Wie verwundbar sind die Bayern? Diese Probleme muss Hansi Flick nun lösen
30.09.2020, 14:27 Uhr
Zum ersten Mal seit Monaten herrschte beim FC Bayern nach einem Spiel wieder Ratlosigkeit. Das 1:4 bei der TSG Hoffenheim zwingt zur Analyse.
(Foto: imago images/ULMER Pressebildagentur)
Kaum ist die hohe Bundesliga-Niederlage gegen Hoffenheim analysiert, geht es für den FC Bayern München im Supercup gegen den BVB schon um den nächsten Titel. Mitten in der Terminhatz müssen die Münchner schnell die Hoffnungen der Konkurrenz zerstreuen.
Am Sonntagnachmittag passierte in der Bundesliga etwas, von dem viele dachten, dass es nie mehr passieren würde: Der FC Bayern München verlor ein Spiel. Seit dem 7. Dezember 2019, als Gladbach mit 2:1 gegen den Rekordmeister gewinnen konnte, hatte das Team von Hansi Flick 32 Pflichtspiele in Serie nicht verloren. Jetzt war es so weit. Weil der Gegner klar überlegen war. Dementsprechend wird nach der Partie nach Gründen gesucht. Wie konnte so etwas passieren?
Bei den Hoffenheimern waren sich zumindest alle einig: Die Müdigkeit des Gegners hat durchaus eine Rolle gespielt. Mit 120 Supercup-Minuten gegen Sevilla in den Beinen, gelingt es den Bayern nicht, Hoffenheim über 90 Minuten hinweg mit gewohnter Intensität zu bespielen. Thomas Müller hingegen wollte davon nichts wissen. Nach dem Spiel sagte er: "Der Akku ist natürlich nicht zufrieden, aber ich denke nicht, dass das heute an körperlichen Geschichten lag." Auch Manuel Neuer und Trainer Flick waren bemüht darum, nicht nach Ausreden zu suchen.
Und so bleibt nur der Schluss, dass Bayern einfach gegen einen sehr guten Gegner verloren hat. Das muss dann wohl einfach mal akzeptiert werden. Die Bayern wären aber nicht die Bayern, würden sie nicht aus so einer Niederlage Kraft schöpfen. Nur wenige Minuten nach Abpfiff sagt Flick bereits: "Wir müssen es abhaken, wir werden die Dinge mitnehmen, die uns besser machen." Doch welche Dinge sind das?
Hat die Bayern das Spielglück verlassen?
Wer so hoch verteidigt wie die Bayern, hat automatisch das Problem der Konteranfälligkeit. So beeindruckend die jetzt gerissene Siegesserie der Münchner auch ist: In der einen oder anderen Partie hatten sie schlicht Glück. Man erinnere sich an Timo Werner, der im Top-Spiel der Bundesliga (0:0) frei vor dem Tor den Schuss verstolpert. Oder an Kevin Volland, der im Pokalfinale die große Chance zum Anschluss vergibt, bevor Lewandowski das 3:0 erzielt. Oder auch an das Champions-League-Finalturnier, wo Barcelona, Lyon und auch Paris gute Möglichkeiten liegen gelassen haben.
Das bedeutet im Umkehrschluss nicht, dass die Bayern jedes dieser Spiele verloren hätten, wären die Tore gefallen. Aber es zeigt, dass sie nicht unverwundbar sind. Immer wieder gibt es Szenen, in denen Gegner mit wenigen Kontakten hinter die Verteidigungslinie der Bayern kommen. Meist sind das dann gleich Großchancen. Flick nimmt das in Kauf. Seine Idee: Möglichst viele dieser Situationen schon im Keim ersticken, indem durch das hohe Pressing keine kontrollierten Pässe zugelassen werden. Der Erfolg gibt ihm recht: In den meisten Fällen hat das funktioniert. Weil die Bayern gut organisiert sind, weil sie unermüdlich zu sein scheinen und weil sie zu jedem Zeitpunkt genau wissen, was sie zu tun haben.
