"Noch so ein Jahr geht nicht" Der HSV-Wahnsinn geht immer weiter
21.05.2017, 01:53 Uhr
Der HSV-Wahnsinn findet seine Fortsetzung. Durch das späte 2:1 gegen Wolfsburg vermeidet der Klub erneut den Abstieg in die 2. Bundesliga. Die Verantwortlichen wollen aus der Saison wieder einmal die richtigen Schlüsse ziehen.
Der Fußball schreibt bekanntlich verrückte Geschichten, und die verrücktesten schreibt er seit ein paar Jahren schon beim Hamburger SV. Zweimal rettete sich der Klub in der Relegation vor dem ersten Abstieg der Geschichte, zweimal halfen dabei Glück, Pierre-Michel Lasogga und Schiedsrichter Manuel Gräfe. Auch in dieser Saison war das Außergewöhnliche wieder Normalität beim HSV. Am vergangenen Wochenende kam die Mannschaft auf Schalke zu einem überlebenswichtigen Punkt durch einen Treffer in der Nachspielzeit (durch Lasogga), am letzten Spieltag gegen Wolfsburg (unter tadelloser Leitung von Schiedsrichter Gräfe) köpfte der junge Luca Waldschmidt die Hamburger in der 88. Minute zum 2:1-Sieg und hievte die Mannschaft damit vom Relegationsplatz auf Rang 14, also zum direkten Bundesliga-Verbleib. Der HSV-Wahnsinn hatte seine nächste Fortsetzung gefunden.
Illustriert wurde dieser Wahnsinn durch Szenen, die sich nach Schlusspfiff zutrugen. Die Tore zwischen Fankurve und Innenraum wurden geöffnet, die Zuschauer ergossen sich auf den Rasen des Volksparkstadions und feierten den glimpflichen Ausgang der Saison. Die großen Zeiten des HSV sind vorbei, der bislang letzte Titelgewinn liegt 30 Jahre zurück, und es gibt keine Anzeichen dafür, dass es in näherer Zukunft mal wieder mit einer Trophäe klappen könnte. Also feiern die Hamburger Fans, was es eben zu feiern gibt. Und der Klassenerhalt muss, gemessen am Saisonverlauf, ja tatsächlich als Erfolg gelten. Der HSV hatte nach acht Spieltagen nur zwei Punkte. Der schlechte Start war eine Hypothek, die er immer mit sich herumtrug. So war die Lage bis zum Schluss dramatisch.
Als die Wolfsburger im letzten Spiel der Saison in Führung gingen durch Robin Knoches Kopfballtor in der 23. Minute, sah es so aus, als würden die Hamburger wieder einmal ihr Brauchtum pflegen und in die Relegation einziehen. Doch Filip Kostic nach einer halben Stunde und Waldschmidt drehten mit ihren Treffern die Partie und schenkten dem Mythos des nicht kaputt zu bekommenden HSV neues Leben. "Tick, tack, wir gehen euch weiter auf den Sack!", schrieb der Klub bei Twitter in Anspielung auf die berühmte Bundesliga-Uhr im Volksparkstadion. "Das ist für uns alle ein schöner Abschluss der Saison. Keiner hatte mehr mit uns gerechnet. Aber wir haben uns als Team zurückgekämpft", sagte Waldschmidt. Am Tag vor der Partie hatte er Geburtstag, ist 21 Jahre alt geworden und hat schon jetzt einen Platz in der Heldengalerie des Klubs sicher dank seines rettenden ersten Bundesliga-Treffers. Spieler wie ihn wünschen sich die Fans des HSV. Jung, preiswert, hochmotiviert.
Vor der Saison hatten die Hamburger wieder einmal viel Geld ausgegeben, insgesamt fast 45 Millionen Euro. Der Ertrag war erneut gering, zum wiederholten Male stand am Ende fast der Abstieg. Bei aller Freude über den Klassenerhalt wussten die Verantwortlichen natürlich, dass die Spielzeit wenig Grund zur Freude hinterlässt. "Ich bin überglücklich und wahnsinnig erleichtert, auch wenn wir nur unser Minimalziel erreicht haben", sagte Manager Jens Todt. Klubchef Heribert Bruchhagen drückte sich etwas umständlicher aus. "Wir sind nicht so naiv, dass wir aus dieser Saison nicht auch Konsequenzen ziehen müssten", sagte er. Und Trainer Gisdol wirkte nach dem letzten von vielen Endspielen eher erschöpft und ausgelaugt als glücklich. "Noch so ein Jahr geht nicht, ganz bestimmt nicht", stöhnte er. In der kommenden Saison soll also alles besser werden beim HSV – wieder einmal.
Niedersächsisches Derby in der Relegation
Ob die Wolfsburger dann noch Bundesliga-Mitglied sind, ist fraglich. Der VfL, eigentlich mit internationalen Ambitionen ausgestattet, konnte es in dieser Spielzeit in den Disziplinen Chaos und Durcheinander locker mit den Hamburgern aufnehmen. Manager Klaus Allofs musste gehen, für ihn kam Olaf Rebbe. Nach Dieter Hecking und Valérien Ismaël ist der Niederländer Andries Jonker schon der dritte Trainer in dieser Saison. Der dritte Trainer, der die Krise nicht in den Griff bekam.
Durch die Niederlage in Hamburg sind die Wolfsburger am letzten Spieltag auf den fatalen 16. Platz abgerutscht – und müssen die größtmögliche Demütigung fürchten. In der Relegation geht es wohl gegen Eintracht Braunschweig. Dem Klub mit großer Tradition aber dem deutlich schmaleren Budget wäre es eine Freunde, den niedersächsischen Nachbarn in die zweite Liga zu schießen. "Wir gehen in die Relegation. Und egal wer da kommt – wir werden erfolgreich sein", sagte VfL-Manager Rebbe. Das Problem ist nur: dieses Siegessicherheit hatte den Wolfsburgern schon gegen Hamburg nichts gebracht.
Quelle: ntv.de