Fußball

Legende verpasst den Abpfiff Gigant Ronaldo taumelt zu einem traurigen Ende

Bei United ist Ronaldo nur noch Teilzeitkraft.

Bei United ist Ronaldo nur noch Teilzeitkraft.

(Foto: IMAGO/News Images)

Cristiano Ronaldo und Manchester United, das ist längst keine Liebe mehr. Der Portugiese möchte spielen, doch sein Trainer hat kaum noch Verwendung für den fünfmaligen Weltfußballer. Der 37-Jährige wird im Karriere-Herbst vom Superstar zum tragischen Helden.

Die aufsehenerregende Premier-League-Szene vom späten Mittwochabend vermittelt ein verdammt gutes Bild der aktuellen Gemengelage um Cristiano Ronaldo. Noch vor dem Abpfiff war der Portugiese in den gigantischen Katakomben des legendären Old Trafford verschwunden. Auf einen Minijobber-Einsatz als taktisches Mittel hatte der stolze Offensivstar offensichtlich keine Lust. Und um das Verzwergen seiner Legende zu umgehen, flüchtete er in der 88. Minute des Duells zwischen seinem Arbeitgeber Manchester United und Tottenham Hotspur (2:0) lieber. Ronaldo verpasst den Abpfiff. Und als Strafe den Gigantengipfel seiner Red Devils gegen den FC Chelsa am Samstagabend (18.30 Uhr im Liveticker bei ntv.de). Was man da nicht alles reininterpretieren kann.

Cristiano Ronaldo, das ist ein Mann, der einst den Fußball verändert hat. Mit seiner Dynamik, mit seinen Dribblings, mit seiner Schusstechnik. Was hatte er dem Sport nicht alles für legendäre Momente geschenkt. Unvergessen seine emotionale Co-Trainer-Rolle im EM-Finale 2016, als er, früh verletzt, seine Mannschaft mit Bandage am Knie von der Seitenlinie aus anleitete und dabei auch kurz seinen Chef Fernando Santos zur Seite checkte. Sogar die Wissenschaft hat sich mit CR7 beschäftigt. Sein Fallrückzieher gegen Juventus Turin Anfang April 2018 wurde mehrfach vermessen, weil Ronaldo so faszinierend hoch in der Luft stand.

Messi schleicht, Ronaldo stürzt

Der Portugiese schien die Gesetze des körperlichen Verfalls außer Kraft zu setzen. So viel Kraft hatte er. Diesem Fußballer, der stets knallhart zu sich selbst war und alles dafür tat, immer in bester Verfassung zu sein, schien nichts und niemand etwas anhaben zu können. Nicht mal die körpereigene Biologie. Ronaldo - ein Galaktischer, vielleicht gar ein Außerirdischer? Während sich sein ewiger Rivale Lionel Messi langsam, aber fortwährend vom Olymp der Giganten schlich, dabei aber im vergangenen Jahr Copa-Champion mit Argentinien und noch einmal Weltfußballer (die Wahl war wegen der Sensationssaison von Lewandowski beim FC Bayern sehr umstritten) wurde sowie in Katar mit seinem Team als Titelkandidat gilt, stand der Portugiese als einsamer Individualist dort so stabil wie seine Statue am Hafen von Funchal.

Doch die Mär des übernatürlichen Ronaldo wurde mittlerweile von den irdischen Routinen gefressen. Ronaldo leidet. Mit einem Donnerschlag ist er vom Olymp auf die Ersatzbank von Manchester United gekracht. Schon in der vergangenen Saison, als Ralf Rangnick die Red Devils noch irgendwie in die Europa League manövriert hatte, sammelten die Fußball-Scientisten immer mehr Indizien, dass die übergroßen Zeiten des Weltfußballers alsbald enden werden. Und er wurde gar von der Bühne der Giganten gezwungen. Keine Champions League für den 37-Jährigen. Unvorstellbar! Auch für ihn selbst. In einem verzweifelten Bewerbungs-Wahnsinn wurde sein Agent offenbar bei den Großklubs Europas vorstellig. Im Verteiler waren sogar der FC Bayern (dort hätte er das Robert-Lewandowski-Erbe antreten können) und der Borussia Dortmund (dort hätte er das Erling-Haaland-Erbe antreten können). Doch niemand wollte ihn. Was für eine bittere Geschichte.

