
FIFA-Präsident Gianni Infantino und Kronprinz Mohammed bin Salman haben da mal was vorbereitet.
(Foto: IMAGO/ActionPictures)
FIFA-Präsident Gianni Infantino überrumpelt erneut alle. Aus dem Nichts lässt er über die Vergabe der WM 2030 und 2034 entscheiden. Die sechs Gastgeber des Turniers im Jahr 2030 stehen fest. Der des Turniers danach eigentlich auch. Die Zeit rennt davon. Infantino & Co. muss die Macht entrissen werden.
Alles ist verrottet. Dabei könnte alles so schön sein. Der Fußball als globales Spiel, das überall Menschen zusammenbringt und sie einlädt, den Alltag auszublenden. Der Fußball als Unterhaltungsmaschine, in der sich auf dem Platz 22 Menschen um einen Ball fetzen und am Ende eine Mannschaft triumphiert. Der Fußball also als die epische 1980er Serie "A Team", in der es zuhauf Duelle gibt, in der jedoch nie jemand stirbt, weil es darum nicht geht. In der aus dem größten Gemetzel alle unbeschadet hervorgehen.
Das ist natürlich nicht so. Das Spiel Fußball ist mächtig, viel zu mächtig und zieht deswegen die an, die sich mit ihrem Geld noch mehr Macht erkaufen wollen. Das sind, wie sich in der Geschichte des Fußballs immer wieder gezeigt hat, selten freundliche Charaktere, sondern solche mit einem ausgeprägten Hang zum Despotismus.
Seit mindestens 13 Jahren, seit dem Zeitpunkt der WM-Vergabe an Katar für das Jahr 2022, wird der Fußball nicht nur konstant von diesen Kräften attackiert, er ist längst in die Hände dieser brutalen Kräfte gefallen. Wie bei dem Turnier im Emirat zu bewundern war, spielt Europa in all diesen Gedanken der FIFA und der Geldgeber keine Hauptrolle mehr. Das Spiel ist global.
Infantino bulldozert den Weg frei
Nun ist es durchaus möglich, die eurozentrische Sicht auf das Spiel Fußball aufzugeben und dabei trotzdem auf die Einhaltung der Menschenrechte zu pochen. Doch all das geschieht nicht, wie dieser Tage der höchst durchschaubare Plan des FIFA-Präsidenten Gianni Infantino mal wieder beweist. Mit der Vergabe der WM 2030 an sechs Verbände auf drei Kontinenten bulldozerte er den Weg frei für die nächste Wüsten-WM in Saudi-Arabien. Dass diese dort bald stattfinden würde, war Beobachtern ohnehin schon klar.
Die Ereignisse des gestrigen Tages zementierten diesen Weg nur. Noch ist das Turnier 2034 jedoch nicht vergeben. Noch gibt es nur eine akute Handlungsanweisung für die nationalen Verbände der asiatischen und ozeanischen Fußballförderationen. Sie müssen bis zum 31. Oktober 2023, also in weniger als einem Monat, ihr Interesse an der Ausrichtung des Turniers hinterlegen.
Saudi-Arabien brauchte keine Stunde, dann verkündeten sie ihre Bewerbung um die Ausrichtung des Turniers. Zuletzt war der große Nachbar von Katar, dem Ausrichter der WM 2022, vor allem durch seine gigantischen Investitionen in den Fußball und den Sport allgemein auffallen. Diese sollen die Macht des Kronprinzen Mohammed bin Salman nach innen absichern und das Königreich von der Arabischen Halbinsel zugleich als globalen Player inszenieren.
Auch DFB-Präsident Bernd Neuendorf stimmte für den Plan
Kritik an der Politik des de-facto-Herrschers wird mit tödlicher Willkür beantwortet. Das produziert international Schlagzeilen, die aber haben keine Auswirkungen auf die Realität. Das Geld und das Öl des Königreichs haben zu vielen handelnden Personen den Kopf verdreht, nicht nur denen aus dem Fußball, die in diesem Sommer für Fantasiesummen Teil des gigantischsten Sportswashing-Projekts unserer Zeit wurden. Aber es hat eben auch denen den Kopf verdreht.
"Ich liebe es, wenn ein Plan funktioniert", sagte Colonel John "Hannibal" Smith, der Anführer des A-Teams, in der Hitserie, und das dürften auf dem Council Meeting der FIFA auch die Gedanken von Gianni Infantino gewesen sein. Die 37 Mitglieder des Councils entschieden sich einstimmig für den Gigantismus mit sechs Gastgebern im Jahr 2030. Unter den Mitgliedern des Councils befindet sich auch DFB-Präsident Bernd Neuendorf.
