Fußball

Letzter Tanz von Thomas Müller? Der FC Bayern fordert Bayer mit mutigem Experiment heraus

Thomas Müller könnte der große Profiteur vom System des neuen Trainers Vincent Kompany sein.

Thomas Müller könnte der große Profiteur vom System des neuen Trainers Vincent Kompany sein.

(Foto: IMAGO/MIS)

Die Bundesliga-Saison startet und der FC Bayern ist bei der Eröffnung nicht dabei. Bedeutet: Die Münchner sind seit einer Ewigkeit nicht der Titelverteidiger. Das ist Bayer Leverkusen. Deren Kader scheint noch besser zu sein. Der FC Bayern setzt eine mutige Idee dagegen.

Als im fortgeschrittenen Frühjahr kaum noch jemand daran glaubte, dass der so verzweifelte FC Bayern in der neuen Saison mit einem Cheftrainer an den Start gehen würde, da hüpfte plötzlich Vincent Kompany aus dem Hut. Mit diesem Trainer-Kaninchen überraschte der Rekordmeister die Fußball-Welt. Der waren zuvor Namen und Absagen von vermeintlichen oder tatsächlichen Kandidaten mit Wucht und Witz um die Ohren gepfeffert worden. Man hat viele wieder vergessen, Ralf Rangnick war dabei und auch Julian Nagelsmann.

Kompany ist es geworden. Und damit keine "große" Lösung, dafür eine spannende. Sonderlich erfahren ist er als Trainer nicht. Er kommt vom Premier-League-Auf-und-dann-wieder-Absteiger FC Burnley. Was bei Bayer 04 Leverkusen, dem ungeschlagenen Sensationsmeister der vergangenen Saison, mit Coach Xabi Alonso perfekt funktioniert, soll künftig auch in München gelingen: Ein "No-Name"-Märchen soll geschrieben werden. Die Lebensläufe der neuen Konkurrenten ähneln sich durchaus ein wenig. Kompany war ebenfalls ein Topspieler, nicht ganz so überragend und erfolgreich wie Xabi Alonso freilich, und hat ebenfalls unter dem Starcoach Pep Guardiola gelernt. Den großen Katalanen von Manchester City halten sie in München ja in ewiger Liebe. Sein Rat soll sogar vor der Verpflichtung des Belgiers eingeholt worden sein.

Mit Kompany sollen die entrückten Machtverhältnisse in dieser Spielzeit unbedingt wieder gerade gerückt werden. Mit Kompany soll der FC Bayern wieder an die nationale Spitze zurückkehren und gerne auch an die internationale. Das Champions-League-Finale in dieser Saison findet in München statt. Das große Trauma von 2012, die Niederlage im Finale Dahoam gegen den FC Chelsea, soll endlich überwunden werden. Vorerst aber ist der Rekordmeister noch im Wartestand. Im DFL-Supercup durfte er nicht mittun, weil er weder Meister geworden war, noch den DFB-Pokal gewann. Beides schnappte sich Leverkusen. Als Gegner für die Werkself wurde daher der Vizemeister benannt, doch auch das waren die Münchner nicht geworden. Sondern der VfB Stuttgart. Zur Eröffnung der neuen Saison ist der FC Bayern ebenfalls nicht geladen, Bayer startet bei Borussia Mönchengladbach.

Große Umbauarbeiten beim FC Bayern

Dieser Stachel bohrte sich tief ins wunde Fleisch des Rekordmeisters. Dem dauerhaft an den Nerven des Klubs zerrenden Ex-Coach Trainer Thomas Tuchel wurde von Uli Hoeneß noch ein wenig Schlamm aus dem Tegernsee hinterhergeworfen. Ein Ausdruck des Schmerzes. Hoeneß lässt es eben nicht auf sich sitzen, wenn jemand mit seinem FC Bayern nicht so umgegangen ist, wie er es hätte aus Sicht des Patrons tun sollen. Die gar nicht so heimliche Kommandozentrale des FC Bayern liegt nämlich noch immer rund 50 Kilometer südlich von München am westlichen Ufer des Tegernsees. Auch ohne offiziell machtvolles Amt. Im Trainer-Theater hatte er wild gepoltert, auch den Kader-Umbau vorübergehend stoppen lassen. Zumindest war er es, der der Welt den Entscheid des Aufsichtsrats verkündete, dass der umtriebige Sportvorstand Max Eberl erst einmal verkaufen muss, ehe er weitere Top-Leute neben Joao Palhinha, Michael Olise und Hiroki Ito anheuere.

In Münchens Maschinenraum wurde in diesem Sommer intensiv gewerkelt wie lange nicht. Alte Dinge wurden neu zusammengeschraubt - so rückt Joshua Kimmich wahrscheinlich wieder dauerhaft ins Zentrum und Thomas Müller darf als Pressingikone in seiner vielleicht letzten Saison rennen und drücken wie zu besten Zeiten - und teure, externe Komponenten hinzugefügt. Sie sollen dem klappernden Riesen verlorene Stabilität verleihen.

