So läuft die EM-Vorentscheidung Geheilte DFB-Elf erwartet irisches Dilemma
08.10.2015, 15:44 Uhr
Erfolgreiche Gruppentherapie beim DFB: Der Weltmeister ist wieder in Form und will in Irland die EM-Quali endgültig perfekt machen.
(Foto: imago/MIS)
Nach dem bisher letzten Duell mit Irland lautet die Diagnose für das DFB-Team: post-titulare Anspannungsstörung. Inzwischen kickt die Löw-Elf wieder weltmeisterlich. Die Iren stecken in einer Zwickmühle - auch wenn sie keine Babys stillen.
Worum geht’s?
Um die EM-Qualifikation, entweder direkt oder indirekt. Die Strafrunde Playoffs wäre für Joachim Löws Fußball-Weltmeister allerdings eine Schmach. Ein Remis in Irland reicht Deutschland schließlich schon, um den Vier-Punkte-Vorsprung auf die drittplatzierten Iren zu wahren und das direkte Ticket für die Euro 2016 zu lösen. Für die Iren ist die Ausgangslage einerseits komfortabel, andererseits unerfreulich kompliziert, vom Gruppensieg bis zum Quali-K.o. ist noch alles möglich. Irlands Coach Martin O’Neill würde deshalb sofort einschlagen, könnte ihm jemand schon vor dem Anpfiff um 20.45 Uhr im Aviva-Stadion den dritten Platz in Gruppe D und damit die Playoff-Teilnahme garantieren. Es gibt wohl keine andere Mannschaft, die Triumph und Tragik in EM- und WM-Playoffs derart ausgiebig ausgekostet hat wie die Iren, etwa 2001 gegen Louis van Gaals Niederländer oder 2009 gegen Thierry Henrys französische Handballer. Statt Lust auf ein weiteres Playoffdrama mit irischer Beteiligung hat O’Neill aber vielmehr Angst vor dem Kollaps. Er steckt in einem Dilemma: Soll er gegen den Fußball-Weltmeister einen Überraschungssieg anstreben, der Platz drei vorzeitig sichern würde - oder die irischen Kräfte für das letzte Spiel in Polen sparen? Das könnte dann allerdings zum nervenaufreibenden Endspiel für die Iren werden. Sofern sich Schottland auf Gibraltar nicht blamiert, müsste Irland in Warschau gewinnen.
Wie stehen die Vorzeichen?
Deutschland (19 Punkte) hat in Gruppe D den dritten Platz und damit die Playoffs bereits sicher. Direkt für die EM 2016 qualifiziert wäre das DFB-Team, wenn in Irland mindestens ein Remis gelingt. Gegen Georgien ginge es dann maximal noch um den Gruppensieg. Polen (17) ist durch, wenn Lewandowski & Co. in Schottland gewinnen und Irland gegen Deutschland maximal ein Remis schafft. Irland (15) hat die Playoffs sicher, wenn man gegen die DFB-Elf mindestens ein so gutes Ergebnis schafft wie Schottland (11) gegen Polen.
Als Deutschland und Irland im Oktober 2014 zuletzt aufeinander trafen, gab John O’Shea in der 94. Minute den Partycrasher. Mit dem späten 1:1 sorgte er dafür, dass die deutschen Weltmeister aus ihren ersten drei Qualifikationsspielen ganze vier Punkte holten. Diagnose damals: akute post-titulare Anspannungsstörung beim DFB-Team. Die darf inzwischen als erfolgreich therapiert gelten, es folgten fünf Siege in Serie und die Rückkehr auf Tabellenplatz eins. Irland flirtete derweil mit dem vorzeitigen Qualifikations-K.o. Deshalb erinnern sich die Iren vor dem Duell am 9. Oktober 2015 weniger an das aus ihrer Sicht glorreiche 1:1 vom 14. Oktober 2014 als an das unrühmliche 1:6 vom 12. Oktober 2012. Die höchste irische Heimpleite in einem Pflichtspiel war seinerzeit der Anfang vom Ende des Kultkauzes Giovanni Trapattoni als Nationalcoach Irlands. Nachfolger O’Neill hat das Debakel nicht verdrängt, denkt aber auch nicht übermäßig viel darüber nach. Sonst, bekannte er, "würde ich morgens gar nicht erst aus dem Bett kommen". Die irische Presse wähnt beide Teams nicht ganz auf Augenhöhe und machte das unisono an einem Fakt fest: Während sich Bundestrainer Löw mit dem Bundesliga-Topspiel zwischen Bayern und Dortmund auf Irland einstimmen konnte, war sein Pendant Coach O’Neill in der zweiten englischen Liga zugange - beim Spiel Derby gegen Brentford.
