"Alles kurz und klein gehauen" Dynamo Dresdens bitterer Aufstieg
17.04.2016, 10:18 Uhr
Viel Rauch in der Magdeburger MDCC-Arena.
(Foto: dpa)
Schwere Krawalle und Pyrotechnik-Attacken beim Ostklassiker in Magdeburg: Dynamo Dresdens gewaltbereite Anhänger schaffen es selbst beim Aufstieg in die 2. Fußball-Bundesliga, Randale in den Mittelpunkt zu rücken.
Ralf Minge stand sichtlich mitgenommen im Kabinengang des Magdeburger Stadions. Dynamo Dresden war gerade durch ein 2:2 beim 1. FC Magdeburg zum dritten Mal in der Historie in die 2. Bundesliga aufgestiegen. Doch ausgelassen feiern konnte der SGD-Sportdirektor im Moment seines größten Erfolges als Manager nicht. Dazu war in den zwei Stunden zuvor zu viel vorgefallen - abseits des Spielfeldes auf den Rängen und vor dem Stadion. Selbst am Tag des Aufstiegs war es dem gewaltbereiten Teil der riesigen Dynamo-Fangemeinde wieder einmal gelungen, die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken: erst durch massive Ausschreitungen vor dem Stadion; dann zündeten diejenigen, die in die Arena gekommen waren, während und nach dem Spiel nicht nur zahlreiche Böller und Nebelbomben, sondern feuerten auch drei Raketen in einen benachbarten Magdeburger Block ab und riskierten durch die Provokation bewusst Verletzungen und weitere Ausschreitungen.
Als daraufhin Magdeburger Anhänger eine Absperrung durchbrachen und die Polizei aufmarschierte, unterbrach Schiedsrichter Manuel Gräfe die Partie von der 68. bis zur 73. Minute. Minge versuchte, die Situation am Dynamo-Block zu beruhigen. Doch da der 55-Jährige - Typ: Ostrocker - in löchriger Jeansjacke und mit schwarzem Kapuzenpullover aussah wie ein Dynamo-Fan, wurde er kurzzeitig von den FCM-Ordnern in Gewahrsam genommen. "Ich bin nur gegen Kaution wieder freigekommen", sagt Minge bitter lächelnd.
Souveräner Schiedsrichter
Auch einige Spieler stiegen auf den Zaun vor dem Dynamo-Block und versuchten, die aufgestachelten Chaoten zu beruhigen. "Ich bin zum Block gelaufen und habe den Fans signalisiert: Schaltet den Kopf ein", sagte Dynamo-Stürmer Pascal Testroet. Denn bis zu einem Spielabbruch hätte nicht viel gefehlt. "Ich hatte die Sorge, dass das Spiel vielleicht abgebrochen wird. Aber der Schiedsrichter hat das ganz souverän gemacht", sagte Dresdens Trainer Uwe Neuhaus. Ersatzstürmer Stefan Kutschke - als Jugendlicher selbst Mitglied der Ultras Dynamo - räumte eigenhändig brennende Pyrotechnik auf dem Rasen beiseite, stieg auf den Zaun und redete minutenlang auf die aufgebrachte Fanmeute ein, "weil er viele von denen kennt", wie sein Kollege Testroet sagte.
Eskaliert war die Situation im Stadion auch deswegen, weil etwa ein Drittel der insgesamt 2000 verkauften Gästeplätze leer geblieben war. So war der sonst so lautstarke Dynamo-Auswärtsblock in Magdeburg im Stadion kaum zu hören. Immer wieder verließen viele Dresdner den Block, um sich mit jenen zu solidarisieren, die draußen bleiben mussten. Stattdessen tobte der Auswärtsmob vor dem Stadion. Die Polizei teilte per Twitter mit, dass sie etwa 700 Dresdner Fans den Zutritt zum Stadion verwehrte, der Veranstalter erteilte Hausverbote. Auf der Magdeburger Vereinsseite war von 300 Dynamo-Fans die Rede. "Mehrere Fans hatten versucht, ohne Karten ins Stadion zu gelangen und daraufhin massiv auf Polizei und unsere Sicherheitskräfte eingeprügelt und alles kurz und klein gehauen", erklärte Magdeburgs Sportvorstand Mario Kallnik kurz nach Spielschluss.
Sein Kollege Minge berichtete, dass der mit etwa 1000 Dynamos besetzte Sonderzug aus noch ungeklärten Gründen etwa 40 Minuten zu spät am Magdeburger Hauptbahnhof eingetroffen sei. Aus diesem Grund waren wohl vernünftige Einlasskontrollen bis zum Anpfiff nicht mehr umsetzbar gewesen. Auf Fotos bei Twitter ist eine schmale Schleuse zu sehen, durch die Hunderte Dynamo-Fans hätten ins Stadion gelangen sollen. Da so einige wohl nicht pünktlich zu Spielbeginn ins Stadion gekommen wären, brach die Gewalt gegen Polizei und Ordner los. Zwar müssen sich auch die Sicherheitskräfte die Frage stellen, ob die Art und Weise des Einsatzes nicht die Gewalteskapaden weiter provoziert hat. Die Polizei hätte das Spiel beispielsweise auch eine halbe Stunde später anpfeifen lassen können. Doch es braucht eben stets nur ein kleines Fünkchen, sodass der Dynamo-Vulkan aufs Neue ausbricht. "Wir hatten das Thema in den letzten zwei Jahren einigermaßen im Griff", sagte Minge. "Aber nach dem Tag heute müssen wir eine Menge aufarbeiten. Es gibt Dinge, die gehen gar nicht, wie das Abfeuern der Raketen."
