Abstiegsdrama beim Saisonfinale HSV droht Katastrophe, Streich wettert
22.05.2015, 15:10 Uhr
"Die Klasse halten": Fans des HSV vergangenes Wochenende in Stuttgart.
(Foto: imago/Michael Weber)
Sechs Mannschaften bibbern, zwei steigen aus der Fußball-Bundesliga ab, ein Team bekommt eine Gnadenfrist. Das klingt nach Drama. Es geht um Image, Geld, Ruhe und Glück. Und Freiburgs Trainer ist empört.
Wie hoch gewinnt der FC Bayern?
Ach ja, gewinnen die Meister aus München überhaupt noch? Jedenfalls bekommen sie nach der Partie gegen den FSV Mainz am Samstag ab 15.30 Uhr, ihrer letzten in dieser 52. Saison der Fußball-Bundesliga, die Schale. Und am Sonntag wollen sie feiern. Wir werden darüber reden. Aber wichtig ist vor diesem 34. Spieltag etwas anderes: Sechs Mannschaften kämpfen noch gegen den Abstieg. Da sind andere Fragen weniger relevant. Wie läuft die Dortmunder Aufholjagd? Mit einem Remis gegen Werder Bremen würde sich der BVB Platz sieben und damit die Qualifikation für die Europaliga sichern. Was passiert sonst noch? Nichts von Belang. Wo wird es brisant? Im Abstiegskampf; dazu gleich mehr. Für welchen Trainer wird es eng? Hängt stark davon ab, welche Mannschaft in die zweite Liga muss.
Wie läuft der Kampf gegen den Abstieg?
Sechs Teams sind noch in der Verlosung: Hertha BSC, der SC Freiburg, Hannover 96, der VfB Stuttgart, der Hamburger SV und der SC Paderborn. Zwei steigen direkt ab, eine Mannschaft bekommt die Chance, sich in zwei Spielen gegen den Tabellendritten der zweiten Liga noch zu retten: Wie geht's aus? Schau'n mer mal, dann seh'n mer scho. Und am Samstag so gegen 17.20 Uhr wissen wir dann mehr.
Image, Geld, Ruhe, Glück - das spricht für Hertha BSC: Hm. Wie ist die Frage jetzt gemeint? Was dafür spricht, dass die Berliner absteigen? Oder was gegen sie verwendet werden kann? Beides. Bei der Hertha jedenfalls versuchen sie es mit Verdrängung. Trainer Pal Dardai hat die Abstiegsrelegation vor der Partie bei der TSG Hoffenheim zum Tabu-Thema erklärt. "Jetzt darüber zu reden, was wäre wenn, ist blöd. Wir haben eine super Ausgangsposition." Da hat er insofern recht, als dass seine Mannschaft von allen sechs Kandidaten die meisten Punkte hat und daher auf Platz 13 steht. Und in der Tat müssten drei Ereignisse eintreten, damit die Berliner noch auf Rang 16 abrutschen: 1. Sie müssten mit zwei oder mehr Toren Differenz in Sinsheim verlieren. 2. Der VfB Stuttgart müsste beim FC Paderborn gewinnen. 3. Hannover 96 und der SC Freiburg müssten unentschieden spielen. Aber sagen wir es so: Unmöglich ist das nicht. Und schon ist es wieder präsent, das Düsseldorf-Trauma. Gegen die Fortuna haben sie nämlich 2012 in der Relegation gespielt - und stiegen ab. Also gilt: Lieber nicht drüber reden. Manager Michael Preetz behauptet gar: "Ich schlafe gut." Und Dardai berichtet: "Nach einer ruhigen und konzentrierten Woche haben wir ein schönes Endspiel. Wir können viel gewinnen: Image, Geld, Ruhe, Glück für die Familien, Eltern und Kinder."