Doch gegen Hoffenheim war das anders. Immer wieder kamen die Münchner einen oder gar zwei Schritte zu spät. Die TSG konnte sich so ein ums andere Mal durch das Pressing kombinieren und die hohe Linie des Gegners entblößen. Mehrfach lief die Mannschaft von Sebastian Hoeneß in Überzahl auf das Bayern-Tor zu. Dass es am Ende nur vier Gegentore waren, war pures Glück.
Individuelle Fehler machen das Spiel kaputt
Ist es jetzt also die taktische Ausrichtung von Flick, die dem FC Bayern plötzlich Probleme bereitet? Dieser Schluss wäre nach der ersten Saisonniederlage wohl vollkommen unangemessen. Stattdessen muss auf die vielen individuellen Fehler verwiesen werden, die den Bayern sonst nicht passieren. Alphonso Davies und Benjamin Pavard sind in der so unheimlich erfolgreichen Vorsaison so wichtig für ihre Mannschaft gewesen, weil sie es zuverlässig schafften, auch unter Druck die richtigen Entscheidungen zu treffen. Gegen Hoffenheim zählten sie zu jenen Spielern, die selbst ohne Druck einfache Fehler machten.
Damit sind sie nicht allein. David Alaba, um dessen Vertragsverlängerung seit Wochen gerungen wird, kam nicht gut aus dem Urlaub. Ebenso blieben Serge Gnabry und Leroy Sané in Hoffenheim nach guten Leistungen gegen Schalke und Sevilla erstmals sehr blass. Nahezu jedem Spieler auf dem Feld fehlte es an Präzision - und genau diese Präzision ist es, die so essenziell für das Spiel der Bayern ist.
Die Intensität, da waren sich nach dem Spiel alle einig, ging den Bayern nicht ab. Aber erstmals seit vielen Monaten wirkten sie vor allem müde im Kopf. Falsche Entscheidungen hier, ungenaue Pässe dort – fehlt es dem anspruchsvollen Offensivfußball an Präzision, kann das so aussehen wie am Sonntagnachmittag. Umso verständlicher ist es, dass Flick recht einsilbig reagiert, wenn er auf den viel zu dünnen Kader angesprochen wird. Doch eines ist auch ganz klar: Für eine solche Niederlage braucht es einen Gegner wie die TSG. Eine Mannschaft, die die fehlenden Prozente der Bayern perfekt ausnutzen konnte. Hoeneß hat Hoffenheim optimal auf den Serienmeister eingestellt und die Räume insbesondere im Mittelfeld sehr eng gemacht.
Im Supercup wäre ein Zeichen wichtig
Flick ordnet all das perfekt ein. Und das dürfte dem FC Bayern trotz der herben Niederlage ein bisschen Mut machen. Er fand nach dem Spiel den richtigen Ton, stellte einerseits den starken Gegner heraus, machte andererseits aber auch keinen Hehl daraus, dass seinem Team trotz großem Kampf das gewisse Etwas fehlte. Abhaken und die Dinge mitnehmen, die den FC Bayern besser machen.
Es ist fast schon eine Kampfansage auf Flick’sche Art und Weise. Hoffenheim hat nun zwar eine Blaupause dafür geliefert, wie die Bayern zu schlagen sind. Doch die könnte schnell schon wieder nichtig sein, wenn der Trainer sich so lern- und entwicklungsfähig zeigt wie im Verlauf der letzten Saison. An seinem Spielstil wird Flick nichts ändern. Warum auch? Es geht jetzt darum, das Hoffenheim-Spiel zu analysieren und Handlungsalternativen zu entwickeln, wenn ein paar Prozente auf allen Ebenen fehlen.
Mit Dortmund wartet am Abend aber schon der nächste starke Gegner. Dann wird der DFL-Supercup ausgespielt, dessen Stellenwert stark umstritten ist. Lucien Favre wird die 1:4-Niederlage des Konkurrenten genau verfolgt haben und versuchen, einiges davon umzusetzen, was den Hoffenheimern so gut gelungen ist. Die Bayern aber werden auch für diesen Titel alles geben – diesmal mit etwas volleren Akkus. Sie wollen verhindern, dass die Liga daran glaubt, dass am Ende etwas Größeres passiert, von dem viele denken, dass es nicht mehr passieren würde.
Quelle: ntv.de