Fußball

Kunst und Kamikaze und Chaos Die Supersuper-Bayern machen Angst

So würden es die Fans gern sehen: Der Gegner hat Angst vor den Bayern. Momentan wird den Fans selbst angst und bange.

So würden es die Fans gern sehen: Der Gegner hat Angst vor den Bayern. Momentan wird den Fans selbst angst und bange.

Spektakel ja, aber boten die Bayern im Supercup wirklich "unglaublich guten Fußball", wie Trainer Pep Guardiola behauptet? Mit einem klaren Konzept glänzte eher Gegner Chelsea. Die Revolution unter Guardiola, sie stockt. Und das verheißt mit Blick auf die Champions League nichts Gutes.

Die Revolution von Pep Guardiola stockt noch.

Die Revolution von Pep Guardiola stockt noch.

(Foto: imago sportfotodienst)

Aus allem Vorschusslorbeer, der nach der Verpflichtung von Pep Guardiola über den Coach und den FC Bayern ausgeschüttet wurde, hat Johan Cruyff den schönsten Kranz geflochten. Guardiola, lobte Cruyff seinen früheren Schützling, komme genau im richtigen Moment: "Er kann den deutschen Fußball in andere Dimensionen führen." Nach dem punktemäßig passablen Bayern-Saisonstart und einem aufregendem Supercup gegen den FC Chelsea kann vorerst notiert werden: Johan Cruyff könnte Recht behalten. Das 120-minütige Fußballdrama in Prag samt Elfmeterschießen zeigte aber auch: Die Pep-Revolution läuft sehr langsam an – wenn sie denn tatsächlich kommt. Leise Zweifel sind angebracht.

Zunächst einmal war der Erfolg gegen die konternden Maurermeister von Jose Mourinho ein Sieg für die Geschichtsbücher. Nach 41 Jahren und sechs vergeblichen Anläufen deutscher Teams ist Fußball-Deutschland durch Guardiolas FC Bayern tatsächlich in einer neuen Dimension angekommen – und endlich, endlich, endlich Supercup-Sieger. Guardiola, mit fünf Triumphen ein Spezialist in diesem oft belächelten Wettbewerb, dankte dafür nicht dem Last-Minute-Tor von Javi Martinez oder der eher ungewohnten Münchner Nervenstärke vom Elfmeterpunkt. Er dankte seinem Vorgänger: "Vielen Dank an Jupp Heynckes für die Möglichkeit, dieses Finale zu spielen. Dieser Titel ist für ihn."

"Super, super, super, ein super, super Finale"

Darüber, ob der Sieg gegen Chelsea verdient war, gingen die Meinungen auseinander. Jose Mourinho beharrte darauf, in der Eden Arena habe die "bessere Mannschaft verloren". Seine Ausführungen garnierte er mit neuen Verschwörungstheorien und Kritik am Schiedsrichter. Franck Ribery, nach Europas Fußballer des Jahres auch "Man of the Match" im Supercup, zollte Chelsea Respekt: "Es war nicht einfach heute. Aber wir sind sehr glücklich für die Mannschaft und auch für den Trainer. Es war ein bisschen speziell für ihn wegen der großen Konkurrenz mit Mourinho." Tatsächlich war Guardiola die Erleichterung über seinen ersten größeren Titel mit den Bayern anzumerken und anzuhören."Wir haben sehr, sehr gut gespielt. Wir hatten 30 Torchancen, wir haben attackiert", fand er: "Es war super, super, super, ein super, super Finale." Kurzum: "Wir verdienen diesen Titel."

So einfach war es dann aber doch nicht, nicht auf dem Rasen und nicht in der Pressekonferenz. Nach dem unnötigen, aber irgendwie auch logischen 1:1 unter der Woche gegen den SC Freiburg hatte der "Kicker" Guardiolas Bayern attestiert, zwischen Kunst und Kamikaze zu pendeln. Es ist ein Eindruck, der sich seit dem ungestümen Bundesliga-Auftaktsieg der "Rocky-Bayern" verfestigt und in Prag insbesondere in der ersten Halbzeit bestätigt hat. Dort gesellte sich zu wenig Kunst viel Kamikaze und immer wieder Chaos - nicht nur, wenn Chelsea zu seinen überfallartigen Kontern ansetzte. Auch in den eigenen Angriffsbemühungen ließen die Münchner wenig Struktur und Konzept erkennen.

Zur Halbzeit kann es 0:3 stehen

Die Bayern greifen zwar noch immer mit der Wucht aus der Triple-Saison an. Aber ihnen sind Geschwindigkeit, Zielstrebigkeit und Präzision abhanden gekommen. So seltsam es klingt: Das Team des Taktikgenies Guardiola agiert taktisch bisweilen unerhört naiv, nicht nur im Umschaltspiel. Gegen Chelsea erspielten sich die Münchner bis zur Pause mit ihrem unkreativen Offensivspiel zunächst kaum klare Torchancen, während sie hinten vogelwild agierten. Hätte Chelsea nicht im Abschluss geschludert, wäre auch ein 0:3-Pausenrückstand möglich gewesen.