Der 62-Jährige hatte sich erst im April 2023 in das Council wählen lassen. Angekündigt hatte er damals, "für mehr Transparenz und für nachvollziehbare Entscheidungsabläufe" in der FIFA einzutreten. Auf der anstehenden USA-Reise der DFB-Elf wird er sich weiteren Fragen über die Abläufe in dieser Woche gewiss nicht entziehen können. In einem ersten Statement an diesem Donnerstag wich er der brisanten Frage nach einer Saudi-Bewerbung noch aus. Doch es wäre jetzt komplett falsch, Neuendorf allein für die Entscheidung der FIFA verantwortlich zu machen. Jedoch wird er sich auch an seinen Worten aus dem Frühjahr messen lassen müssen.
Was von der WM in Katar zu lernen ist
Viel wichtiger jedoch ist eine breite Öffentlichkeit gegen das, was dem Fußball im Jahr 2034 sehr wahrscheinlich bevorstehen wird. Niemand wird in zehn oder elf Jahren sagen können, dass es jetzt aber zu spät sei, seine Stimme zu erheben. "Generell bin ich der Meinung, dass wir für einen Boykott zehn Jahre zu spät dran sind", war zum Beispiel von Nationalspieler Joshua Kimmich im März 2021 über die Winter-WM in Katar zu hören. Kimmich war im Dezember 2010, als die FIFA die WM nach Katar vergab, eine 15-jährige Nachwuchshoffnung im Leistungszentrum des VfB Stuttgart, natürlich kann man seine Generation nicht für die Entscheidung von damals und die Folgen in Sippenhaft nehmen.
Doch nun gibt es - mit der Erfahrung, dass die FIFA jederzeit bereit und willens ist, das vermeintlich Undenkbare einfach zu tun - eine neue Chance, sich dann zu positionieren, wenn Stimmen wenigstens noch gehört werden können. Sie müssen jetzt sprechen: Auch für die, die aktuell 15-jährige Nachwuchshoffnungen in den Leistungszentren der Liga sind - und 2034 für Deutschland spielen könnten. Im Schatten des Schafotts, auf dem Saudi-Arabien erst im vergangenen Jahr an einem Tag 81 Menschen hinrichten ließ.
Die Zeit für Proteste ist jetzt
Kimmich war beileibe nicht die einzige prominente Figur, die sich in diese Richtung äußerte. Gerade in den Wochen vor dem Turnier im vergangenen November und Dezember dominierten die Boykott-Aufrufe, angefeuert von zahlreichen TV-Dokumentationen über die Missstände und die Menschenrechtslage im Emirat am Golf. Das, der Termin der WM und das desolate Auftreten des DFB-Teams, führten in Summe zum einbrechenden Interesse am Turnier in Deutschland. Die überhaupt nicht wirre, sondern kalkulierte Inszenierung des FIFA-Präsidenten als moderner Jesus am Tag vor dem Eröffnungsspiel tat ihr Übriges, wie auch die nicht enden wollenden Proteste in den Stadien der Bundesliga in den Wochen vor dem Turnier.
Das alles aber reicht nun nicht mehr. Die Zeit zu handeln ist jetzt. Wer nicht will, dass die WM 2034 in Saudi-Arabien mit all seinen bekannten Menschenrechtsverletzungen stattfindet, muss jetzt seine Stimme erheben. Das gilt für den DFB-Präsidenten Bernd Neuendorf, den 20-jährigen Bayern-Star Jamal Musiala, aber auch für Kimmich, der aus Altersgründen wohl eher nicht an dem Turnier teilnehmen wird. Niemand wird die FIFA stoppen können. Doch noch gibt es bis zur endgültigen Vergabe im vierten Quartal 2024 ein kleines Zeitfenster, sich zumindest vorher zu wehren.
Über den Fußball der Zukunft wird dieser Tage entschieden. Das Gesellschaftsspiel Fußball ist längst nicht mehr die Erfolgsserie A-Team. Das Fundament fußt auf den Toten der Unrechtsregime, das Spiel mutet längst an wie eine moderne Fassung von Game of Thrones: Intrigen, Machtspiele und entfesselte Gewalt. Zeit, sich zu erheben.
Quelle: ntv.de