Fußball

Der Diamantendealer ist am Ende Der faule Kompromiss der BVB-Transferpolitik

Für jeden Haaland gibt es im Dortmunder Kader einen Schulz.

Für jeden Haaland gibt es im Dortmunder Kader einen Schulz.

(Foto: imago images/Laci Perenyi)

Der BVB ist neben dem Branchenprimus aus München der einzige Klub, der noch öffentlich über Titel spricht. Die aktuelle Saison verläuft dennoch enttäuschend, vor allem in den Pokalwettbewerben. Um demnächst wieder oben mitspielen zu können, muss sich der BVB seiner größten Stärke berauben.

Jadon Sancho am Dienstag, Christian Pulisic am Mittwoch und Ousmane Dembélé am Donnerstag. Gleich drei BVB-Alumni spielen unter der Woche um den Einzug in die nächste Runde im Europapokal. Auch die Dortmunder selbst schnüren am Mittwoch die Fußballschuhe. Der Klub trifft in einem Nachholspiel der Bundesliga auf den FSV Mainz 05.

Es wird in dieser Saison das letzte Mal sein, dass der BVB unter der Woche ran muss, während viele Bundesliga-Klubs regenerieren können. Etwas unglücklich aus der Champions League ausgeschieden, blamieren sich die Dortmunder im Februar in der Europa League gegen die Glasgow Rangers. Im DFB-Pokal scheitert das Team von Marco Rose am Zweitligisten FC St. Pauli.

In der Bundesliga liegt der BVB auf Rang zwei. Mehrmals in der Saison wird dem Klub von außen ein Meisterschaftskampf mit dem FC Bayern nachgesagt, der jedoch weder der FC Bayern noch Borussia Dortmund wirklich zu interessieren scheint. Das Mindestziel - die Qualifikation für die Königsklasse - ist so gut wie erreicht. Die Saison ist mehr oder minder gelaufen, und zwar nicht erfolgreich.

Parallelen zum FC Barcelona

Überlagert wird das sportliche Abschneiden des Klubs von der Personalie Erling Haaland. Auch vor dem Mainzer Spiel geht es wieder darum, ob er fit genug ist, um der Mannschaft zu helfen. Wenn er das nicht tut, wird regelmäßig eingeblendet werden, wie er gut gelaunt in seiner Loge das Spiel verfolgt. Und wenn die Spiele gelaufen sind, geht es nur um seinen Transfer.

"Ich habe heute, gestern, vorgestern nichts gehört. Ich weiß, dass City hinterher ist. Und es ist bekannt. Die Zahlen, da hatte ich ein Schleudertrauma, bin ohnmächtig geworden. Meine Frau hat mich wieder aufgerichtet. (...) Ich kann so weit nicht zählen", sagte BVB-Berater Matthias Sammer noch über einen möglichen Transfer zu Manchester City. Haaland, Haaland, Haaland.

In den letzten Jahren war wohl nur eine Mannschaft Europas so abhängig von einem Einzelspieler: der FC Barcelona von Lionel Messi. Das sagt natürlich auch etwas über die Qualität Haalands aus, viel mehr verrät es aber über die Kaderstruktur des BVB. Die Personalpolitik des BVB ist seit Jahren ein fauler Kompromiss, er war womöglich noch nie so deutlich wie in dieser Saison.

Im Frühjahr 2012/13, auf der Höhe seiner Schaffenskraft, ist der BVB eine beängstigend gute Mannschaft. In der Königsklasse schaltet die von Jürgen Klopp grandios gecoachte Truppe Real Madrid aus, ist im Finale gegen den FC Bayern gerade zu Beginn deutlich besser als der spätere Sieger. Auf den Götze-Abgang reagiert der BVB angemessen, Namen wie die damals "nur" hochtalentierten Kevin De Bruyne oder Christian Eriksen werden diskutiert, letztendlich kommt Henrikh Mkhitaryan.

Nur die Wundertüten sind geblieben

Der BVB ist damals unter Klopp eine gewachsene Mannschaft. Überragend gescoutete Wundertüten wie Robert Lewandowski oder Shinji Kagawa werden ergänzt oder ersetzt durch junge, aber dennoch gestandene Spieler wie Pierre-Emerick Aubameyang oder eben Mkhitaryan. Dementsprechend lange kann der Klub den Zerfall auf Raten kompensieren, die neuen Spieler finden eine organische Kultur vor, die es ihnen erlaubt, sich schnell einzuleben.

Heute, knapp zehn Jahre später, ist Borussia Dortmund vor allem zum Durchlauferhitzer für Karrieren geworden. Hochbegabte aus aller Welt träumen sich zum BVB - um möglichst schnell wieder weg zu sein. Für den letzten Schliff gibt es seit Jahren keinen geeigneteren Ort als das Westfalenstadion.

Dortmunds Talente sind zu wichtig

Doch gleichzeitig findet sich im BVB-Kader zu viel Bundesliga-Durchschnitt. Spieler der Marke Aubameyang oder Mkhitaryan werden immer weniger. Aus der Veredelungspolitik des Klubs entsteht ein beinahe abenteuerliches Abhängigkeitsverhältnis. Schon bei Jadon Sancho oder Ousmane Dembélé war der sportliche Einfluss der Spieler auf die Mannschaft ungesund hoch. Durch den sukzessiven Qualitätsabfall im Rest des Kaders ragen die Hochbegabten schnell heraus und werden zwangsläufig zu Führungsspielern. Damit geht eine gewisse Narrenfreiheit einher. Sancho und Dembélé fallen häufiger durch Undiszipliniertheiten auf, für ernsthafte Konsequenzen sind sie schlicht zu gut.

Im Fall Erling Haaland ist diese Balance nun vollkommen ins Absurde gekippt. Der Norweger ist größer als sein Klub. Das 500. Wechselgerücht ist relevanter als die Ergebnisse des BVB, vor allem wenn er selbst nicht spielt. Auf den Tribünen des Westfalenstadions ist ein unangenehmer Kult um den Norweger entstanden, befeuert ausgerechnet von Stadionsprecher Norbert Dickel. Bereits zur Verkündung des Wechsels ahnen etliche Fans, dass die norwegische Rakete auf dem Weg in den Fußball-Olymp in Dortmund nur eine kurze Zwischenstation einplant - und sind davon genervt oder erschrocken davon, dass es ihnen egal ist.

Die Dortmunder Strategie sieht nur im ersten Moment langfristig aus. Natürlich ist es erfreulich, wenn alle zwei Jahre ein Top-Talent für Fantasiesummen nach Spanien oder England geht. Nur ist eben auch klar, welch ein Loch ein Spieler reißt, der der Fußball-Elite Europas 75, 100 oder 180 Millionen Euro wert ist: ein (zu) großes.

Nun ist es nicht verwerflich, Spieler mit dem Ziel zu kaufen, sie gewinnbringend wieder abzugeben. Der SC Freiburg, Mainz 05, selbst Bayer Leverkusen arbeiten zum Teil genauso. Diese Klubs sprechen allerdings auch nicht alle zwei Jahre über die Meisterschaft. Die Anforderungen des BVB haben sich, im Gegensatz zur Kaderstruktur, über die letzten zehn Jahre kaum geändert. Der Klub kann jedoch unmöglich von 19-Jährigen erwarten, jede Woche das Team zu tragen, wenn die Ambition besteht, Titel zu gewinnen.

Haaland markiert das Ende einer Ära

Neben der sportlichen Sinnhaftigkeit des Unterfangens als Betreuerverein für Hochbegabte macht sich der Fluch der guten Tat mittlerweile auch wirtschaftlich bemerkbar. Die Gewinnspannen werden kleiner, die Vereine weltweit wissen um die Begehrtheit erfolgreicher Borussia-Absolventen.

Plant der BVB mit Jamie Bynoe-Gittens und nicht mit Karim Adeyemi?

Plant der BVB mit Jamie Bynoe-Gittens und nicht mit Karim Adeyemi?

(Foto: IMAGO/Kirchner-Media)

Schon die für BVB-Verhältnisse bereits fragwürdigen 23 Millionen Euro Ablöse für Jude Bellingham waren trotz jahrelangen Scoutings nicht frei von Restrisiko. Bereits jetzt lässt sich sagen, dass sich die Wette gelohnt hat. Bereits jetzt lässt sich sagen, dass Jude Bellingham der nächste Spieler sein wird, der seinem sportlichen Umfeld in Rekordgeschwindigkeit entwächst, und in zwei oder drei Jahren bei einem der ganz großen Klubs spielt.

Endgültig die Faxen dicke scheint der BVB nun allerdings in der Personalie Karim Adeyemi zu haben. Zumindest für die von Salzburg aufgerufenen 40 Millionen Euro ist der Nationalspieler den Dortmundern zu teuer, so hört man. Das Zögern des BVB ist mehr als verständlich. 40.000.000 Euro wären eine Rekordsumme, Adeyemi ist bei all seinen starken Anlagen kein Haaland und mit Donyell Malen hat der Klub bereits einen Spieler, der Adeyemi nicht unähnlich ist.

In der sich aufdrängenden Frage der Haaland-Nachfolge geht es ohnehin größtenteils um Spieler einer anderen Kategorie: Sebastien Haller oder Patrick Schick sind großartige Stürmer, die ihre Qualität bei unterschiedlichen Klubs bewiesen haben. Das große Talente-Karussell scheint langsam abzubremsen. Schon im letzten Sommer wurde als Ersatz für Jadon Sancho kein weiterer 17-Jähriger geholt, sondern Donyell Malen, der für die PSV Eindhoven über 100 Spiele absolviert hat und bereits Nationalspieler ist. Eingeschlagen hat er bislang nicht. Mit dem 17-jährigen Engländer Jamie Bynoe-Gittens steht der nächste Sancho bereits in den Startlöchern. In der UEFA Youth League verzückt er regelmäßig.

Süle und Guerreiro, statt Haaland und Sancho

Hoffnung macht auch eine weitere Personalie: Niklas Süle wird im Sommer zum BVB wechseln. Es ist der sportlich wohl beste Transfer, den der BVB seit langer Zeit getätigt hat. Der momentan vielleicht beste Innenverteidiger Deutschlands entscheidet sich bewusst gegen eine Verlängerung beim FC Bayern und für Borussia Dortmund. Süle verstärkt die Mannschaft sofort - und langfristig. Jedenfalls scheint es nicht denkbar, dass Real Madrid in zwei Jahren 140 Millionen Euro bietet, um ihn vom BVB loszueisen.

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Süles Entscheidung erinnert an die damals ebenfalls etwas überraschende Verpflichtung von Marco Reus. Der heutige Kapitän widerstand allen Wechselverlockungen und lieferte in den letzten Jahren herausragende Spiele in Schwarz-Gelb ab. Raphael Guerreiro fliegt seit Jahren aller technischen Brillanz zum Trotz knapp unter dem Radar der Top-Klubs und auch der neue Keeper Gregor Kobel scheint den BVB zu verstärken, ohne die Weltpresse auf den Plan zu rufen.

Die großen Talente der Fußballwelt werden in Dortmund immer einen Platz haben. Doch wenn der BVB es schafft, den Kader noch um einige solcher Spieler zu ergänzen, entsteht auch wieder ein Grundgerüst, das über die Jahre wachsen kann. Und damit steigt die Chance enorm, dass es demnächst unter der Woche wieder gegen Manchester, Mailand oder Madrid geht, statt gegen Mainz.

Quelle: ntv.de

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