Fußball

Im "Chaos" und "ohne Plan"? FC Arsenal verzweifelt am Wenger-Erbe

Auf Arsenals Reise nach Europa gibt es viel zu bereden.

Auf Arsenals Reise nach Europa gibt es viel zu bereden.

(Foto: imago images/PA Images)

Niemand hat den FC Arsenal so geprägt wie die französische Trainer-Legende Arsène Wenger. Doch so groß die Erfolge mit ihm waren, so schwer lastet sein Erbe auf dem englischen Fußballklub. Dem droht zum Saison-Ende der nächste GAU – mit gewaltigen Folgen.

Die Geisterspielkulisse schuf ein erstaunliches Déjà-vu: Ein alter Bekannte führte Regie beim FC Arsenal. Lautstark feuerte Mikel Arteta seine Fußballer an, animierte, korrigierte. Mit 4:0 gewannen die Londoner am Mittwochabend ihr Spiel gegen das Schlusslicht Norwich City. Ein Pflichtsieg, ein ganz wichtiger. Sechs Spieltage sind in der Premier League noch zu gehen, sechs Punkte Rückstand beträgt der Rückstand der "Gunners" auf die Europa-League-Plätze. Die Konkurrenten heißen: Wolverhampton Wanderers (6.) und Sheffield United (7.), Manchester United (5.) und Tottenham Hotspur (8.).

Von 1996 bis 2018 prägte Arsène Wenger eine erfolgreiche Ära beim FC Arsenal.

Von 1996 bis 2018 prägte Arsène Wenger eine erfolgreiche Ära beim FC Arsenal.

(Foto: imago/PA Images)

Der Kampf um Europa, die Qualifikation für Europa - für Arsenal ist sie wegweisend. Und diesen Weg, den haben sie in die Hände von Mikel Arteta gelegt. Also in die Hände von jenem Mann, der unter dem legendären Arsène Wenger 150 Mal im Mittelfeld Regie führte, der seine Mitspieler animierte, korrigierte. Der mit ihnen Erfolge feierte. Und der nun - nicht in dieser Saison, aber sehr bald - wieder Erfolge feiern soll. Mindestens mal in die Champions League soll es für den stolzen Hauptstadtklub wieder gehen.

Doch derzeit durchschreiten die Londoner nicht bloß ein Tal, das Erbe, das der Startrainer nach 22 Jahren hinterlassen hat, lastet auf ihnen. Eine Idee, eine Struktur für das, was die "Gunners" auszeichnet, die fehlt. Arteta soll's richten. Und wie wichtig dafür Europa ist, das liegt auf der Hand: Gelingt die Qualifikation nicht, gehen sehr viele Millionen flöten. Sehr viele Millionen, mit denen der Klub seinen Kader (erfolgreich) umbauen kann.

Arsenal, das bekannte Arteta gerade erst, sei als Projekt "eine große Herausforderung". Nach dem gescheiterten Versuch mit dem zuvor beim FC Sevilla und Paris St. Germain erfolgreich arbeitenden Unai Emery und dem ebenfalls nicht sonderlich gelungenen Intermezzo von Klub-Legende Freddie Ljungberg soll es nun der Spanier richten, der seine erste Zeit von 2011 bis 2016 in London verbrachte. Doch die Rahmenbedingungen sind knackig, nicht erst seit der Corona-Krise: Die finanziellen Mittel werden knapper, der Transfermarkt schwieriger - zudem herrscht im Klub "komplettes Chaos", wie der meinungsstarke Ex-Kaderplaner Sven Mislintat, zuvor beim BVB erfolgreich und nun beim VfB Stuttgart unter Vertrag, kürzlich anprangerte. Der Verein sei "dysfunktional und ohne Plan". Mehr vernichtende Kritik - geht nicht.

Seit dem Restart maximal Tribünengast: Mesut Özil.

Seit dem Restart maximal Tribünengast: Mesut Özil.

