Fußball

"Nach wie vor Angst" im Sport Homophobie zerfrisst den Fußball

imago0042325906h.jpg

Homophobie und Transphobie verursachen auch im deutschen Sport weiterhin vielen Probleme.

(Foto: imago images / Le Pictorium)

In den USA sorgt eine homophobe Beleidigung bei einem Profi-Spiel zum Spielabbruch. Solch ein klares Zeichen würde man sich in Europa auch mal wünschen, denn Homophobie und Transphobie im Fußball noch immer. Da hilft auch ein Preis für Thomas Hitzlsperger wenig.

Endlich ein klares Zeichen. Endlich griff mal jemand durch. Trainer Landon Donovan, der frühere Profi von Bayern München, verließ in den USA mit seinen San Diego Loyals am Donnerstag den Platz, nachdem einer seiner Spieler homophob beleidigt wurde. Es ging sogar um die Teilnahme an den Playoffs, aber dem Coach und den Profis war das Signal gegen Schwulenfeindlichkeit wichtiger. "Das war einfach nur niederschmetternd für mich", sagte Donovan nach dem Vorfall.

Was beschämend für Donovan erscheint, ist leider immer noch oftmals eine traurige Normalität im Profi- und Amateurfußball. Homosexualität wird in Deutschland auch fußballunabhängig von Teilen der Gesellschaft als andersartig, schwach, eklig, oder nicht leistungsfähig angesehen. Als sich jüngst der spanische Fußball-Profi Borja Iglesias von Betis Sevilla die Fingernägel schwarz lackierte, wurde er im Netz als "Schwuchtel" beschimpft. Aufforderungen an den Verein wurden laut, den Vertrag mit dem Spieler aufzulösen.

Von Brasiliens Superstar Neymar war im Sommer eine Audioaufnahme aufgetaucht, in der er sich abfällig über den neuen Partner seiner Mutter geäußert hatte, der mit seiner Bisexualität offen umgeht. Der PSG-Angreifer nannte ihn auf dem Tape eine "kleine Schwuchtel". Ein Aktivist reichte daraufhin in Brasilien eine Anzeige wegen "Homophobie und Aufwiegelung zum Hass" ein. Im vergangenen Jahr wurde in der französischen League 1 mehrmals Spiele unterbrochen, weil Zuschauer homophobe Sprechchöre von sich gaben. Auch BVB-Fans hatten 2019 beim Revierderby Schalker Anhänger auf Bannern als "Schwuchteln" bezeichnet.

"Etwas stimmt mit der Atmosphäre nicht"

Diese Einzelbeispiele passen zu einer EU-weiten Studie der Deutschen Sporthochschule Köln aus dem Jahr 2019 zu dem Thema: Demnach betrachten fast 90 Prozent der Befragten Homophobie und insbesondere Transphobie im Sport als aktuelles Problem. Etwa ein Drittel der Befragten, die im Sport aktiv sind, trauten sich nicht im Sportumfeld ihre sexuelle Orientierung oder Geschlechtsidentität offenzulegen. Zu den negativen Erfahrungen Homosexueller und Transsexueller zählen laut der Studie vor allem verbale Beleidigungen (82%) und strukturelle Diskriminierungen (75%), verbale Drohungen (44%), E-Mobbing (40%), körperliche Grenzüberschreitungen (36%) und körperliche Gewalt (20%).

Auch Ex-Profi Marcus Urban, der erste Fußballer, der nach seinem Karriereende offen über seine Homosexualität sprach, erzählt im Interview mit der ntv-Redaktion, dass Spieler "nach wie vor Angst" vor einem Coming-out hätten. Als Profi wäre der Druck durch Berater, Klubführung, Fans und die Öffentlichkeit "schon enorm". Urban erklärte: "Man muss sich vorstellen, die Spieler sind alle um die zwanzig, da ist man noch jung und in der Findung. Wenn man aber etwas ganz Normales tun will, wie von seiner Liebe zu reden, dann stimmt etwas mit der Atmosphäre im Fußball nicht."