Nur nicht alles vergiften - das spricht für den SC Freiburg: Erst einmal spricht vor der Partie bei Hannover 96 der Trainer. Und zwar zu den und über die Konkurrenten im Abstiegskampf. Christian Streich findet es doof, dass die sich darüber beklagt hatten, dass der FC Bayern am vergangenen, dem vorletzten Spieltag beim SC Freiburg verloren hatte. Vor allem Hannovers Sportdirektor Dirk Dufner hatte sich bitter beklagt. Das böse Wort von der Wettbewerbsverzerrung machte die Runde. Dafür hat Streich kein Verständnis: "In solchen Extremsituationen kommen die Charaktere heraus. Viele können mit dem Druck nicht umgehen." Es sei eine "Anmaßung", einer anderen Mannschaft so etwas zu unterstellen. Falls der Hamburger SV gegen Schalke gewinnen sollte, würde er "niemals so eine Äußerung machen". Ansonsten spricht für die Freiburger und gegen einen Abstieg, dass sie die Sache selbst regeln können. Ein Punkt in Hannover - und die Sache ist geritzt. Für Streich gilt: "Wir gehen es so an wie zuletzt. Ich wüsste nicht, was wir noch draufpacken könnten", sagt der Trainer: "Wenn wir mehr machen würden, wird alles vergiftet. Da möchten wir nicht hinkommen." Eine gesunde Einstellung zur Dramatik an diesem letzten Spieltag der Saison offenbarte im Gespräch mit der "Badischen Zeitung" auch Freiburgs Angreifer Admir Mehmedi: "Wir spielen 90 Minuten Fußball und dann ist die Saison rum. Und wir sind entweder drinnen oder draußen." Und er glaubt ganz fest: "Es wird ein gutes Ende geben."
Mit Selbststärke und Konzentration - das spricht für Hannover 96: In Niedersachsen setzen sie auf die Kraft der Unwissenheit. Frei nach dem Motto: Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß. Daher werden sie beim Spiel gegen Freiburg den Zuschauern im Stadion nicht sagen, wie es bei den anderen Partien steht. "Meine Spieler sollen sich auf das Wesentliche konzentrieren", sagt Trainer Michael Frontzeck. Für die Hannoveraner ist es so, dass sie am bestem gewinnen, wollen sie auf Nummer sicher gehen. Bei einem Unentschieden müsste nur Stuttgart in Paderborn gewinnen - und schon wären die Niedersachsen in der Relegation. Wie gut, dass Frontzeck seiner Mannschaft vertraut. Zumindest sagt er das: "Sie hat gezeigt, dass sie eine große Selbststärke entwickelt hat." Das Wort kannten wir noch nicht, klingt aber gut. Selbststärke. Apropos: Sollte Hannover erstklassig bleiben, könnte aus Fünf-Spiele-Trainer Frontzeck, dessen Vertrag nur bis zum Ende der Saison läuft, eine zumindest mittelfristige Lösung werden. Der allmächtige Klubchef Martin Kind sagt: "Wenn er den Klassenerhalt mit dieser Mannschaft erreicht, ist er unser erster Ansprechpartner."
"Es geht um Existenzen" - das spricht für den VfB Stuttgart: Für die Mannschaft von Huub Stevens gilt: Ein Sieg in Paderborn im mit 15.000 Plätzen kleinsten Stadion der Liga - und das Ding ist durch. Also im für sie positiven Sinn. Und zuzutrauen ist das dem spielerisch stärksten Team unter den Abstiegskandidaten. Der Trainer sagt: "Ich weiß, was es bedeutet für die Fans und für unser Personal auf der Geschäftsstelle. Ich bin froh, dass ich da mithelfen kann. Wir schauen nur auf uns, du hast es in den eigenen Händen. Aber es wird schwierig." Derweil trägt Martin Harnik, mit neun Treffern bester Torschütze des VfB, der Dramatik der Situation Rechnung: "Es geht um Existenzen." Zumindest wäre es der erste Abstieg nach 40 Jahren. Für die Parolen ist in Stuttgart Sportvorstand Robin Dutt zuständig: "Was in den letzten 33 Spielen passiert ist, zählt nicht mehr. In Paderborn brennt jetzt schon der Rasen." Auch sonst macht er nur seinen Job: "Wenn ich als sportlich Verantwortlicher keinen Optimismus ausstrahle und unsere Stärken herausstelle, wie soll ich das dann von meinem Umfeld erwarten?" Ansonsten sind sie im Ländle sich auch in der Not ihrer Pflicht bewusst. Der Verein versichert auf seiner Homepage, dass die Dauerkarten auch für ein Spiel in der Relegation gelten würden. Das gelte auch für die Dauerparkscheine.
