Wohin mit Supertalent Karl?Der FC Bayern steuert auf ein (kleines) Luxusproblem zu

Im Sommer noch muss sich Sportdirektor Max Eberl an jeder Ecke anhören, dass er den Kader des FC Bayern viel zu dünn geplant habe. Nun, ein halbes Jahr später, zeigt sich das Gegenteil: Denn die Rückkehr von Fußball-Nationalspieler Jamal Musiala steht bevor.
Fragt man 100 Menschen, wofür Harry Kane bekannt ist, bekäme man ruckzuck wohl vor allem eine Antwort: Tore. Klar, das liegt ja auch auf der Hand. Aber der Kapitän der englischen Fußball-Nationalmannschaft im Dienst des FC Bayern hat in dieser Saison sein Portfolio erweitert. Der spielerische Gestaltungsraum des 32-Jährigen erstreckt sich nicht mehr nur auf den gegnerischen Strafraum, sondern mittlerweile auch auf den eigenen.
Und, man hat es fast vergessen, äußerst selten tauchte er sogar auch im Debattenraum des FC Bayern auf. Denn im vergangenen August, als das Fußballland über die Kadergröße des deutschen Rekordmeisters diskutierte, leistete selbst Kane seinen Beitrag - mit überraschend viel Alarmismus. "Es ist vermutlich einer der kleinsten Kader, in dem ich je gespielt habe", sagte er vor dem Saisonbeginn. Man sei "ein bisschen dünn aufgestellt, wenn wir ehrlich sind. Aber wir als Spieler können das nicht beeinflussen". Es waren ungewohnte Töne des Torjägers.
Die Stimmung war damals eine andere. Expert:innen und Beteiligte fragten sich gleichermaßen: Wie soll der FC Bayern mit diesem Mini-Kader nur die Saison überstehen? Bislang gelang ihnen das in München ausgezeichnet. So sehr, dass nun das gegenteilige Problem auf den Klub zusteuert. Gerade noch rechtzeitig, bevor die Saison in die entscheidende Phase geht, kommen die von Uli Hoeneß prophezeiten drei "Neuzugänge" zurück: die Langzeitverletzten Hiroki Ito, Alphonso Davies und Jamal Musiala. Die ersten beiden haben schon wieder gespielt, der DFB-Star trainiert zumindest wieder und soll in diesem Jahr noch zur Mannschaft stoßen.
Der Rekord von Kylian Mbappé
Damit stellt sich vor allem aber die Frage (sollte Musiala wieder vollständig fit sein): Wie sollen sie alle regelmäßig Spielpraxis sammeln? In der Abwehr ist das Puzzle gar nicht mal so kompliziert. Davies wurde sehnsüchtig zurückerwartet, Itos Planstelle ist nun schon seit zwei Jahren offen. Aber: Der FC Bayern hat im offensiven Bereich mehr Spieler als Positionen. Neben Kane, der zentral fast alle Positionen spielen kann, sind da ja auch noch Luiz Diaz, Michael Olise und der ausgeliehene Nicolas Jackson. Hinzu kommt: Wer konnte damit rechnen, dass Serge Gnabry im letzten Vertragsjahr plötzlich seinen dritten Frühling erlebt?
Und da ist jemand, den zumindest in der breiten Öffentlichkeit im vergangenen Sommer noch niemand auf dem Schirm hatte: Lennart Karl. Mit einem lauten Knall änderte der selbstbewusste 17-Jährige das - erst mit Kurzeinsätzen in der Bundesliga, dann mit Toren in der Champions League. Dort ist er nun der jüngste Profi, der in drei aufeinanderfolgenden Spielen ein Tor erzielt hat - den Rekord nahm er Kylian Mbappé ab.
Auch gegen Sporting Lissabon traf Karl am Dienstag zum zwischenzeitlichen 2:1. Und wie. Unter Gegnerdruck im portugiesischen Strafraum nahm er die Halbflanke von Konrad Laimer technisch fein mit einem Fuß an und jagte den Ball mit dem anderen anschließend ins gegnerische Tor. Schon zuvor hatte er für Gefahr gesorgt. In der ersten Hälfte zwang er Torwart Rui Silva aus kürzester Distanz zu einer Glanzparade.
Beim FC Bayern versuchen sie, den Hype um den erst (!) 17-Jährigen möglichst klein zu halten. Doch das wird immer schwieriger, wenn der Jungstar auffällige Leistungen bringt. Nach dem Lissabon-Spiel war es Nationalmannschaftskapitän Joshua Kimmich, der ein flammendes DFB-Plädoyer für Karl hielt. "Wenn du bei Bayern München performst, dann ist das schon ein Statement, unabhängig jetzt vom Alter", sagte Kimmich. "Momentan ist es so, dass er in die Stammelf reingerutscht ist. Und jeder Stammspieler bei Bayern München - vor allem jetzt so, wie wir gerade spielen - gehört dann auch in die Nationalmannschaft", sagte Kimmich. Eigentlich. Allerdings ist die Weltmeisterschaft noch ein halbes Jahr entfernt, räumte auch der DFB-Kapitän ein.
"Jeder Stammspieler bei Bayern München ..."
Und in diesem halben Jahr kann noch viel passieren. Karl könnte etwa weniger Spielzeit bekommen. Denn eigentlich spielt er ja auf der Musiala-Position. Es stellt Vincent Kompany nun vor ein Problem, das er vor Saisonbeginn nicht erahnen konnte. Was macht der Trainer mit dem Überraschungs-Stammspieler Karl, wenn der Eigentlich-Stammspieler Musiala zurückkehrt? Weil nach seinem Wadenbeinbruch wird auch der 22-Jährige erst einmal Spielpraxis brauchen, um wieder in Form (und an Karl vorbei?) zu kommen.
Gegen Sporting stellte Kompany um: Der formstarke Gnabry (der sich auf der Musiala-Position am wohlsten fühlt) wich auf den Flügel aus, in der Mitte wirbelte Karl. Praktisch ist das keine Dauerlösung. Kimmich ist sich sicher: "Auch wenn Jamal zurückkommt, wird Lenny (Lennart Karl, Anmerk. d. Red.) seine Minuten weiter sammeln, weil er sich das einfach verdient hat." Der Trainer hat da einen etwas anderen Blick auf die Gesamtlage. "Es ist eine schöne Entwicklung. Aber da wird noch mehr kommen, da muss noch mehr kommen", sagte Kompany nach Lissabon. "Ganz objektiv weiß ich, dass Lenny schon bessere Spiele gemacht hat."
Die Chancen, dass Karl noch mehr Einsätze bekommt, stehen gut. Denn der Rekord-Teenie hat gleich mehrere Argumente auf seiner Seite. Zum einen ist der FC Bayern noch in allen Wettbewerben vertreten. Mit der Klub-WM im vergangenen Sommer noch in den Beinen könnte das Verletzungspech auch noch einmal zuschlagen. Sportvorstand Max Eberl hat schon gesagt, dass es im Winter keine Neuzugänge geben wird - mit Verweis auf Karl. Und laut Kompany bringt der Youngster eine Stärke mit. "Er hat einen sehr stabilen Kopf und das muss jetzt so bleiben", lobte Kompany die mentale Stärke. Und die Neuen? Die sollen im gesamten Team für die zweite Saisonhälfte "ein Feuer" entfachen, wie der Trainer hofft.