Wie ist das DFB-Team drauf?
Irland – Deutschland, 20.45 Uhr
Irland: Given - Christie, O'Shea, M. Wilson, Brady - Meyler, McCarthy, Hendrick, Hoolahan - Walters, Long
Deutschland: Neuer - Can, J. Boateng, Hummels, Hector - Schweinsteiger, Kroos - Müller, Gündogan, Özil - Götze
Schiedsricher: Alvarez Moreno (Spanien)
Nimmt man den September-Qualifikations-Doppelpack mit überzeugenden Siegen gegen Schottland und Polen zum Maßstab: So gut wie seit dem WM-Triumph nicht mehr. Diesen Flow gedenkt der Bundestrainer Löw in Dublin nicht zu stören. Angesichts der "ein bisschen ungewöhnlichen" Vorbereitung mit nur "einer einzigen Trainingseinheit" vertraut Löw darauf, dass "gewisse Automatismen" greifen. Kurzum: "Es wird nicht viele Veränderungen geben. Die Mannschaft hat gegen Polen und Schottland sehr gut gespielt." Denkbar ist, dass Löw auf den Außenverteidigerpositionen experimentiert. Mit Marco Reus steht dem Bundestrainer eine weitere Angriffsoption zur Verfügung. Der Dortmunder läuft zwar aktuell seiner Form hinterher, hatte aber 2012 das Dubliner DFB-Schützenfest mit zwei Treffern eingeleitet. Einziger Ausfall gegen Irland ist Lukas Podolski, was für die "Irish Times" freilich eine überschaubare Schwächung darstellt. Die Zeitung frotzelte: "Der Galatasaray-Mittelfeldspieler hat bei den Siegen im letzten Monat, die den Weltmeister Richtung EM-Qualifikation katapultierten, kaum auf dem Feld gestanden. Nach dem Remis gegen Irland in Gelsenkirchen gehörte er nur noch einmal zur Startelf: gegen Gibraltar."
Wie sind die Iren drauf?
Ausgezeichnet, sagt Co-Trainer Roy Keane. Seit dem Remis 2014 habe sich nicht nur die DFB-Elf verbessert, sondern Irlands Fußball-Nationalmannschaft auch. Wo genau? "Überall." Keanes Ziel für den finalen Quali-Doppelpack gegen Deutschland und Polen: "Lasst uns sechs Punkte anpeilen." Das klingt ambitioniert und könnte theoretisch sogar noch für den Gruppensieg reichen. Dass Irland in Pflichtspielen bisher weder gegen die DFB-Elf noch Polen gewinnen konnte, sieht Keane offenkundig ebenso wenig als unüberwindbares Hindernis wie die großen Personalsorgen der Iren. Von der Startelf in Gelsenkirchen könnten nur drei Spieler auch in der Startelf von Dublin stehen: Torschütze John O’Shea, Allrounder David Meyler und Jon Walters. Der Rest ist entweder verletzt, gesperrt, ohne Spielpraxis im Verein, außer Form oder gerade Vater geworden, wie Sturm-Oldie Robbie Keane. Die Bedenken gegen einen Einsatz seines Namensvetters wischte Roy Keane freilich überzeugend beiseite, das Kind habe ja seine Frau zur Welt gebracht. Sein Fazit: "Solange er nicht stillt, sollte er ok sein."
Was gibt es sonst noch?
Erstens: Verehrer in der eigenen Abwehrkette, wie Mats Hummels. Der Dortmunder outete sich in Dublin als Anhänger des Bayern Jérôme Boateng, obwohl der ihm am vergangenen Sonntag beim 5:1 gegen Hummels‘ BVB die Rolle als bester Neuzeit-Beckenbauer streitig gemacht hatte. "Ich bin großer Fan von ihm und von seiner Art zu verteidigen", offenbarte Hummels nun: "Ich denke, dass er einer der besten Abwehrspieler der Welt ist". Zweitens: Fans, die als waschechte Iren in Dublin dem DFB-Team die Daumen drücken werden. John Doyle ist so einer, weshalb er es mit Porträt auf die DFB-Website geschafft hat. Dort ist über den 54-Jährigen unter anderem zu erfahren, dass sich Doyle beim 3:1-Sieg über England während der EM 1972 in die DFB-Kicker verguckt hat, natürlich wegen der grünen Trikots. Dass er zu "100 Prozent Deutschland-Fan ist", es "sehr ernst" nimmt, aber "nicht aggressiv" ist. Und dass er sich für den DFB-Glücksbringer schlechthin hält: "Seitdem ich das zuletzt herausgekommene grüne Trikot trage, zuletzt in Schottland, hat Deutschland immer gewonnen."
Quelle: ntv.de