Wenn selbst Uwe Seeler zweifelt - das spricht für den Hamburger SV: Den ersten Schritt müssen sie selbst machen - mit einem Sieg am Samstag. Gewinnen die Hamburger nicht gegen die Schalker, steigen sie ab. Also die Hamburger. In dem Fall wäre nichts mehr zu machen. Aber selbst ein Sieg reicht nicht, wenn Stuttgart gewinnt und Hannover und Freiburg remisieren. Andererseits: Gewinnt der HSV, gewinnt Hannover, gewinnt Paderborn und gewinnt Hoffenheim - dann, ja dann wären die Hamburger gerettet, ganz ohne Relegation. Und würden als einziges Gründungsmitglied der höchsten deutschen Spielklasse in ihre 53. Saison in der Bundesliga gehen. Die Uhr im Stadion jedenfalls läuft. Die Frage ist nur, wie lange noch? Das fragt sich auch Uwe Seeler, in Hamburg gilt er als Klublegende. Der Ehrenkapitän der deutschen Nationalelf hat viel von seinem Optimismus verloren. Wer könnte es ihm verdenken? "Der Glaube ist schon mal fast weg, aber die Hoffnung stirbt ja immer zuletzt. Aber natürlich ist sie nicht allzu groß, da bin ich ganz ehrlich." Der Abstieg wäre "eine Katastrophe" und "auch für die Liga nicht positiv". Hier spricht der Hamburger.
"Dann versuchen wir, sofort wieder aufzusteigen" - das spricht für den SC Paderborn: Wie das halt so ist auf dem letzten Tabellenplatz, ist die Lage äußerst prekär. Wenn der HSV gewinnt, reicht den Paderbornern selbst ein Sieg gegen Stuttgart nicht. Relegation - mehr ist nicht drin. Also müssen sie den VfB schlagen und darauf hoffen, dass die Hamburger nicht gewinnen. Klingt nicht gut, ist es auch nicht - was Trainer André Breitenreiter nicht davon abhält, gewohnt euphorisch aufzutreten: "Wir sind bereit. Wir spielen in unserem Stadion. Hier haben wir es jedem Gegner schwer gemacht. Für den Sieg werden wir alles tun. Die Jungs brennen." Ihren Optimismus ziehen die Ostwestfalen vielleicht aus der Statistik. Die Mannschaft holte in dieser Saison die meisten Punkte gegen Konkurrenten im Abstiegskampf. Mit 17 Zählern aus neun Spielen stellt der SCP, was diese Wertung betrifft, das beste Team vom Rest. "Das ist zumindest ein Hinweis, dass wir auf Augenhöhe sind. Die Jungs haben das natürlich auch im Hinterkopf. Aber jetzt ist es eine besondere Situation, weil es ein Endspiel ist", sagt Manager Michael Born. Und für den jetzt nicht so unwahrscheinlichen Fall, dass Paderborn dann doch absteigt, kündigt Präsident Wilfried Finke vorsichtshalber schon einmal an: "Dann versuchen wir, sofort wieder aufzusteigen."
Wer spielt das beste Phrasenschach?
"Wir haben zu 80 Prozent mit einem Sieg die Möglichkeit, unser Ziel zu erreichen." Peter Knäbel, Direktor Profifußball beim HSV, hat alles genau ausgerechnet.
Quelle: ntv.de