Vor EL-Halbfinale gegen AS Rom Der Psycho-Trick, der Bayer zum UEFA-Cup-Triumph trug
11.05.2023, 08:26 UhrWenn einer bei Bayer Leverkusen weiß, wie man Titel gewinnt, dann Rüdiger Vollborn. Der Torwart stand sowohl beim UEFA-Cup-Triumph 1988 als auch beim DFB-Pokalsieg 1993 im Tor. Vor dem Hinspiel "seines Klubs" im Europa-League-Halbfinale bei AS Rom erinnert er an seinen großen Trick von damals.
Rüdiger Vollborn sah aus wie eine dieser aufblasbaren, sich bewegenden Luftfiguren, die nicht nur vor Möbelhäusern, sondern auch in Fußball-Stadien nerven. Der Torwart zappelte, hampelte und ruderte auf der Torlinie mit den Armen, während er auf den Elfmeterschuss von Sebastián Losada wartete. Der lief an und dachte ob der Vollborn-Hypnose wohl, das Tor im Ulrich-Haberland-Stadion stehe drei Stockwerke höher. Jedenfalls jagte der Spieler von Espanyol Barcelona den Ball in den Leverkusener Nachthimmel.
Der Moment markiert den größten Erfolg in der Geschichte von Bayer Leverkusen. Mit 3:2 im Elfmeterschießen (zuvor 3:0 nach regulärer Spielzeit und Verlängerung) bezwang die von Erich Ribbeck trainierte Mannschaft am 18. Mai 1988 die favorisierten Katalanen im Final-Rückspiel um den UEFA-Cup. Und das nach einem 0:3 im Hinspiel in Barcelona. Ein Fußball-Wunder.
Eines, das Vollborn kommen sah. "Ich hatte wochenlang vorher jeden Morgen von diesem Elfmeterschießen geträumt, obwohl wir noch gegen Werder Bremen im Halbfinale gespielt haben. Irgendwie habe ich mir diesen Titel herbeigesehnt", erzählt die Torwart-Legende im Interview mit RTL/ntv. Auch die Nummer mit den rudernden Armen sei bei "den Träumereien" entstanden. "Bei den vier Elfern vorher hatte ich mich nicht getraut, es zu machen, aber beim letzten wusste ich: Jetzt musst du mit den Armen rudern und das ist ja dann Gott sei Dank geglückt. Das war eigentlich der einzige Elfer in meinem Leben, bei dem ich mit den Armen gerudert habe."
Erfolgreicher Einsatz gegen den FC Barcelona
Stimmt: Bei vorherigen Versuchen der Espanyol-Spieler war Vollborn noch nicht zum Bayer-Propeller mutiert. Da zappelte und wackelte er nur. Die Idee, die Schützen als "Zappelphilipp" auf der Linie zu irritieren, sei ihm schon vor dem Viertelfinal-Duell mit dem FC Barcelona gekommen, verrät Vollborn: im Gespräch mit einer Psychologin. "Ich wusste: Wenn Bernd Schuster einen Elfmeter schießt, wird es schwierig, den zu halten. Da hatte ich sie gefragt, was man machen kann, damit er verunsichert wird. Sie hat gesagt: Mach' etwas, was er nicht kennt."
Im Camp Nou gab es im Viertelfinal-Rückspiel dann tatsächlich Strafstoß für Barça. Als Schuster anlief, wackelte Vollborn kurz mit dem Oberkörper und den Knien - der deutsche Ballkünstler schoss die Murmel drüber. Ob nun aus Schreck vor dem Wackel-Dackel im Leverkusener Kasten oder wegen zu viel Rückenlage sei dahingestellt. Bayer gewann 1:0 und zog ins Halbfinale ein.
Es sind Erinnerungen an ganz große Leverkusener Europapokal-Momente - Momente, die die Werkself auch 2023 erleben kann. Mit der AS Roma von Star-Coach José Mourinho steht im Halbfinale der Europa League allerdings ein ziemlicher Brocken im Weg.
"Davon zehren sie die nächsten 50 Jahre"
Ein 50:50-Duell sei das Halbfinale gegen die Italiener eher nicht, findet Vollborn. "Ich glaube, dass wir leichter Außenseiter sind." Die Römer wüssten nach ihrem Sieg in der Conference League im Vorjahr, "wie man als Mannschaft Titel gewinnt". Der Leverkusener Rekordspieler (483 Pflichtspiele) sieht daher ein Chancenverhältnis von "60:40 für Rom". Heißt aber auch: "Es ist was drin, das wissen wir alle. Und die Mannschaft wird alles dafür geben, dass wir ins Finale kommen."
Der Glaube an den großen Wurf ist also da, vor allem aber das Vertrauen in die Mannschaft von Trainer Xabi Alonso. "Dieses Gefühl, das man als Zuschauer hat, dass die da unten wissen, worum es geht, das ist entscheidend. Und ich glaube, das werden wir spüren: dass diese Mannschaft bereit ist, etwas Großes zu leisten und zu erleben", sagt Vollborn: "Und das kann ich ihnen mit auf dem Weg geben: Davon zehren sie die nächsten 50 Jahre, von so einem Titel, ich tue es heute noch. Mann Mann Mann, dieser Gedanke an diesen Tag, der ist eigentlich nie weg, der ist immer irgendwie da. Und ich glaube, die Mannschaft weiß, worum es geht und sie werden es uns zeigen."
Vollborn nennt Schlüsselspieler für Bayer-Erfolg
Die Leverkusener Sehnsucht nach einem Triumph ist riesengroß. Seit dem Sieg im DFB-Pokal 1993 hielt Bayer keine Trophäe mehr in Händen. "Wir lechzen, wir sehnen uns nach einem Titel. Und so nah dran wie dieses Jahr waren wir schon lange nicht mehr", sagt Vollborn. Gewiss, 2020 habe man im Pokalfinale gegen die Bayern gestanden. "Aber die hatten da ein anderes Format, da war nichts zu machen und deswegen sehnen wir uns extremst nach dem Titel", betont der heute 60-Jährige, wie wichtig die Halbfinal-Spiele gegen Rom für Bayer Leverkusen sind.
"Ich wünsche mir vor allem für unsere jüngeren Fans, die diese beiden Titel nie erleben durften, diese Euphorie. Und es ist einfach ein magischer Moment, diesen Augenblick zu erleben", sagt Vollborn. "Es wäre wirklich toll, wenn wir für unsere jüngeren Fans einen Titel holen würden, um ihnen zu zeigen, wie man feiern kann in Leverkusen, denn hier ist mehr Enthusiasmus und Euphorie, als man uns zutraut."
Einer, der die Leverkusener Träume wahr machen, der in den Spielen gegen Rom den Unterschied machen kann, ist Florian Wirtz. Der Ballverteiler der Leverkusener sei "der Hammer", schwärmt Vollborn. "Er ist für mich der letzte Straßenfußballer, den wir in Deutschland haben. Der macht Sachen, die nur ihm einfallen. Ich habe manchmal das Gefühl: Wie kann er jetzt auf die Idee kommen, das zu machen? Er macht halt ganz besondere Dinge. Und die gelingen auch."
35 Jahre nach Rüdiger Vollborns Ruderarmen könnte 2023 also ein Zauberfuß Bayer Leverkusen zum Europapokal schießen - und die so lange schon wartenden Fans endlich erlösen.
Quelle: ntv.de