Der ewige Thomas Müller und auch Kapitän Manuel Neuer rasen auf das Ende ihrer gigantischen Karrieren zu. In der Nationalmannschaft haben sie bereits Schluss gemacht, im Klub laufen ihre Verträge nach der Saison aus. Aber erstmal wieder Volldampf. Diese neue Maschine soll den FC Bayern nun wieder ans Limit treiben - und an Bayer Leverkusen vorbei. Deren Premierenmeisterschaft als Unterbrechung der Münchner "Ewigkeitsserie" soll lediglich ein einmaliger Betriebsunfall bleiben und auf keinen Fall die Machtverhältnisse nachhaltig ändern.

Nur eine Pleite für Bayer, aber die schmerzt

Die Werkself hatte national die perfekte Saison gespielt und kein Spiel verloren. Bitter: Die einzige Niederlage überhaupt in einem Pflichtspiel gab es im Finale der Europa League gegen Atalanta Bergamo (0:3). Im deutschen Fußball bleibt der VfL Bochum die letzte Mannschaft, die Bayer besiegte. Maßgeblich daran beteiligt mit einer Vor-Vorlage, einer direkten Vorlage und einem Treffer: Spielmacher Kevin Stöger, der nach der Nerven zerfetzenden, aber erfolgreichen Relegation in diesem Sommer zu Borussia Mönchengladbach weiterzog. Und die "Fohlen" sind nun der Auftaktgegner von Bayer (20.30 Uhr bei DAZN und im Liveticker bei ntv.de).

Ein Sieg der Gladbacher, das darf man so sagen, wäre eine dicke Überraschung. Zwar soll bei der Borussia nach einer schrecklichen Saison alles besser werden, aber ob das reicht, um Leverkusen zu schlagen? Die Männer von Xabi Alonso haben über den Sommer nichts verlernt. Vor allem nicht, wie man Spiele auf den letzten Metern noch umbiegt. Der VfB Stuttgart bekam das im DFL-Supercup schmerzhaft vorgeführt. Der Druck von Bayer wurde trotz Unterzahl immer größer - und der Kader im Sommer nochmal breiter. Mit Aleix Garcia kam Alonsos Wunschspieler für das Zentrum, wo sich mit Granit Xhaka, Robert Andrich und Weltmeister Exequiel Palacios indes schon wahnsinnig viel hohe Qualität tummelt. Für die Abwehr wurde Jeanuël Belocian, ein 19 Jahre altes Talent, das schon so abgeklärt agiert, dass es womöglich ganz schnell unumstrittene Stammkraft wird. Außerdem neu: Marin Terrier, ein gefährlicher Offensiv-Allrounder, dessen Debüt im Supercup aber mit Rot bitter endete.

In diesem seltsam aggressiven Spiel leistete sich Alonso den Luxus, Florian Wirtz, Alejandro Grimaldo, Jeremie Frimpong und dem top fitten Patrik Schick, der sich einen spannenden Zweikampf in der Sturmspitze mit Victor Boniface liefern dürfte, erst spät im Spiel zu bringen. Und als sie kamen, ging es plötzlich richtig zur Sache. In Unterzahl wurde der lange starke VfB eingeschnürt und spät noch erwischt. Das war schon beeindruckend. Zu einem Gruß nach München ließ sich der höfliche Coach aus dem Baskenland zwar nicht hinreißen, aber er fand schon, dass sein Kader noch ein bisschen runder geworden sei.

VfB Stuttgart zahlt Preis des Erfolgs

Läuft in dieser Saison alles auf einen Zweikampf an der Spitze hinaus? Vielleicht nicht. Für den VfB Stuttgart dürfte es zwar nach einer unfassbaren Spielzeit und schweren Verlusten von Serhou Guirassy und Waldemar Anton (beide gingen zum BVB) und Hiroki Ito (er wechselte zum FC Bayern) unmöglich werden, den Vize-Titel zu wiederholen. Aber die Schwaben hören auch nicht auf, ihren Fußball zu zelebrieren. Der ist mutig, offensiv und für jeden Gegner gefährlich. Ein Innenverteidiger auf Top-Niveau täte dem gut verstärkten Kader aber noch gut. Jeff Chabot, gekommen von Absteiger 1. FC Köln, springt zwar direkt in die Rolle des Abwehrchefs, aber für den langen Weg durch die Wettbewerbe dürfte das alleine nicht reichen. Was gut ist: Mit Chris Führich blieb der sehr umworbener Flügelspieler, mit Deniz Undav wurde der Fanliebling fest verpflichtet. Zudem haben einige Spieler aus dem eigenen Bestand einen weiteren Leistungssprung gemacht: Angelo Stiller etwa ist nicht beim VfB erste Wahl als Chef im Mittelfeld, sondern dürfte nach dem Karriereende von Toni Kroos auch im DFB-Team aufrücken.

