Fußball

Seltsame Borussia aus Dortmund Die giftigen Bochumer stiften Chaos beim BVB

BVB-Coach Edin Terzic und Felix Nmecha haben Redebedarf.

BVB-Coach Edin Terzic und Felix Nmecha haben Redebedarf.

(Foto: dpa)

Der VfL Bochum erlebt einen katastrophalen Saisonstart in Stuttgart und geht mit 0:5 unter. Am zweiten Spieltag wartet Borussia Dortmund und die Bochumer erleben eine erstaunliche Wandlung ihres Teams, während die Fußballer des BVB mit ihrem Spiel Rätsel aufgeben.

In Bochum, da gibt's kein grau. Zumindest nicht, wenn es um den VfL geht. Nach der erschütternden 0:5-Niederlage beim VfB Stuttgart vergangenen Samstag war die Mannschaft von den ersten Fans bereits final eingesargt worden. Bedeutet: Den dritten Klassenerhalt in Serie, den zweiten hatten sie vor drei Monaten im taumeligen Wahnsinn gefeiert, trauten sie diesem Team nicht zu. Nach dem ersten Spieltag! Und nun, sieben Tage später, da sang das Kollektiv auf der Ostkurve donnernd und überzeugt: "Nie mehr 2. Liga!" Was war passiert?

Nun, die Bochumer hatten das auf den Rasen gebracht, für das sie stehen wollen: rotzigen Straßenfußball. Giftig gegen den Ball, mutig mit dem Ball. Sie hatten alles anders gemacht als beim VfB. Sie hatten Fußball gekämpft und Fußball gespielt. Hart und schnörkellos. Robustes Handwerk mit Schönheitsnoten. Und das gegen Borussia Dortmund, den gigantischen Revierrivalen, der in dieser Saison auf das große Derby gegen Absteiger FC Schalke 04 verzichten muss, und daher alle Kraft in die kleinere Version des Nachbarschaftsduells stecken kann. Aber genau das taten die Borussen nicht. In den ersten 45 Minuten überhaupt nicht, nach der Pause etwas mehr. Gereicht hat es nur zu einem 1:1 (0:1) durch einen Strahl von Kevin Stöger (13.) und einen leicht abgefälschten Schuss von Donyell Malen (56.). Eine erste Ernüchterung für den BVB, ein gefühlter Sieg für die Bochumer.

Oder auch nicht. Trainer Thomas Letsch entdeckte an seinem 55. Geburtstag einen kleinen Teil in sich, der sich mit dem Ergebnis nicht zufriedengeben wollte. In ihm wuchs der Gedanke, dass an diesem Samstagnachmittag mehr möglich gewesen wäre. So aber eben wieder nur 1:1. Wie schon am 28. April, an jenem Abend des 30. Spieltages, als Karim Adeyemi an gleicher Stelle im Strafraum umgemäht worden war, ein Elfmeterpfiff aber ausblieb. Bis heute wird in schwarzgelben Fankreisen noch über das Was-wäre-wenn dieser ganz bitteren Situation diskutiert. Was wäre, wenn die Dortmunder getroffen und gewonnen hätten. Wären sie nun als Meister und nicht als Vizemeister ins Ruhrstadion gekommen? Wer weiß das schon? Was man aber weiß: In einer Form, um erneut den Gewinn der Schale ernsthaft in Betracht zu nehmen, sind die Borussen (noch) nicht.

"Ich kann es mir auch nicht erklären"

"Vielleicht waren die Bochumer einfach gieriger, griffiger", rätselte der fahrige Kapitän Emre Can, der spielte wie in der vergangenen Rückrunde, als seine Zeit beim BVB zu Ende zu gehen schien, über die Gründe. "Ich kann es mir auch nicht erklären. Wir ziehen nicht unser Spiel durch, sondern spielen einfach Bochums Spiel mit."

