Der Bundesliga-Check: Werder Bremen Hart auf Waterkante genäht
04.08.2015, 09:39 Uhr
Der "Skripniker" muss es richten - mit einem schmalen Kader.
(Foto: imago/mika)
Die Topstürmer weg, die Spielerdecke dünn, die Ziele bescheiden: Den Glanzzeiten wird Werder Bremen auch diese Saison nicht näher kommen. Aber der Klub ist wieder ganz bei sich – und könnte eine der Geschichten der Saison schreiben.
"So ist das Geschäft." Das war Franco di Santos Erklärung, ein paar Tage nach seinem Blitztransfer zu Schalke 04. Lange Zeit hatte es so ausgesehen, als würde Bremens Topstürmer der vergangenen Saison weiter das Werder-Trikot tragen - sein plötzlicher Sinneswandel überraschte und verärgerte Fans wie Verantwortliche. Auch sie wissen: So ist das Geschäft. Doch die Bremer hegen traditionell eine Sehnsucht nach der ganz großen Fußballromantik. Schon deswegen sahen die meisten in der Berufung des unerfahrenen Viktor Skripnik in der vergangenen Saison kein Risiko, sondern eher die Chance, zur Werder-Identität zurückzukehren. Die großen Erfolge fordert keiner vom Ukrainer, nur ehrlichen Fußball in ruhigen Gewässern – und vielleicht die eine oder andere schöne Geschichte.
Was gibt’s Neues?
Trotz der 6 Millionen Euro für Franco di Santo und der 8 Millionen für Davie Selke: nicht viel. Werder hat sich bisher am Transfermarkt zurückgehalten, Sparen geht weiter vor Investieren an der Weser. Mit di Santo und Selke fehlen zwei Topstürmer, die in der vergangenen Saison 22 Tore erzielt haben. Alleine wird Anthony Ujah, vom 1. FC Köln losgeeist, die Lücke nicht füllen können – auch wenn er in den Testspielen einen guten Eindruck machte. Rund fünf Millionen Euro darf ein weiterer Stürmer noch kosten, Manager Eichin arbeitet mit Hochdruck an einer Neuverpflichtung. Immer wieder geisterte der Name Claudio Pizarro durch die Gazetten. Doch Co-Trainer Torsten Frings, einst Mitspieler des Peruaners, bereite den Spekulationen ein Ende: Mit seinen 36 Jahren sei Pizarro schlicht zu alt, Werder suche nach einem Stürmer mit Perspektive. Ob Vedad Ibisevic, 30 Jahre alt, dieses Kriterium erfüllt, sei dahingestellt – jedenfalls gilt er als heißer Kandidat. Bis zum 31. August um 23.59 Uhr hat Eichin noch Zeit für freudige Neuigkeiten.
Auf wen kommt es an?
Entschuldigen Sie bitte den philosophischen Einschub, aber: Worauf kommt es überhaupt an im modernen Fußball? Erfolg? Geld? Marcell Jansen hat gerade seine Karriere beendet, mit nur 29 Jahren. Rudi Völler warf ihm vor, er habe den Fußball nie geliebt. Falsch, entgegnete Jansen. "Ich habe das Fußball-Geschäft nie geliebt." Die Bundesliga hat ihm Geld und Erfolg verschafft, aber eben keine Befriedigung, keinen tieferen Sinn. Es war nur noch ein Job. Und warum einen Job machen, den man nicht liebt, wenn man ausgesorgt hat?
Jansen hört auf, die Karriere von Ousman Manneh beginnt gerade erst. Für den 18-Jährigen ist Fußball mehr als nur ein Job. Es ist die Chance seines Lebens. Vor anderthalb Jahren flüchtet er aus Gambia, einem Land in Westafrika, das von einem Diktator beherrscht wird, der Kritiker foltern lässt und Homosexuelle mit dem Tode bedroht. Manneh landet in Blumenthal nahe Bremen, wo er sich dem lokalen Fünftligisten anschließt. Sein Talent fällt den Bremern auf, die ihn für die zweite Mannschaft verpflichten. Der Anfang einer hollywoodreifen Geschichte?
Im ersten Saisonspiel für Werder II erzielt er den Siegtreffer gegen Hansa Rostock. Skripnik holt ihn zur Ersten Mannschaft – und Manneh macht in einem Testspiel gleich vier Tore. Seitdem darf der 1,90-Meter-Mann bei den Großen trainieren. Noch wirkt er gehemmt, aber Verteidiger Jannik Vestergaard verteilt ein Lob: "Ich habe einen guten Eindruck. Er hat eine feine Technik, ist groß und technisch gut." Skripnik macht Manneh Hoffnungen auf mehr: "Wenn er sich weiter in der Dritten Liga profiliert, bin ich fest davon überzeugt, dass er bei uns nicht nur trainieren, sondern auch spielen kann." Ein Flüchtling als Bundesliga-Kicker, es wäre eine typische Werder-Geschichte.
Was fehlt?
Zwischenzeitlich fast ein Drittel der Mannschaft. Vor dem 2:1-Sieg bei West Ham United am Sonntag fehlten acht Spieler verletzt, darunter Außenverteidiger Santiago Garcia, Innenverteidiger Alejandro Gálvez und Sechser Philipp Bargfrede. Das große Problem für Trainer Viktor Skripnik: Seine erste Elf genügt auf jeden Fall Bundesliga-Ansprüchen, aber auf der Bank sitzen hauptsächlich junge Talente, die ihre Tauglichkeit erst noch nachweisen müssen. Der Kader ist hart auf Kante genäht. Langwierige Verletzungen von wichtigen Spielern kann Werder nicht auffangen.
Wie lautet das Saisonziel?
Der jahrelange Niedergang des einstigen Champions-League-Abonnenten hat auch den letzten Träumer überzeugt: Vom Europapokal kann vor der Saison keine Rede sein. Nur der Klassenerhalt ist Pflicht. Viktor Skripnik will sich nicht auf einen Platz festlegen und flüchtete sich in Allgemeinplätze. Konstanter solle sein Team spielen und natürlich soll Werder "den nächsten Schritt machen" – was uns die Gelegenheit gibt, einmal darauf hinzuweisen, dass der nächste Schritt im schlechtesten Fall aussehen kann wie vom "Ministry of Silly Walks" abgesegnet.
Die n-tv.de Prognose
Viktor Skripniks Team hat zwar in der Rückrundentabelle Platz sechs belegt, aber mit Selke und di Santo zwei wichtige Spieler verloren. Im Tor durfte mit der Rückkehr von Felix Wiedwald die jahrelange Unruhe endlich beendet sein, auch die Abwehr scheint zumindest in der ersten Garnitur stark besetzt. Werder will im 4-4-2 aus dem Ballbesitz heraus zu Chancen kommen, dazu fehlt aber noch ein Zentralgestirn in der Offensive – und ein Sturmpartner für Anthony Ujah. Wenn Eichin noch nachlegt und Werder von Verletzungssorgen verschont bleibt, verleben die Bremer eine ruhige Saison im gesicherten Mittelfeld.
Quelle: ntv.de