Tüchtig geschraubt wurde auch am BVB. Trainer Edin Terzić räumte nach dem verlorenen Champions-League-Finale unter Tränen seinen Posten. Sein Assistent Nuri Şahin übernahm und bekam große Neuzugänge. Etwa Niklas Süle (!). Der nicht immer Form vollendete Innenverteidiger überraschte mit Geständnis und Fitness. Boss Hans-Joachim Watzke war beim Anblick verzückt. Hinzu kamen auswärtige Fachkräfte: DFB-Routinier Pascal Groß soll das Mittelfeld bereichern, DFB-Rollenspieler Waldemar Anton die Abwehr, DFB-Hoffnungsträger Maximilian Beier die Offensive. Aber der dickstes (neue) Fisch im Dortmunder Teich ist Serhou Guirassy. Der Tor-Gigant kam vom VfB Stuttgart, allerdings auch mit körperlichen Schwierigkeiten. Er fällt erstmal länger aus. Das ist durchaus riskant. Weil der allseits beliebte Niclas Füllkrug abgegeben wurde, Sébastien Haller wohl weiterhin nicht in Form für die Bundesliga ist und Youssoufa Moukoko transferiert werden soll. Bleibt: Beier und sonst nicht viel.

Zugetraut wird dem BVB, der erstmals seit Ewigkeiten ohne seine Legende Mats Hummels (wohin er geht, weiß niemand) und Marco Reus (er trabt in der Stadt der Engel aus) aufläuft, trotzdem eine Menge. Julian Brandt soll als Zehner, erkennbar nun auch an der Rückennummer, reüssieren. Talente wie Jamie Bynoe-Gittens, der jetzt nur noch Jamie Gittens heißt, oder Julien Duranville dürfen gerne den nächsten Schritt machen und sich auf nationalem Niveau konstant etablieren.

Was geht bei RB Leipzig?

Bleibt noch RB Leipzig. Trampeln die Bullen sich endlich den Weg frei zur ersten Meisterschaft? Tja, gute Frage. Mit Dani Olmo verlor der Klub einen Unterschiedsspieler an Hansi Flick. Den spanischen Offensivkünstler zog es zurück in seine Heimat, zum FC Barcelona. In Leipzig kann man sich damit trösten, dass es sehr viel Geld gab, 55 Millionen Euro sollen es gewesen sein, und dass der Spieler wegen Verletzungen ohnehin nicht sooo oft helfen konnte. Anders als Xavi Simons. Der hatte als Leihspieler von Paris St. Germain so stark abgeliefert, dass sich die Interessenten mit Flirtversuchen übertrumpften. Aber der Niederländer ist happy und blieb erneut. Kleine weitere Schmankerl vom Transfermarkt: Norwegens Offensivjuwel Antonio Nusa, gerade mal 19, kam vom FC Brügge, das umworbene DFB-Talent Assan Ouedraogo, 18 Jahre alt erst, wurde vom FC Schalke 04 verpflichtet. Für das hochbegabte Duo gab RB zusammen 31 Millionen Euro an Ablösen aus. Mit Maarten Vandevoordt wurde zudem eine neue, potenzielle Nummer eins verpflichtet.

Der Kader strotzt tatsächlich vor Talent und Qualität. Außer Olmo ging kein Schlüsselspieler. Im Gegenteil: Mit Loïs Openda und Benjamin Sesko bleibt eine gefährliche Doppelspitze mit reichlich Potenzial. Zudem haben Spieler wie Castello Lukeba, Mohamed Simakan oder Nicolas Seiwald noch große Entwicklungsmöglichkeiten. Garniert wird der Kader mit etablierten Kräften wie Willi Orban, David Raum, Benjamin Henrichs, Xaver Schlager oder Christoph Baumgartner. Ob das zur Meisterschaft reicht? Nun, zumindest muss man RB erstmal schlagen.

Aber die erste große Schlagzeile der neuen Saison dürfte dem FC Bayern gehören. Und Thomas Müller. Mit Sepp Maier schnappt sich der ewige Gaudibursch auch die letzte Legende auf dem Weg zum alleinigen Rekordspieler des Rekordmeisters. Der 34-Jährige steht am Sonntag beim VfL Wolfsburg vor seinem 709. (!) Pflichtspiel für die Münchner. Es soll aber bloß das erste sein, um die Machtverhältnisse in der Bundesliga wieder geradezurücken. Die (letzte?) Jagd von Thomas Müller und Co. beginnt.

Quelle: ntv.de

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