eigentlich mit den ganzen Geldstrafen, die der DFB an die Vereine oder auch Spieler verhängt?

Die Gelder, im vergangenen Jahr haben wir rund 1,3 Millionen Euro eingenommen, kommen den sozialen Projekten des DFB zugute. Dieses Geld behält der DFB nicht für sich. Wir machen uns nicht selber die Taschen voll.

Mit Hans E. Lorenz sprach Oliver Jensen.

Quelle: ntv.de

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