Neben anspruchsvolle Anti-Homophobie- und -Transphobie-Kampagnen sowie Diversity-Schulungen in Schulen und Sportvereinen wären aber auch Coming-outs bekannter Fußballer hilfreich. Den schwulen Fußballern der Bundesliga scheint der Druck und die Angst vor Ausgrenzung aber noch zu groß. "Ich habe schon überlegt, dass dafür die Situation jetzt eigentlich günstig wäre", sagt Urban im Hinblick auf die coronabedingten Geisterspiel, "weil der Druck von den Rängen gerade weg ist und man nicht Gefahr läuft beschimpft zu werden."

"Homosexualität muss immer für etwas Negatives herhalten"

Dass aber überhaupt davon ausgegangen werden muss, dass man nach einem Coming-out beleidigt werden würde, zeigt das tieferliegende Akzeptanz-Problem in der Gesellschaft. Allerdings: Christian Rudolph, Mitinitiator von Fußballfans gegen Homophobie, sagte Anfang des Jahres gegenüber ntv.de, die Bereitschaft für Veränderung sei weitaus größer geworden in den vergangenen fünf Jahren. Ein Coming-out würde zwar wohl nie komplett geräuschlos ablaufen, besonders in den sozialen Medien müsste man mit negativen Kommentaren rechnen, "aber die große Mehrheit in Deutschland würde positiv reagieren", so Rudolph.

Änderung in Deutschland hervorrufen will Benjamin Näßler, Amateur-Kicker und amtierender Mr. Gay Germany, mit seiner Kampagne #Doppelpass. "Ich war in einer Sportmannschaft und weiß, wie schwer es ist, wenn man 17 Jahre alt ist", sagt er und erklärt: "Das Problem ist, dass Homosexualität immer für etwas Negatives herhalten muss". Eine Aktion für mehr Diversität startet an diesem Samstag (16 Uhr im Berliner Mauerpark) auch der Rugby-Verein Berlin Bruisers: Unter dem Motto "Meine Kleidung! Meine Wahl!" ruft der Klub zu einem Freundschaftsspiel auf, weil dem Verein nahstehende Personen homophob beleidigt wurden. Jeder soll nun tragen, was er möchte und so sein, wie er möchte.

Dass Coming-outs im Profi-Sport möglich sind, zeigen Einzelbeispiele immer wieder. Andy Brennan war 2019 der erste aktiver Profifußballer Australiens, der sich zu seiner Homosexualität bekannte. Er erhielt hauptsächlich positiven Zuspruch. Selbst im erzkonservativen Chile outete sich Erstliga-Basketballer Daniel Arcos und sagte, die Reaktionen seien "im Allgemeinen recht positiv" ausgefallen. Aber in Deutschland, besonders im Profi-Fußball, wird weiter auf ein Coming-out gewartet.

Der Punch fehlt

Ein Zeichen für die gesteigerte Akzeptanz ist zwar die Auszeichnung Thomas Hitzlsperger mit dem Bundesverdienstkreuz für sein ehrenamtliches im Projekt "Fußball für Vielfalt - Fußball gegen Homophobie und Sexismus". Aber bei allen Aktionen in Deutschland fehle noch der "entscheidende Punch", sagt Ex-Profi Urban. Im Fußball würde man sagen, man spielt ein bisschen um den Strafraum herum, aber es kommt nicht der letzte Pass und ein Tor wurde auch nicht erzielt."

Iglesias, der spanische Kicker mit den schwarzen Fingernägeln, wollte mit seiner Aktion übrigens für Black Lives Matter protestieren. Auf die üblen Anfeindungen reagierte er mit den Worten: "Es ist eine Möglichkeit, das Bewusstsein zu schärfen und aus meiner Position heraus gegen Rassismus zu kämpfen, aber man sieht ja, dass es auch gegen Homophobie gut funktioniert. Außerdem muss ich zugeben, dass sie mir gefallen." Im Anschluss stellten einige Menschen Fotos mit schwarzen oder rosafarbenen Fingernägeln ins Netz.

Quelle: ntv.de

ntv.de Dienste
Software
Social Networks
Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen