Erst grandios, dann "zu gierig" Der ganz bittere Abend des Bayern-Hünen Minjae Kim
01.05.2024, 08:09 Uhr
Gebrauchter Abend gegen Real Madrid: Minjae Kim.
(Foto: IMAGO/Sven Simon)
Anfangs verteidigt Minjae Kim alles weg, dann schenken seine zwei Fehler Real Madrid das Remis im Halbfinale der Champions League. Der Bayern-Abwehrmann hat zwar nicht alleine Schuld an den Gegentoren, gibt aber nicht zum ersten Mal ein Rätsel auf. Am Ende will Kim nur noch verschwinden.
Man stelle sich vor, die Situation in der siebten Minute wäre ein klitzeklein wenig anders verlaufen. Man stelle sich vor, Leroy Sané hätte den Ball beim Konter etwas besser mitgenommen, um dann frei aufs Tor von Real Madrid zuzulaufen. Der Flügelflitzer aber verpasst eine noch bessere Ballmitnahme, er wird nach außen gedrängt und sein Abschluss saust nur über die Querlatte.
Diesen Konter leitet ein starker Ballgewinn vom Minjae Kim ein. Der südkoreanische Innenverteidiger ist in der furiosen Anfangsviertelstunde der Bayern beim 2:2 (0:1) im Halbfinal-Hinspiel der Champions League genauso stark wie der Rest der Mannschaft. Ein ums andere Mal grätscht er einem Königlichen die Kugel vom Fuß, verteidigt mit Eric Dier aggressiv und hoch, spurtet in Pässe des Gegners, fängt sie ab. Auch in der Luft besteht der 27-Jährige.
Doch weil Sané in der siebten Minute eben nicht trifft und weil 17 Minuten später Vinicius Junior zum 1:0 für Real einschießt, erlebt Kim einen völlig gebrauchten Abend. Weil Toni Kroos durchs Mittelfeld spazieren darf, Leon Goretzka und Konrad Laimer traben locker vor ihm her, wird ein einfacher Fehler von Kim zum fatalen Fauxpas. Vinicius Junior zieht den Innenverteidiger aus der hintersten Linie, der Südkoreaner geht den Weg mit und hat dann keine Chance mehr gegen den sich unfassbar schnell wendenden und durchstartenden Brasilianer.
"Das ist einfach zu einfach"
Kim darf diesen Weg so nicht mitgehen, wird aber auch von seinem defensiven Mittelfeld im Stich gelassen, das keinen Druck auf Kroos ausübt und sich auch nicht um Vinicius kümmert, als dieser sich aus dem Angriffszentrum fallen lässt. "Die Gegenbewegung darf Minjae nicht so aggressiv mitmachen", sagt Thomas Tuchel nach der Partie bei Amazon Prime. "Die kann er dann machen, wenn der Ball gespielt ist. Aber eine Gegenbewegung und dann ist der Stürmer so frei, das kann nicht sein. Wenn er rausgegangen wäre und jemand anders wäre in seinem Rücken reingelaufen, dann okay. Aber so ist er einfach viel zu gierig."
Zwar erkennt der Bayern-Trainer, dass es keinen Druck auf den Ballführer Kroos gibt ("Das ist einfach zu einfach. Das geht einfach nicht."), aber der Sündenbock ist der Südkoreaner. "Das ist zu gierig", wiederholt Tuchel. Torhüter Manuel Neuer sagt in den Katakomben, sein Vordermann "hat im entscheidenden Moment eine schlechte Entscheidung getroffen", aber Fehler gehörten eben zum Fußball dazu und es "war auch nicht alles schlecht".
Das ist wahr. Und der Verteidiger hat anschließend auch weitere Highlights zu bieten. Doch auf der größten Bühne darf man sich solch einen Patzer eben nicht erlauben. Oder maximal einmal. Aber Kim verdoppelt sein Fehler-Konto in der zweiten Halbzeit. Zwar bekommt Vinicius Junior erneut zu wenig Druck, als er in der 82. Minute in den bayerischen Strafraum eindringt, aber wie Kim anschließend Rodrygo umreißt und gleichzeitig ein Bein stellt, wirkt in einem Halbfinale der Königsklasse stümperhaft. Er muss sich mit einem Foul helfen, weil sein Positionsspiel schlichtweg nicht stimmt. Vinicius trifft zum 2:2-Endstand vom Punkt.
"Ohne Not gibt er die innere Bahn frei"
"Zweimal zu gierig", erklärt Tuchel. "In der Situation hat er die die innere Bahn. Ohne Not gibt er dann plötzlich die innere Bahn frei für Rodgyro. Er steht die ganze Zeit besser und in dem Moment, als der Pass gespielt wird, steht er falsch." Der Bayern-Trainer attestiert seinem Abwehrmann, "nicht clever genug" gewesen zu sein.
Dabei wurde Kim als der nach Harry Kane wichtigste Neuzugang der Saison gefeiert. Er kostete 50 Millionen Euro, nachdem er mit Neapel die italienische Meisterschaft gewonnen und zum besten Abwehrspieler der Serie A ausgezeichnet wurde. Auf der höchsten Ebene, einem Halbfinale der Champions League, hatte er sich aber noch nicht zeigen können. Diese Bühne scheint momentan noch zu groß. Kurz vor dem Elfmeter-Ausgleich kommt der 190 Zentimeter große und beinahe 90 Kilo schwere Hüne auch bei einem gelupften Zuckerpass von Luka Modrić nicht dem flinken Vinicius Junior hinterher. Neuer pariert noch gerade so.
Ähnlich wie an diesem Dienstagabend hatte Kim bereits bei seinem Debüt, am ersten Bundesliga-Spieltag bei Werder Bremen, geschwankt zwischen: Der verteidigt selbst jeden Ball eiskalt weg, wenn er nachts um drei Uhr aus dem Bett gerissen wird, und: Das Tempo in Deutschland ist doch noch etwas zu schnell für ihn. Immer wieder leistete sich der Südkoreaner das Jahr über Fehler und zeigte zu wenig Konstanz. Die Hoffnung für das Rückspiel heißt: Matthijs de Ligt. Der verletzte Niederländer war knapp nicht rechtzeitig fit geworden. Viele Hoffnungen ruhen nun auf seiner Genesung bis zum nächsten Mittwoch.
Der Abpfiff ist gerade einmal 30 Minuten her, da rauscht Minjae Kim schnellen Schrittes als einer der ersten durch die Katakomben. Ohne ein Wort zu verlieren. Einem südkoreanischen Journalisten, der aber auch lieber keine Fragen stellen mag, nickt er noch fix zu - dann ist er weg. Von den Fans hinter der Absperrung hallen vereinzelte "Kim"-Rufe hinüber, doch der Verteidiger verschwindet im Bus. Und der gebrauchte Abend, der so gut begann, ist zu Ende.
Quelle: ntv.de