Beckenbauer-Biograf zum 75. "Einstige Lichtgestalt sitzt isoliert im Stadion"
11.09.2020, 05:58 Uhr
Franz Beckenbauer feiert seinen 75. Geburtstag.
(Foto: imago images / Sven Simon)
Wer ist eigentlich Franz Beckenbauer und wenn ja, wie viele? Zum 75. Geburtstag des "Kaisers" stellen sich mal wieder einige TV-Dokumentationen und Bücher diese Frage, und Autor Christoph Bausenwein beantwortet sie so einfach wie überraschend: Es gab immer nur den einen Franz Beckenbauer. Nicht die Lichtgestalt auf der einen und die Schattengestalt auf der anderen Seite. Nicht erst den Weltmeister als Spieler und Teamchef - und danach den Steuerschlawiner und Sommermärchen-Betrüger. Es steckte schon immer alles drin in dieser überlebensgroßen Figur, der sich Bausenwein in seiner üppig bebilderten Biografie "Beckenbauer" nähert. Im Interview mit ntv.de redet er über den arroganten wie überragenden Spieler, über den sprichwörtlichen Franz im Glück und ein Publikum, das belogen werden wollte.
ntv.de: Auf der letzten Seite ihres Buches ist dieses Bild von Franz Beckenbauer abgedruckt, aufgenommen beim Geisterspiel zwischen dem FC Bayern und Eintracht Frankfurt im Mai. Es wirkt trotz der besonderen Umstände symbolisch: Allein sitzt er dort hinter Plexiglas, eine Maske vor dem Gesicht, einsam sieht er aus, geschlagen. Was fühlen Sie, wenn Sie Beckenbauer so sehen?
Christoph Bausenwein: Er tritt ja kaum noch in der Öffentlichkeit auf. Dass diese einstige Lichtgestalt so isoliert im Stadion sitzt, da bekomme ich schon Mitleid, muss ich sagen.
Beckenbauers Rückzug ins Private ist teils gesundheitlich bedingt, teils die Folge der Sommermärchen-Affäre, in der er sich mitten hinein in den Fifa-Sumpf aus Korruption und Gier begeben hat. Das Fußball-Establishment wahrt nun Distanz, Journalisten kritisieren ihn hart. Aber wie tief ist der Kaiser wirklich gefallen in der Gunst des durchschnittlichen Fußballfans?
Das ist das Problematische an unserer neuen Korrektheitskultur: Er mag Fehler begangen haben, aber deswegen bleibt doch die Geschichte, die mit ihm verbunden ist. Der Spieler Beckenbauer, der Teamchef, auch das Sommermärchen. Ich würde sagen, die Leute können das trennen. Zumal der Betrug juristisch nicht aufgeklärt ist, er wurde nie verurteilt. Insofern glaube ich nicht, dass ihm die Geschichte so anhängt, dass sich keiner mehr an ihn erinnern mag.
Juristisch nicht geklärt wurde die Sache, weil er dank eines Attests der Gerichtsverhandlung in der Schweiz fernbleiben durfte und der Prozess verjährte - da kommt ein Spruch von Sepp Maier in den Sinn, den sie zitiert haben: "Wenn der Franz aus dem Fenster fällt, fällt er nach oben."
Der Autor Christoph Bausenwein, Jahrgang 1959, hat zahlreiche Bücher zur Fußball-Geschichte vorgelegt - darunter zuletzt auch Biografien über Uli Hoeneß und Joachim Löw.
Beckenbauer hatte in seinem Leben oft ein unfassbares Glück, das stimmt. Nehmen wir seine Karriere als Teamchef: Da lässt er bei der WM 1986 grottenschlechten Fußball spielen und wird trotzdem Vize-Weltmeister, 1988 scheitert er bei der Heim-EM an den Niederlanden. Wäre er nicht der Beckenbauer gewesen, der DFB hätte ihn schon entlassen. Anschließend holt er den WM-Titel, wo nicht nur Können dabei ist, sondern auch Glück. Und hinterher heißt es: Der Beckenbauer war's. Alles wird ihm zugeschrieben. Das ist seine Gabe und Aura.
Als ich Anfang der 1990er Jahre Fußballfan wurde, war Beckenbauer ein Held, ohne Wenn und Aber. Wie würden Sie heute einem Siebenjährigen erklären, was dieser Mann für ein Fußballer war?
Er war in seiner Zeit eine neue Erscheinung. Die Leichtigkeit in der Bewegung, die Lockerheit und Eleganz, die er auf den Platz gebracht hat. In den 60er-Jahren wurde Fußball in schwarz-weiß gespielt, Beckenbauer war der einzig Bunte. Sonst grätschten da nur Spieler mit schütterem Haar über den Platz. Bei Beckenbauer hat man erstmals gesehen: Die Deutschen können nicht nur kämpfen, sondern auch Ästhetik ins Spiel bringen.
Waren Sie als junger Fußballfan auch ein Bewunderer von Beckenbauer?