(Foto: imago images/PA Images)

Im Kader kracht es an allen Ecken und Enden. Da ist zum Beispiel Mesut Özil. Als gesetzte Stammkraft war er für Arteta zunächst unverzichtbar. Mit der Corona-Krise hat sich das jedoch völlig geändert. Mal fehlte der Ex-Nationalspieler aus taktischen Gründen, mal war er verletzt. Und das im doppelten Sinne, physisch und psychisch. Ein Jahr steht der Spielmacher in London noch unter Vertrag - Werbung für sich, macht er nicht. Ein Verkauf? Möglich, auch wenn Özil das nicht will. Ganz anders als Top-Talent Matteo Guendouzi. Der Franzose will weg, soll aber nicht. Was beiden Spielern gemein ist: mangelnde Leistungsbereitschaft.

Die Liste der Probleme, sie lässt sich mühelos fortschreiben. Etwa mit der schon chronischen Abwehrschwäche, die die Innenverteidiger Skhrodran Mustafi und David Luiz im Januar im Derby gegen den FC Chelsea auf die Spitze trieben, als zunächst der Deutsche einen fatalen Pass in die Füße von Tammy Abraham spielte und der Stürmer der "Blues" schließlich vom Brasilianer vor dem leeren Tor umgesenst wurde - Rot, Elfmeter und Tor als Folge. Es ist nur bizarrste Szene in einer Reihe von wilden Patzern, Wacklern und Aussetzern.

Im Duo mit Shkodran Mustafi machte David Luiz immer wieder eine ungute Figur.

Im Duo mit Shkodran Mustafi machte David Luiz immer wieder eine ungute Figur.

(Foto: imago images/PA Images)

Was macht noch Hoffnung? Nun, ein Offensivspiel, dass in Teilen an die große Spielidee von Starcoach Josep Guardiola erinnert - zumindest die Art und Weise, wie sich die Mannschaft mit schnellen Kontakten immer wieder nach vorne spielt. Allerdings vertraut Arteta, der bei Manchester City der Assistent des katalanischen Fußball-Genies war, nicht auf dominanten Ballbesitz. Ein Mittel seiner Wahl: ein frühes Pressing, fast schon in Klopp-Manier. Wie gut das bisweilen funktioniert, zeigte das Spiel gegen Norwich City, als zwei Tore durch das frühe Anlaufen und die daraus resultierenden Fehler des Gegners entstanden. Nutznießer: Pierre-Emerick Aubameyang, der mit seinen 19 Saisontoren eine Lebensversicherung für den Kampf um Europa ist.

Nun, Norwich ist Norwich. Und ein Tabellenletzter eine andere Nummer als das, was kommt: Mit Wolverhampton und Tottenham geht's noch gegen zwei direkten Konkurrenten, außerdem warten mit Chelsea, dem FC Liverpool und Leicester City anschließend drei Teams aus der Top Vier der Liga. Lediglich der abstiegsbedrohte FC Watford zum Saisonfinale ist ein eher leichter Gegner, auch wenn es für den Klub am 26. Juli noch um Existenz gehen könnte. Auch der Weg über den FA Cup wird beschwerlich. Im Halbfinale ist die Übermannschaft von Manchester City der Konkurrent. Die Toleranz für Fehler, sie ist "minimal", wie Arteta prophezeit. Wird sie überreizt, droht der GAU, ein Jahr ohne internationalen Fußball, das erste seit 1995.

Damals übernahm übrigens ein Jahr später ein gewisser Arsène Wenger, der Talenten wie Patrick Vieira, Nicolas Anelka und Thierry Henry zum Sprung auf die große Fußballbühne verhalf. Erst kürzlich verlängerte Arsenal mit Eigengewächs Bukayo Saka, Reiss Nelson stand gegen Norwich in der Startelf und auch der 21-jährige Eddie Nketiah spielte zuletzt regelmäßig. Mikel Arteta könnte vielleicht also doch vor dem Beginn von etwas ganz Großem stehen, vielleicht sogar einer neuen Ära? Sie muss ja nicht 22 Jahre dauern.

Quelle: ntv.de

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