Riemann als spezielle DFB-Idee? Der Torwart, der alle wahnsinnig macht
10.10.2023, 19:02 Uhr
Manchmal ein Teufelskerl: Manuel Riemann.
(Foto: IMAGO/Picture Point LE)
Manuel Riemann hat immer wieder Spiele dabei, in denen er seine Gegner zur Verzweiflung bringt. Aber es gibt nicht wenige Partien, in denen auch die Fans und Mitspieler des VfL Bochum wegen Riemann wahnsinnig werden. Könnte er als Elfmeterkiller auch bei der Heim-EM denkbar werden?
Am Samstagnachmittag stand beim VfL Bochum überraschend die Null. Zwar auf beiden Seiten der Ergebnistafel, aber damit konnten die Ruhrgebietsmänner sehr gut leben. Deutlich besser als die Spieler von RB Leipzig, die als haushoher Favorit gegen den in dieser Saison bereits mehrfach böse vermöbelten Gegner gegangen waren. In Bochum weiß man, ohne es gesehen zu haben, dass ein solches Ergebnis bei solch einem Kontrahenten mit Manuel Riemann zu tun haben muss. Dem Torwart der Bochumer, der so oft eine Geschichte zu erzählen hat. Mal ist es eine heldenhafte, manchmal das Gegenteil. Emotionen sind seinetwegen aber immer garantiert.
In der Red-Bull-Arena fügte Riemann seiner wilden Vita ein neues, spektakuläres Kapitel hinzu. Gleich zweimal parierte er einen Elfmeter. Das kommt auf 90 Minuten verteilt nur sehr selten vor. Nur überraschend kam es nicht, denn der 35-Jährige gilt als einer der Besten, wenn es zum Duell Schütze gegen Keeper kommt. Die zwei abgewehrten Strafstöße gegen Xavi Simons (27.) und Emil Forsberg (61.) waren seine Nummern zehn und elf bei 23 Versuchen. Seit dem Aufstieg des VfL im Sommer 2021 hat er sechs Elfmeter im Oberhaus pariert und damit doppelt so viele, wie jeder andere Torwart. Eine herausragende Quote. Die brachte den Sky-Experten Dietmar Hamann gar auf die Idee, die Bochumer Nummer eins als Nummer drei für die DFB-Elf zu empfehlen.
Wie einst van Gaal mit Torwart Krul?
Mit Riemann zum EM-Titel? Das muss Hamann erklären. Und tut das auch. Weil der dritte Torwart im Turnier fast nie spielen würde, könne sich die Nationalmannschaft erlauben, einen Mann mit den besonderen Qualitäten des VfL-Manns zu nominieren. "Wenn du so einen hast: Ich würde zumindest mal mit dem Gedanken spielen. Es gibt wenige, die Elfmeter besser halten, als er." Als Vorbild gelten die Niederlande. Bei der WM in Südafrika vor neun Jahren wechselte Louis van Gaal im Viertelfinale gegen die starken Costa-Ricaner Ersatzmann Tim Krul. Er kam für das Elfmeterschießen, er hielt zwei Versuche, den zweiten und den fünften. Die Niederlande kamen weiter.
Mit Riemann zum EM-Titel? Das wäre tatsächlich revolutionär im deutschen Fußball. Experimentell. Doch genau damit soll es ja in der neuen Ära unter Julian Nagelsmann vorbei sein. Und es muss fix gehen, die verlorene Zeit unter Hansi Flick muss reingeholt, eine stabile Hierarchie geschaffen werden. Im Tor wird es das allerdings ein wohl größeres Problem. Denn niemand weiß, wann Platzhirsch und Kapitän Manuel Neuer zurückkehrt. Und in welcher Form. Kann er nochmal die Nummer eins werden? Oder ist der Weg endlich frei für Marc-André ter Stegen, den ewigen Kronprinzen. Und auch dahinter gibt es noch hochklassige Bewerber, Kevin Trapp etwa.
Läuft's wie bei Kevin Behrens?