An Beckenbauer haben sich damals die Geister geschieden. Ich war Anhänger des 1. FC Nürnberg und gehörte zu denjenigen, die ihm seinen Stil als Arroganz ausgelegt haben.
Was war für Sie Franz Beckenbauers definierender Moment als Fußballer?
Das Pokalfinale 1969, nach dem er sich den Spitznamen "Kaiser" abgeholt hat. Beckenbauer wird ausgepfiffen, und als das Spiel kurz unterbrochen ist, fängt er an, mit dem Ball zu jonglieren, ganz unberührt von dem Drama um ihn herum. Da hat er markiert: Ihr könnt machen, was Ihr wollt - ich bin der Beckenbauer, ich bin der Beste. Ein beeindruckendes Statement.
Wie konnte aus diesem überheblichen Typen dann später Everybody's Darling werden?
Die Anerkennung war so groß, dass diese Geschichten schnell wieder vergessen waren. Beckenbauer war ja immer streitlustig, auch als Teamchef hatte er immer wieder Wutausbrüche. Gerd Müller hat mal erzählt, wie Beckenbauer schimpfend zum eigenen Strafraum zurücklief, wenn mal ein Doppelpass schiefging. Aber alle haben das akzeptiert, weil sie auch profitiert haben von ihm. Und dann kam die eigentliche Qualität des Franz Beckenbauer ins Spiel.
Und die wäre?
Sein unglaublicher Charme. Er geht im Interview direkt auf die Leute ein, kommt angenehm freundlich rüber und immer auch witzig. Selbst, wenn der Witz unfreiwillig ist. Auch auf dem Platz früher waren diese unheimliche Präsenz und die Ausstrahlung entscheidend - nicht unbedingt die Effektivität. Das Publikum wollte genau so einen, den es anhimmeln konnte. Und all das Negative, wenn er Blödsinn erzählt hat oder wenn Auftritte nicht so toll waren, das wurde sofort wieder vergessen. Das ist das Phänomen Beckenbauer.
Wenn man die Bilder in Ihrem Buch betrachtet - Beckenbauer in den 80ern in New York mit Größen wie Muhammad Ali, als omnipräsenter TV-Experte in den 90ern, auf Weltreise für das Sommermärchen in den 2000ern - könnte man auf die Idee kommen, hier wandelt ein Popstar durch die Weltgeschichte.
Ja, Beckenbauer war ein Popstar, vielleicht der größte, den Deutschland in seiner Zeit hatte. Bis heute kennt ihn praktisch jeder auf der Welt, ich würde denken, sein Bekanntheitsgrad ist höher als der von Angela Merkel. Gerade in den 90ern hatte er eine Dauerpräsenz - Fußball ohne Beckenbauer gab's nicht, erst am Mikrofon, dann in den Werbepausen. Im "Aktuellen Sportstudio" des ZDF war er fast 60-mal eingeladen, man konnte ihm gar nicht mehr entgehen.
Besonders vor den TV-Mikros hat er heute dies und morgen jenes erzählt, und sich so den Ruf eines Luftikus erworben, der sich um nichts schert, schon gar nicht um seine Meinung von gestern. Dieses Image hat er in der Sommermärchen-Affäre als Verteidigung genutzt: Ich hab doch nur irgendwas unterschrieben. Nehmen Sie ihm das ab?
Weitestgehend ja. Er hatte immer seine Leute für solche Sachen. Ich glaube kaum, dass er persönlich einen Betrug geplant und gewusst hat, wie man das Geld zwischen den Konten hin- und hertransferiert. Er hat das geschehen lassen, dann kam halt Geld auf sein Konto, er hat das wohl als berechtigt empfunden und ist zur Tagesordnung übergegangen.
Die Geschichte ist aber nicht vom Himmel gefallen: Der Historiker Hans Woller hat ja in seiner Gerd-Müller-Biografie beschrieben, wie schon in den 60ern das Geld an der Steuer vorbeigeschoben wurde, auch die Steuersparmodelle in der Schweiz sind bekannt. Man hat es nur wieder vergessen - und dann gestaunt: Mein Gott, der Beckenbauer, was macht er denn da? Aber jetzt ist es zu viel geworden, er wird es nicht mehr los.
Kann es sein, dass sich viele Leute vor, während und sogar noch nach dem Sommermärchen von Beckenbauers Glanz haben blenden lassen?
Wir wollten belogen werden. Sonst macht man den schönen Mythos kaputt, den man aufgebaut hat. Man will ja, dass der Beckenbauer ein Guter ist. Genauso wollte man das beim Uli Hoeneß. Wenn ich zurückdenke an die Talkshows mit den ganzen Journalisten, die gesagt haben, der Uli Hoeneß sei der beste Mensch … Ist er auch, aber nicht in allen Bereichen. Er hat eben auch seine Fehler. Das ist bei Franz Beckenbauer ähnlich.
Mit Christoph Bausenwein sprach Christian Bartlau
Quelle: ntv.de