Wasserwerfer gegen Magdeburger Angreifer
Vor Spielbeginn hatten auch die Magdeburger die gesamte Fantribüne mit einer Pyrotechnik-Choreografie südamerikanischen Ausmaßes gegen die DFB-Regularien verstoßen; nach Abpfiff setzte die Polizei die eigentlich für die Dresdner Fans gedachten Wasserwerfer gegen Magdeburger Angreifer ein, die sich am SGD-Anhang rächen wollten. 15 Beamte sowie ein Ordner wurden verletzt, wie groß der entstandene Sachschaden ist, ist noch unklar. "Wir haben einen enormen Aufwand im Vorfeld betrieben, um die Sicherheitslage zu besprechen. Das Ergebnis ist für beide Seiten enttäuschend", sagte Minge nach Spielschuss. Der einstige Dynamo-Torjäger und Ex-Nationalspieler war sogar eigens mit dem SGD-Anhang im Sonderzug nach Sachsen-Anhalt mitgefahren. "Man muss beide Wege wählen", sagte Minge. "Klar sanktionieren bei den No-Go’s, da gibt es null Toleranz. Aber man muss auch versuchen, Überzeugungsarbeit zu leisten und nicht von oben herab mit dem Zeigefinger zu agieren."
Spieler und Trainer versuchten, die Ereignisse rund um das Spiel weitgehend auszublenden. Da es nach Spielschluss nicht im Stadion feiern durfte, ließ sich das Team draußen von den Fans bejubeln – da, wo eben noch die Randale stattgefunden hatten. Später drangen immer wieder die Siegergesänge des Teams aus der Kabine nach draußen: "Nie mehr, 3. Liga, nie mehr, ....."
Dynamo ist mit den meisten Punkten (68), gewonnen Spielen (18), meisten Toren (65) und wenigsten Niederlagen (2) zweifelsohne die dominierende Mannschaft dieser Saison in der 3. Liga gewesen. Biergetränkt sagte Chefcoach Uwe Neuhaus: "Für mich war es auch das erste Mal mit so einem Riesen-Vorsprung. Über zehn, zwölf Spiele die Spannung hochhalten zu müssen, ist schwieriger als wenn man drei Punkte vorn ist und jedes Spiel Tabellenverschiebungen herbeiführen kann. Das haben wir richtig gut gemeistert." Der 56-Jährige gilt als Vater des Erfolges, hat mit seiner Erfahrung und westfälischen Gelassenheit "die nötige Ruhe auf die Mannschaft und das gesamte Umfeld ausgestrahlt", lobte Minge.
Auf die SGD-Torjäger ist Verlass
Neuhaus sagte: "Als die Mannschaft zu Saisonbeginn wichtige Spiele in der Schlussphase gewonnen hat, kriegte ich ein Gefühl dafür, dass sie bereit und willig ist, den ganzen Weg zu gehen." Wichtig sei nach dem grandiosen Saisonstart gewesen, dass das Team nach der ersten Niederlage der Saison ebenso direkt wieder in die Spur gefunden habe wie nach der zweiten Pleite und inzwischen wieder seit zwölf Spielen ungeschlagen sei. "Bei vielen war noch aus der Vorsaison im Kopf: oh, geht’s jetzt wieder los? Aber die ganzen Zweifler haben wir überzeugt, dass wir eine gute Mannschaft haben und das packen können", sagte Neuhaus. "Das ist eine tolle Gemeinschaft. Die Jungs haben das Jahr überragend gearbeitet."
Zwar war der Akku bei den Spielern nach der zehrenden Saison sichtlich leer. Doch auch die Partie in Magdeburg illustrierte noch einmal anschaulich, was das Team ausmacht. Nach dem 0:2-Rückstand glichen die Toptorjäger Testroet und Justin Eilers mit einem Doppelschlag (63., 67.) zum Remis aus. "Wir haben uns angeschaut und ich habe gesagt: Zeigt Herz, zeigt, dass wir die beste Mannschaft in diesem Jahr sind und dreht dieses verdammte Spiel noch!", berichtete Testroet. "Was wir dann die letzten 30 Minuten gespielt haben, war eines Aufsteigers würdig. Wir sind absolut verdient aufgestiegen."
So ist Dynamo nach den "tiefen Rissen" (Minge), die nach dem Abstieg 2014 durch den Verein gegangen sind, wieder zurück in Liga zwei, wo der Kultverein mindestens hingehört, wie es stets im Dynamo-Umfeld heißt. Doch leider trifft das für einen harten, mehrere Hundert Personen zählenden Kern gewaltbereiter Anhänger nicht zu. So bleibt die Freude nicht nur bei Ralf Minge getrübt an diesem Aufstiegswochenende.
Quelle: ntv.de