Ja, es ist erst der 2. Spieltag. Aber leise schrillt der Alarm beim BVB. Der 1:0-Auftaktsieg gegen den 1. FC Köln war an Dusel nicht zu überbieten, das 1:1 gegen die Bochumer vielleicht gerecht, vielleicht aber auch schmeichelhaft. Zumindest gemessen an den Möglichkeiten. Drei aktuelle A-Nationalspieler haben die Bochumer im Kader, 18 sind es beim BVB. Dessen Kader hat einen Marktwert von knapp einer halben Milliarde Euro, das VfL-Aufgebot liegt bei knapp über 50 Millionen. Welten! Welten, die der VfL vor 26.000 Zuschauer vorübergehend eingerissen hatte.

Wie rotziger Straßenfußball anne Castroper aussehen kann, aussehen soll, das hatten sie in der neunten Minute gezeigt. Mit vollem Tempo waren sie nach vorne gestürmt, hatten dank einer wuchtigen Flanke von Maximilian Wittek den Ball auf den Kopf von Wuchtstürmer Philipp Hofmann gebracht, der BVB-Keeper Gregor Kobel zu einer starken Parade nötigte. Dann rannten sie wie die Wilden zurück, der nimmermüde Kapitän Anthony Losilla warf sich im Strafraum gerade noch in einen Schuss. Sie waren jeden Weg gegangen, egal wie aussichtslos er gewesen sein mochte. Sie hatten den BVB mit ihrem Chaos stiftenden Fußball hart erwischt. Sie hatten das in Fankreisen bereits heftig kritisierte, weil bisher höchst fragile System mit einer Dreierkette in der Abwehr von Coach Letsch mit Leben gefüllt. Mit Leidenschaft. "Ich glaube, jeder hat gesehen, dass das die Art und Weise ist, wie wir spielen wollen", befand er sehr erfreut. Eine hellweiße Woche steht ins Haus. Eine ohne Systemdebatten. Die Tugendhaftigkeit hatte die Formation geschlagen. Letsch hatte genau das immer betont.

"Wenn du dann nicht die Bereitschaft hast..."

Die Dortmunder waren überrascht, obwohl sie von nichts überrascht worden waren. Wie Coach Edin Terzić nach dem Spiel bekannte. Man habe gewusst, dass es viele Zweikämpfe geben würde. Das Problem: die Umsetzung. "Wenn du dann nicht die Bereitschaft hast, alles in die diese 50:50 Zweikämpfe reinzuwerfen, um aus 50:50 60:40 zu machen oder 70:30, dann wird es offen bleiben", erklärte Terzić. "So war es offen in der ersten Halbzeit und wurde es nochmal offen in den letzten 15 Minuten. Damit sind wir nicht einverstanden, nicht zufrieden." Mit vier Punkten aus den ersten beiden Partien und dem Blick auf das Heimspiel gegen den weiterhin punktlosen Aufsteiger Heidenheim am nächsten Freitag ist tabellarisch noch nichts passiert. Und dennoch muss jetzt viel passieren. Es passt nichts mehr zusammen. Oder es passt noch nichts zusammen. "Wir haben überhaupt kein gutes Spiel gemacht. Das ist nicht unser Anspruch! Wir wollen dominieren und gewinnen", sagte Kapitän Can.

Von beiden Vorhaben waren sie im stimmungsvollen Kleinod an der A40 weit entfernt gewesen. Von Dominanz, Kontrolle und Stabilität noch mehr als vom Sieg. Mit Jude Bellingham hatte der BVB in der Sommerpause sein Herz und seine Seele verloren. Felix Nmecha und Marcel Sabitzer haben die Macher als mögliche Antworten auf die Frage ausgegraben, wer den jungen Engländer, der bei Real Madrid für Glückseligkeit sorgt, ersetzen kann. Beide hatten zuletzt ihre Qualitäten angedeutet, doch in Bochum gingen sie völlig unter. Sabitzer war gar nicht präsent. Nmecha bemühte sich immer wieder, agierte aber unglücklich. Auch bei seinem Pfostenschuss (62.).