Diese Transfersaga, die zweite zermürbende des Sommers (nach Lewandowskis Abgang zum FC Barcelona), war bisweilen so vergiftet, dass sie sogar einen kleinen Teil zur Entlassung von Coach Thomas Tuchel beim FC Chelsea beitrug. Der kauzige Trainer konnte mit einem Ronaldo-Transfer nicht viel anfangen. Ganz anders als der neue Mit-Eigentümer der Blues, Todd Boehly. Er sah die riesigen Marketingchancen rund um den Portugiesen. So wird über ihn (also Ronaldo) mittlerweile auch gedacht. Die Diskrepanz der Alphamännchen-Positionen soll, so war zu hören, für den Abgang von Tuchel mitverantwortlich gewesen sein.

Wohin geht die Reise im Winter?

Chelsea, das war eine Absage von vielen. So die Berichte. Mal hieß es, dass er mit seinen Gehaltsvorstellungen (angeblich irgendwo bei knapp 30 Millionen Euro pro Jahr) nicht in das Gefüge der Klubs passe, dann hieß es, dass der neue United-Coach Erik ten Hag den Superstar nicht gehen lassen wollte. Was sich mittlerweile übrigens geändert hat. Ein Wechsel im Winter gilt als wahrscheinlich. Wenn sich denn ein Abnehmer findet. Das letzte halbwegs seriöse Gerücht kam aus der Türkei. Angeblich will Galatasaray den Superstar nach Istanbul locken. Nach einem dramatischen Absturz in der vergangenen Saison (nur 13. in der Süper Lig) soll sich der Riese am Bosporus wieder wuchtig erheben.

Ob der verzweifelt um Halt ringende Gigant Ronaldo für dieses Ansinnen die passende Idee ist? Bis zur Europameisterschaft 2024 will er noch weitermachen, das hat er vor wenigen Wochen erst betont. Es werden, wenn es so kommt, zwei spannende Jahre. Zwei Jahre, in denen gigantischer Anspruch und weniger gigantische Wirklichkeit des Spielers immer mehr auseinanderzuklaffen drohen. Schon jetzt wird etwa in seiner Heimat zaghaft die "verbotene Frage" gestellt, ob Ronaldo in der Nationalmannschaft wirklich noch unantastbar ist. Mit Rafael Leao vom AC Mailand drängt ein formstarker Mann vehement ins Zentrum.

Nikosia, Tiraspol, Ronaldo - das passt nicht

Von Formstärke ist der Superstar derweil meilenweit entfernt. Selbst sein nächster unglaublicher Torrekord - gegen den FC Everton erzielte er vor knapp zwei Wochen seinen 700. Treffer auf Klubebene - taugt nicht, um der Legende neuen Kredit bei United einzuräumen. Wenn CR7 spielt, dann meist als Joker oder in der Startelf für eher wenig wichtig eingeschätzte Spiele. So werden dann bittere Berichte geschrieben, wie der 37-Jährige beim Fußballzwerg Omonia Nikosia mehrere Topchancen auslässt. Oder aber, dass er bei Separatisten-Klub Sheriff Tiraspol seine kleine Wiederaufstehung feiert. Mit seinem ersten Saisontörchen. Mitte September war das. Nikosia, Tiraspol, Ronaldo - eine Aufzählung, die nicht zur Erzählung des Portugiesen im Weltfußball passt.

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Eine Aufzählung, dessen knallharte Realität der Spieler selbst nicht akzeptieren will. Der Henkelpott ist seine Passion. Nicht der Europa-League-Pokal, über den wohl kaum jemand weiß, wie er eigentlich aussieht. Ronaldo hatte vor dieser Saison bis auf zwei Spiele für seinen Heimatklub Sporting Lissabon im Vorgängerwettbewerb, dem UEFA-Cup, noch keine Kompetenzen außerhalb der Königsklasse vorzuweisen.

Und er fühlt sich immer noch für größere Dinge berufen. Er ist mit diesem Gefühl (zumindest in Manchester) allein. Der Gigant ist nicht mehr als ein Joker. Ein taktisches Mittel. Kein Schlüsselspieler mehr. Seine Frust-Flucht vom Mittwochabend ist der sichtbarste Ausdruck dieser Verzweiflung. Der Fußballer, der so sehr Profi war, wie man nur Profi sein kann, hat sich dem irdischen Mittel der Disziplinlosigkeit bedient (via Instagram entschuldigte er sich) - und wurde für das Chelsea-Duell suspendiert. Er hat seine eigene Legende angekratzt. Für einen Moment hat er sich selbst vergessen - und den Abpfiff verpasst. Was man da nicht alles reininterpretieren kann.

Quelle: ntv.de

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