Lahm wirkte im Mittelfeld deplatziert.

Lahm wirkte im Mittelfeld deplatziert.

(Foto: imago sportfotodienst)

Guardiolas Abschaffung der Doppelsechs hat den perfekt ausbalancierten Heynckes-Bayern ihre defensive Stabilität geraubt. Resultat bislang: Selbst wenn die Münchner mit Spezialisten wie Bastian Schweinsteiger oder Guardiolas Wunschspieler Thiago auf dieser Position spielten, boten sich dem Gegner unglaubliche Räume im Mittelfeld. In Prag kam erschwerend hinzu, dass beide Akteure verletzt waren und Javi Martinez noch angeschlagen. Deshalb rotierte Guardiola gegen Chelsea seinen Rechtsverteidiger Philipp Lahm auf die Sechs. Nach der Partie lobte Guardiola seinen Kapitän zwar als "wahrscheinlich intelligentesten Fußballer", den er in seiner Karriere trainiert habe. Trotzdem schien Lahm in der ersten Halbzeit verloren als Fixpunkt im defensiven Bayern-Mittelfeld. Es war ein gescheitertes Experiment. Stabilität gewannen die Bayern erst, als in der 56. Minute Javi Martinez als echter Sechser ins Spiel kam und Lahm zurück in die Abwehrkette rücken durfte. Dass der Spanier dann mit der letzten Aktion des Spiels noch das Elfmeterschießen erzwang, war eine nette Pointe.

Guardiola sieht "unglaublich guten Fußball"

Mit Kritikpunkten wollte sich Guardiola erneut nur ungern befassen. Er war hochzufrieden, wie schon nach dem 2:4 in Dortmund und dem 1:1 in Freiburg. "Glauben Sie mir", erklärte er nach mehreren Journalisten-Nachfragen fast trotzig: "Wenn ich sage, wir haben schlecht gespielt, dann waren wir auch nicht gut. Aber heute haben wir unglaublich guten Fußball gespielt." Die Statistik gab ihm Recht, die Münchner lagen auf dem Papier bei Ballbesitz und Torchancen klar vorn. Die 120 Minuten in Prag dürfen durchaus als bestes Bayern-Spiel unter Guardiola angesehen werden.

Nachdenklich stimmt aber, dass Chelsea wie erwartet agierte und die Münchner zumindest im ersten Durchgang dennoch auf dem falschen Fuß erwischte. Auffällig war auch, dass die Londoner vor dem Tor mit weniger Aktionen ebenso zwingend waren – und die Bayern zum Erreichen der Verlängerung auf mehrere Heldentaten von Manuel Neuer angewiesen waren, dort dann aber trotz Überzahl bis zur 121. Minute kein Mittel fanden.

Veränderung um der Veränderung willen

Die Mannschaft mit einem klaren taktischen Konzept war in Prag der FC Chelsea von José Mourinho- gewonnen haben trotz anhaltender Findungphase dennoch die Bayern. Franck Ribery stimmt das optimistisch. Er hofft, dass der Erfolg etwas Druck vom vermeintlichen Trainer-Gott Guardiola nehmen werde, der die immensen Erwartungen an ihn ja nie selbst geschürt hat.

Trotzdem muss er vorerst ganz weltliche Fragen beantworten: Die nach der Motivation für die Auflösung der Doppelsechs zum Beispiel, die sich auch nach dem siebten Pflichtspiel nicht wirklich erschließt. Auch wenn jede taktische Umstellung Zeit braucht, steht der Spanier selbst als frischgebackener Supercup-Sieger im Verdacht, die "perfekt funktionierende Mannschaft" (Jupp Heynckes über die Heynckes-Bayern) nur der Veränderung willen durcheinander gewürfelt zu haben. Bislang wird der Verlust an defensiver Sicherheit nicht durch ein Plus an Offensivkraft kompensiert. Brisant bleibt auch die Frage, wo Thiago, Schweinsteiger, Martinez und der gegen Chelsea erneut blasse Mario Götze spielen sollen, wenn sie denn einmal alle gesund und in Form sind.

Nach dem rasanten Spektakel in Prag darf konstatiert werden: Spiele mit den Guardiola-Bayern machen noch mehr Spaß als die Partien mit der perfekten Tormaschine von Jupp Heynckes – weil der Gegner wieder mitspielen darf. Das ist eine neue Dimension im Spiel des FC Bayern, aber wohl kaum die von Cruyff erwartete. Denn sie macht Spaß – aber gerade mit Blick auf die Champions League auch Angst.

Quelle: ntv.de

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