Fußball

Kniescheibe, Schulter, Zehnagel Kalibriertes Abseits entlarvt schlechte Verlierer

Robert Lewandowskis Kniescheibe kostet den FC Bayern die 2:0-Führung gegen Bayer Leverkusen.

Robert Lewandowskis Kniescheibe kostet den FC Bayern die 2:0-Führung gegen Bayer Leverkusen.

(Foto: imago/Sven Simon)

Plötzlich sind im Fußball sogar Fakten ungerecht. An der Reaktion der überführten Bundesligisten auf die neuen, kalibrierten Abseitslinien zeigt sich deutlich das eigentliche Problem, das die Akzeptanz des Videobeweises untergräbt: schlechte Verlierer.

Die kalibrierten Abseits-Linien decken auf, was das Problem des Videobeweises ist. Nicht die Technik, nicht der Ermessensspielraum und menschliche Fehler, sondern schlechte Verlierer. Seit dem Start der Rückrunde der Fußball-Bundesliga ist der immer und immer wieder diskutierte Videobeweis um eine technische Finesse und ein Stück faktenbasierte Gerechtigkeit reicher. Und er sorgt genau damit für reflexartigen Zorn der Überführten, die sich ungerecht behandelt fühlen.

Neulich in Leverkusen: Tobias Stieler pfeift Robert Lewandowskis sehr schönes Tor zurück.

Neulich in Leverkusen: Tobias Stieler pfeift Robert Lewandowskis sehr schönes Tor zurück.

(Foto: imago/Sven Simon)

Die Verlierer auf dem einen Platz - in Gelsenkirchen - fordern zum wiederholten Mal mehr Kontrolle und Durchgreifen der Schiedsrichter, damit Freistöße punktgenau dort ausgeführt werden, wo gefoult wurde. Gleichzeitig sind den Verlierern auf anderen Plätzen die neuen Linien zu genau gezogen, nämlich auf den Zentimeter. Wenn aber die Goal-Line-Technologie feststellt, dass der Ball mit seinem vollen Umfang nur zwei Millimeter hinter der Linie geklärt wird, stellt sich doch auch niemand hin und jammert, dass das mit bloßem Auge nicht erkennbar war. So ist das mit Fakten. Dafür haben wir ja die Technik. Da gibt es dann eben nichts zu diskutieren. Gerechtigkeit immer nur als aktuell Benachteiligter und für sich selbst einzufordern, offenbart ein ausgesprochen egoistisches Verständnis von Gerechtigkeit.

Müssen erst alle einmal verlieren?

Am zweiten kalibrierten Spieltag traf es den 1. FC Nürnberg, dem bei der 1:2-Niederlage in Mainz die vermeintliche Führung zurückgepfiffen wurde. Bitter, ja - und im engen Tabellenkeller potenziell entscheidend über Wohl und Wehe. Das gilt aber auch andersherum und wäre ohne den linienkalibrierten Videobeweis den Mainzern gegenüber ungerecht gewesen. Oder interessiert Ungerechtigkeit etwa nicht, wenn sie bei oberflächlicher Betrachtung nicht erkennbar ist? Und nun, eine Woche später, ist der FC Bayern dran.

Alles im Lot? Niko Kovac.

Alles im Lot? Niko Kovac.

(Foto: REUTERS)

Trainer Niko Kovac betont nach dem Spiel zwar, er wolle nicht sagen, "dass das ein Fehler war". Im gleichen Atemzug lamentiert er aber, wie knapp das Abseits bei Lewandowskis zauberhaftem aber eben nur vermeintlichem 2:0 war. Und mutmaßt, seine Bayern hätten gewonnen, hätte dieses Tor gezählt. Die explizit nicht explizit geäußerte Kritik ist deutlich. Und auch an der Ziehung der Linien beim Leverkusener Treffer zum 3:1 mosert der Verlierer im Meisterkampf. "Jetzt legt man das Lot an die Schulter an. Das ist schon hart." Aber: Mit der Schulter ohne Oberarm darf auch Niklas Süle Tore erzielen. Fakt. Also ist bei der Frage, wo man das Lot anlegt, auch die Schulter maßgeblich. Punkt. Da gibt es nichts zu diskutieren, Herr Kovac.

Nach drei Spieltagen mit kalibrierten Linien hat es nun also zwei Vereine erwischt. Gerechtigkeit bedeutet aber eben nicht, dass jeder neue Pfiff allen Beteiligten gleichzeitig einen Vorteil verschafft. Gerechtigkeit bedeutet, dass spielentscheidende Situationen besser innerhalb der existierenden Regeln getroffen werden können. Ganz egal, wer deswegen einen Vorteil hat. Gerechtigkeit ergibt sich in der Summe. Es wäre doch sportlich, wenn man sich nicht ein halbes Jahr Gejammer über vermeintliche Ungerechtigkeiten anhören muss. Wenn nicht jeder einzelne Trainer einmal auf beiden Seiten der kalibrierten Linie stehen muss, um zu merken, dass am Ende alle gewinnen. So viel Spielverständnis darf man im Oberhaus erwarten. Gute Verlierer machen sich auch im Angesicht der Niederlage für mehr Gerechtigkeit stark.

Quelle: ntv.de

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