"Merklich schlechte Figur"Fall Özil produziert Furcht und "Verlierer"

Der Nationalmannschafts-Rücktritt von Weltmeister Mesut Özil wegen Rassismusvorwürfen hallt weiter nach. Neben teils deutlicher Kritik an Spieler und DFB gibt es Angst um die Integrationsfähigkeit deutscher Fußballklubs. Einigkeit besteht darin: Gewinner gibt es keine.
Nur Verlierer, Bedauern über den "unwürdigen" Rücktritt, Kritik am "desaströsen" DFB und Furcht um die Integrationskraft des Fußballs: Der Rücktritt von Mesut Özil aus der Nationalmannschaft und die damit verbundenen Rassismusvorwürfe beschäftigen Deutschland auch ohne neue Wortmeldungen der Protagonisten weiter. Mehmet Matur, der Integrationsbeauftragte des Berliner Fußball-Verbandes (BFV), ist überzeugt, dass der Fall negative Auswirkungen auf die Integrationsarbeit im Fußball haben wird. "Natürlich bin ich sehr traurig über seinen Rücktritt. Wir nutzen seinen Namen und sein Beispiel, um Kinder und Jugendliche dazu zu motivieren, Fußball zu spielen", sagte Matur der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Von allen Nationalspielern mit Migrationshintergrund sei Özil bei den Kindern "am beliebtesten", betonte Matur, "gerade bei den türkischen Jungs. Sie tragen Özil-Schuhe und sind stolz darauf, und auch das Özil-Nationaltrikot".
Für Özils Rücktritt zeigte Matur Verständnis. Der Nationalspieler habe keinen Rückhalt vom Verband bekommen: "Amateurvereine gehen nicht so mit ihren Spielern um. Das hätte dem DFB nicht passieren dürfen. Er (Özil) ist unser Spieler und er ist in unserer Nationalmannschaft Weltmeister geworden." Im RBB berichtete Matur zudem, er werde nun von vielen Jugendlichen gefragt, "wie man Özil so fertig machen konnte - wegen eines Fotos. Sie sagen: Ich fliege in die Türkei, mache Urlaub bei Oma und werde mit einer türkischen Flagge abgelichtet, muss ich dann befürchten, dass ich auch aus der Mannschaft rausfliege?" Bei einigen seien diese Ängste da: "Ich versuche, diese Ängste zu nehmen und auch zu motivieren, damit sie sich zeigen und für Auswahlmannschaften empfehlen. Eventuell irgendwann für die deutsche Nationalmannschaft."
"Merklich schlechte Figur"
Bayern-Boss Karl-Heinz Rummenigge sieht in der Özil-Debatte "viele Verlierer". Er kritisierte am Rande der USA-Reise des deutschen Fußball-Rekordmeisters in Philadelphia sowohl den Deutschen Fußball-Bund als auch Özil selbst, die beide "eine merklich schlechte Figur abgegeben" hätten. Die indiskutable und sachlich falsche Özil-Attacke von Bayern-Präsident Uli Hoeneß ("Alibifußballer", "Seit Jahren Dreck gespielt") relativierte Rummenigge hingegen. Er sei "immer nah an Uli Hoeneß dran", sagte er: "Ich glaube, er mochte den Spieler Özil nie so gerne." Außerdem sei es Hoeneß "auf die Nerven gegangen, dass daraus eine Rassismus-Nummer gestrickt wurde".
Leverkusens Sportchef Rudi Völler kritisierte bei Sky Sport News HD den Zeitpunkt und den Inhalt der Rücktrittserklärung des Arsenal-Profis: "Ein paar Dinge waren nicht ganz verkehrt, aber mehr als die Hälfte war etwas übertrieben und Blödsinn." Er hätte sich gewünscht, "dass die Erklärung etwas früher gekommen wäre", ergänzte Völler: "Es hätte vielleicht ihm selbst geholfen und auch der Öffentlichkeit, die ebenso darauf gewartet hat wie seine Mitspieler." Das Dauer-Thema Özil habe "alle genervt, in ganz Deutschland. Man hätte gerne früher die ein oder andere Aussage gehabt. Das hat er leider erst zwei Monate später gemacht - das war sicherlich ein großer Fehler", meinte Völler.
"Das ist unwürdig"
Während Özil selbst schweigt, bedauert die Familie des Weltmeisters die Umstände des Rücktritts. "Jeder will ein letztes Spiel machen und gut aufhören. Er hätte sich besser verabschieden können", sagte Mutlu Özil der türkischen Nachrichtenagentur DHA. Die Schuld für den unglücklichen Abgang liege jedoch nicht bei seinem Bruder. Die gemeinsame Entscheidung sei dem 92-fachen Nationalspieler nicht leicht gefallen, "er hat über das Thema sehr viel nachgedacht", sagte Mutlu Özil, der auch zum Beraterteam des Fußballprofis gehört. Özils Vater Mustafa sagte zu Art und Weise des Rücktritts gegenüber der "Bild"-Zeitung: "Ich bin sehr traurig, dass seine große Karriere in der Nationalmannschaft so zu Ende geht. Das ist unwürdig". Sein Sohn sei "einfach zu verletzt wegen der Anfeindungen, zu gekränkt".
Manager Horst Heldt von Bundesligist Hannover 96 sieht die Hauptverantwortung für die Eskalation der Affäre beim DFB. "Die Art und Weise, wie die Verantwortlichen die Erdogan-Affäre um Mesut Özil und Ilkay Gündogan gehändelt haben, war meiner Meinung nach desaströs", sagte Heldt dem Magazin "Socrates": "In der Kommunikationsstrategie hat man einfach versagt." Der Verband hätte sich frühzeitig fragen müssen: "Welche Folgen hat es wohl, wenn ich die Geschichte mit dem berühmten Foto nicht anständig aufarbeite, wenn der DFB-Präsident nicht von seinen Spielern verlangt, sich den Medien zu stellen, um die Angelegenheit vom Tisch zu bekommen? Die Folgen haben wir alle beobachten können." Aus Heldts Sicht war das fatale Krisenmanagement des DFB mit verantwortlich für das historische Vorrunden-Aus der deutschen Nationalmannschaft bei der WM in Russland: "Hat man keine Ruhe im Team, kann und wird das immer auch ein Grund sein, weshalb es auf dem Platz nicht optimal klappt."
Das Führungspersonal des Deutschen Fußball-Bundes hüllt sich derweil weiter in Schweigen. In der Debatte haben sich Bundestrainer Joachim Löw, Teammanager Oliver Bierhoff und DFB-Präsident Reinhard Grindel drei Tage nach dem Rundumschlag des Weltmeisters von 2014 noch immer nicht persönlich zu Wort gemeldet. Der DFB hatte am Montagnachmittag lediglich mit einer vorsichtig formulierten Mitteilung des Präsidiums reagiert. Seitdem herrscht Ruhe.