Sportdirektor Kehl würgt unliebsame Debatte ab

Der klatschte in die beste Phase der Gäste. Gerade erst hatten sie den Ausgleich erzielt. Malen hatte aus dem Stand geschossen, der Ball flutschte leicht abgefälscht unter Manuel Riemann hindurch. Auf das 1:1 hatten sie jetzt nicht mit Volldampf gedrückt, aber es war zumindest das Ergebnis von mehr Bereitschaft. Das nervtötende Ewigkeitsthema der Schwarzgelben. Und es wurde jetzt wieder aus der Emscher gefischt, nachdem es Anfang Februar in jener versenkt worden war. Nach einem Pokalfight, der schöner nicht sein konnte. Den der BVB an gleicher Stelle mit höchster Intensität und Leidenschaft gewonnen hatte. Auf die These an diesem Nachmittag, dass sich seine Mannschaft gegen die kleineren Gegner häufig schwertue, hatte Sportdirektor Sebastian Kehl überhaupt keine Lust: "Ich möchte nicht saisonübergreifend Analysen betreiben. Wir haben einen anderen Kader und andere Themen. Wir haben kein gutes Spiel gemacht. Aber von einem grundsätzlichen Problem zu reden, das es vielleicht schon in der vergangenen Saison gegeben hat: Das sehe ich nicht."

Die anderen Probleme subsumieren sich unter den Begriffen Stabilität und Spielidee. Beides war vage bis nicht zu erkennen. Auch ein Ergebnis der unrunden Vorbereitung, in der viele Nationalspieler erst verspätet eingriffen, wie Terzić noch einmal halb entschuldigend, halb erklärend hervorhob. Zuvor hatte sich Julian Brandt in einem durchaus bemerkenswerten TV-Interview darüber beklagt, dass zu wenige seiner Mitspieler die Pause genutzt hätten, um auf dem "Peak" (in bester Verfassung) zu sein. Es gehe "um das Grundsätzliche", klagte Brandt, "es gibt viele bei uns in der Truppe, oder uns alle, die vor zwei, drei Monaten noch an einem anderen Punkt waren. Da gilt es, schleunigst wieder hinzukommen."

Aus der Zentrale kamen keine Impulse, eher Ratlosigkeit. Ein Boss, der aufrüttelt, der die Dinge in die Hand, der fehlt. Eine staboile Hierarchie der Post-Bellingham-Ära hat sich noch nicht gefunden. Im Zentrum, überragte Bochums Matus Bero bei seinem Startelfdebüt mit seiner Präsenz und dynamischen Läufen in die Tiefe. Und hinter ihm verteidigte Ivan Ordets alles weg, was nachhaltig hätte Schaden anrichten können. Über die Außen ging beim BVB ebenfalls zu wenig, vor allem über die rechte Seite der Bochumer, auf der der Ex-Borusse Felix Passlack in der ersten Halbzeit massive Probleme hatte und in keinen Zweikampf kam. Warum diese offensichtliche Schwäche nicht konsequent bespielt wurde? Ein Rätsel. Wie der BVB insgesamt. Wie die künftige Rolle von Ex-Kapitän Marco Reus im Speziellen, der trotz der offenkundigen Probleme seiner Kollegen gute Lösungen mit Ball zu finden, gar nicht zum Einsatz kam. Terzić sah darin, aber kein großes Thema, sondern eine rein taktische Entscheidung.

"Wir sind in der ersten Halbzeit von der Intensität der Bochumer überrannt worden", kommentierte BVB-Keeper Kobel bei Sky besorgt. Mit einer gigantischen Parade verhinderte er gegen Stöger sogar noch Schlimmeres (68.). Und dann befand er: "Wir können sicher besser dagegenhalten." Darüber müsse man sich Gedanken machen. Die Laune ist trist, trotz Pokal-Weiterkommen, trotz vier Punkten aus zwei Spielen. Aber das ist eben nicht der Anspruch. Anders beim VfL, der ist plötzlich von den Toten auferstanden. Alles wieder hellweiß, statt tiefschwarz. So ist das eben bei der einst grauen Maus aus Bochum. "Und es macht ja auch Spaß", befand Letsch.

Quelle: ntv.de

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