Das Thema Nationalmannschaft dürfte für den Bochumer Schlussmann ohnehin keins sein. Auch wenn man am Beispiel von Union-Stürmer Kevin Behrens auf wundersame Weise beobachten kann, wie sich die Dinge auf der Zielgeraden nochmal drehen. Im fortgeschrittenen Alter von 32 Jahren ist er erstmals nominiert worden. Aber sollte Nagelsmann tatsächlich der Idee von Hamann folgen, wäre die Fortschreibung von Riemanns wilder Reise durch die Karriere. Als 19-Jähriger spielte er für Wacker Burghausen im DFB-Pokal gegen den FC Bayern so furios auf, dass sich Manager Uli Hoeneß die Nummer des Torwarts geben ließ. Doch auf das frühe Highlight folgte ein Wellenritt, der ihn erst im Alter von 32 Jahren in die Bundesliga spülte. Und wie.
In seiner Debütsaison hielt er so gut und konstant wie wohl nie zuvor. Nach "Kicker"-Noten war er die Nummer zwei hinter dem Kölner Marvin Schwäbe. Berauscht vom Ziel Bundesliga führte er den Klub zum Wunder, dem Klassenerhalt. Den feierte er ausgelassen mit den Fans im Bochumer Bermuda-Dreieck. Wenig später wurde er mit über 70 Prozent der Stimmen zum VfL-Spieler der Saison gewählt. Doch nicht immer waren Fans und Keeper so eng miteinander. Die Beziehung war nicht immer einfach, weil Riemann nicht einfach ist. Wobei das vielleicht die falsche Beschreibung ist. Riemann macht aus seiner Gemütslage nie einen Hehl. Das bekommen auch die eigenen Mitspieler schonmal zu spüren. Wenn er so aufrütteln will, packt er schon mal zu. Auch im Training lässt er es krachen. Wenn ihm was nicht passt, haut er es raus.
Manchmal kämpft er auf zu vielen Schauplätzen
In der vergangenen Saison ging er einen Fan auf der Tribüne an, der ihn und seine Familie dauerhaft beleidigt hatte. Riemann lässt sich von seinen Gefühlen treiben. Er hat ein ausgeprägtes Unrechtsbewusstsein. Als die Bochumer Fans einst in Nürnberg einen jungen Torwart bei seinem Profi-Debüt nach einem schweren Patzer verhöhnten, forderte er den eigenen Anhang auf, dies zu unterlassen. Doch nicht immer bekam ihm das gut.
Manchmal kämpfte er auf zu vielen Schauplätzen. Seine Leistung litt. Etwa in der vergangenen Saison. Auf den emotionalen Höhepunkt, Klassenerhalt, folgte eine Spielzeit mit reichlich Patzern. Unter anderem im kleinen Derby gegen den FC Schalke 04 Mitte der Rückrunde. Mindestens sieben dicke Dinger wurden ihm zugeschrieben. Doch Riemann schüttelte sich, stand wieder auf. Gegen den 1. FC Köln und RB Leipzig hielt er zweimal die "Null", nahm sich selbst zurück, fokussierte sich auf sein Spiel. In seinem grenzenlosen Ehrgeiz gelingt ihm das nicht immer. Wilde Ausflüge, riskante Dribblings und Fehlgriffe lassen die Fans und auch seine Mitspieler manchmal verzweifeln, ehe Riemann wieder zur Wand wird oder als Spielgestalter mit langen Bällen erfolgreiche Angriffe einleitet. Noch so eine Qualität, die ihn in der Bundesliga von vielen Keepern abhebt. Neben seiner Arbeit als Elfmeterkiller.
Wie genau er dazu geworden ist, das gibt selbst Trainer Thomas Letsch ein Rätsel auf. "Was da in seinem Kopf vorgeht, wie er die Informationen verarbeitet und dann seine Entscheidungen trifft, bleibt sein Geheimnis", sagte Letsch nach dem 0:0 bei RB Leipzig: "Ich werde ihn mal fragen." Riemann trieb die Sachsen zur Verzweiflung - nicht nur aus elf Metern. "Er war zur Stelle", sagte Letsch über den "überragenden" Schlussmann, "aber nicht nur in den Situationen. Er war insgesamt ein klasse Rückhalt, hat klasse gecoacht, war das ganze Spiel positiv." Manchmal sei er ein "kleiner Hexer", sagte Leipzigs Christoph Baumgartner: "Ich habe das selbst noch nie erlebt. Er ist einer, der es gut macht." Und warum? Bei Instagram schrieb er lapidar: "Auch mal auf seinen Bauch hören."
Quelle: ntv.de